«Die Bilder sind meine Kinder»

Toni Weishaupt (68) ist seit einem Jahrzehnt als Wandermaler unterwegs, hier in Soglio GR. Bild: Franziska Hidber

Gelb. Orange. Rot. Der Himmel sieht aus, als würde er gleich explodieren vor lauter Sonnenuntergangsfarben. Jetzt kommt das Violett für die Berge hinzu. Oben auf der Krete steht unverkennbar eine schwarze Giacometti-Figur, eingebettet zwischen den Bergflanken und so, als könnte sie jeden Moment abspringen. Der Maler schmunzelt schelmisch, während er weiter violette Ölfarbe aufträgt: «Ich habe gedacht, wenn ich schon hier bin, kann ich Giacometti gleich in mein Bergbild einfügen.» Hier, das ist Soglio im Bergell; ein Häuschen oben im kleinen Villagio, eine gemütliche Stube, umfunktioniert zum Atelier. Eine Leinwand, davor ein Stuhl, eine Palette mit unzähligen Ölfarben. Mittendrin: der Appenzeller Berg- und Orchideenmaler Toni Weishaupt. Das Dorf auf der Bergeller Sonnenterrasse ist bereits seine zehnte Station als Wandermaler, «und mit Abstand die schönste», wie er findet. «Schon Segantini hat einst gesagt, Soglio sei das Paradies vor dem Himmel. Kein Wunder, ist hier im Tal jeder Zweite ein Künstler.» Sich selbst würde der 68-Jährige nie so bezeichnen: «Ich bin Handwerker», sagt er bestimmt und holt seinen prall gefüllten Ordner hervor, die Dokumentation seines Schaffens: «Meine Bilder sind meine Kinder.»

Für jeweils acht Monate pro Jahr zog sich der Appenzeller zum Malen in die Berge zurück, immer in einen anderen Kanton. Eine Bleibe zu finden, sei nie ein Problem gewesen. Er habe einfach mit den Leuten im Dorf gesprochen und nach spätestens zwei Stunden den Zuschlag erhalten. «Am schnellsten im Wallis», erinnert er sich, «da dauerte es gerade eine Viertelstunde.»

Vor zehn Jahren ist der Schreinermeister aus dem Familienbetrieb in Appenzell ausgestiegen. «Ich liebte meinen Beruf», blickt er zurück, «aber ich konnte nicht alle meine Ideen ausleben.» Und genau das wollte er endlich tun: malen und dabei weiterkommen.

Die Malerei begleitet ihn schon lange. Vielleicht, sinniert er, habe es damit begonnen, als sein Vater, ebenfalls Schreiner, als Gegenleistung für Schreinerarbeiten beim Appenzeller Maler Carl Walter Liner Bilder erhielt. «Ou, da hat die Mutter ‹amigs pfutteret!›», sagt er in breitestem Appenzeller Dialekt. Liners Bilder hingen also im Elternhaus, und als Jungschreiner Weishaupt in Pontresina anheuerte, fielen ihm schnell die leeren Wände in seiner Wohnung auf. «Ich hatte kein Geld, also malte ich meine Bilder halt in der Freizeit selber.» Er lacht, während er sein erstes Werk beschreibt, wo ein weisser Komet in ein rotes Etwas schiesst. Schwer verliebt sei er damals gewesen. In jener Zeit besuchte er erstmals mit einem Kollegen Soglio und habe sofort gewusst: «Hierher komme ich wieder.» Jetzt ist sein Wunsch in Erfüllung gegangen, und ein zweiter Herzenswunsch dazu. Im Garten des historischen Palazzos von Salis in Soglio malte er einen ganzen Monat lang, Morgen für Morgen, an seinem Traumbild.

Naturgetreu bis ins Detail bildete er den prächtigen Palastgarten ab und nahm sich die Freiheit, den Maler Segantini ins Gemälde zu integrieren. Der Schalk blitzt aus seinen Augen, wie er auf das stattliche Werk an der Wohnzimmerwand deutet. Bald ist seine Zeit in Soglio zu Ende – und damit auch das Jahrzehnt als Wandermaler. Im August geht er zurück nach Appenzell, wird von dort aus die St. Galler Berge malen, danach ist die Sammlung komplett.

Als krönenden Abschluss kann er seine Bilder nächstes Jahr auf dem Säntis präsentieren. Weishaupt, der nie eine Kunstschule, nie einen Malkurs besucht hat, wurde unter 120 Kandidaten ausgewählt: «Das ist eine grosse Ehre», sagt der Künstler, der keiner sein will.

«Ich hatte kein Geld, also malte ich meine Bilder halt in der Freizeit selber.»

hid

Veröffentlichung: 17. August 2017 / Ausgabe 33/2017

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