Die Ducati zum Glück

Thomas Wildling (53)mit einer seiner Ducatis. Der Schreiner fand beim «Mechen» an seinen Maschinen sein kleines Glück – und aus seinem Burn-out heraus. Bild: Isabel Hempen

«Ich bin sonst kein besonders materialistischer Mensch, aber das hat mich richtig glücklich gemacht», sagt Thomas Wildling und strahlt. Zum 50. Geburtstag hatte ihm seine Frau Joanna eine Oldtimer-Ducati geschenkt, «ein Wahnsinnstöff», wie er stolz sagt. Ein Töff, der seither für ihn eine wichtige Rolle spiele, verrät er in seiner offenen Art – und erzählt seine Geschichte von vorne. Man würde es nicht ahnen, wenn man mit dem sympathischen 53-Jährigen spricht, aber bis vor Kurzem war er «wirklich schlecht zwäg», wie er es ausdrückt. Angefangen hatte alles 2014. Neben der Schreinerei im zürcherischen Wermatswil, mit der sich das Paar 1999 selbstständig machte, gab es ein weiteres Projekt, das viel Zeit und Energie verschlang: eine ehemalige Tennishalle im zürcherischen Pfäffikon, welche die Wildlings gemeinsam mit Partnern kauften. Geplant war ein KMU-Park, der aber nicht bewilligt wurde. Also setzten die beiden begeisterten Sportler eine spontane Idee um: einen Indoor-Bikepark. Der europaweit erste Bikepark wurde schlicht überrannt. Selbst aus dem Ausland pilgerten die Radfans nach Pfäffikon, auch Swiss Cycling kam zum Training her. Die erste Geschäftsführerin gab aus Überforderung nach zwei Monaten ab, der zweite Geschäftsführer blieb drei Monate. Also übernahmen die Wildlings selbst die Geschäftsleitung – neben ihren Vollzeitjobs in der Schreinerei. Zwei Jahre lang arbeiteten sie an sieben Tagen die Woche. Soziale Kontakte schränkten sie ein, nur für die beiden Kinder blieb noch Zeit.

Ende 2016 sagten beide: Wir können nicht mehr. Joanna Wildling erlitt ein Burn-out. Thomas Wildling dachte sogar darüber nach, die Schreinerei zu verkaufen. «Zum Glück haben wir das nicht gemacht», sagt er heute lächelnd, denn sein Sohn macht derzeit die Lehre im Familienbetrieb. Das Ehepaar entschied sich dann zu einem drastischen Schritt: Sie drehten im Bikepark den Schlüssel. Einen Grossteil des Hallenareals baute Thomas Wildling darauf selbst um, es ist heute an verschiedene Unternehmen vermietet. «Da lief auch ich in ein Burn-out hinein», erzählt er, der Umbau neben der Arbeit in der Schreinerei war zu viel. Sein Arzt warnte ihn: «Thomas, jetz muesch uf d’Bräms stah!» Für Wildlings war es eine schwierige Zeit, denn für sie stand eine Menge auf dem Spiel. «Wir hatten 20 Jahre gekrampft und wollten nicht einfach alles verlieren», sagt er. Daher hiess es: «dure- biisse». Und dann schenkte ihm seine Frau vor drei Jahren die Ducati. In einem Abschnitt der ehemaligen Bikehalle richtete er einen kleinen Showroom, ein Fotostudio und eine Werkstatt ein. Es ist sein kleines Paradies. Hierher kam er anfangs jeden Abend, um an seiner Maschine zu «mechen». «Nach ein, zwei Stunden fühlte ich mich wie neugeboren», erzählt er. Die tägliche Auszeit wirkte wie eine Therapie. Inzwischen besitzt er eine Kollektion von 15 Old- und Youngtimer-Ducatis, er liebt es, auf ihnen auszufahren. Weil er gerne fotografiert, hat er seine Maschinen auch in zwei Fotokalendern verewigt. Thomas und Joanna Wildling geht es heute wieder gut, wenn auch die Batterien noch nicht ganz aufgeladen sind. Sie gönnen sich nun ganz bewusst mehr Freizeit. Zwar hat Wildling bereits wieder eine neue Idee, er tüftelt am nächsten Projekt herum. Aber nochmals wird er sich nicht übernehmen. «Heute lässt du dich von mir bremsen», sagt seine Frau und lacht.

«Wir hatten 20 Jahre gekrampft und wollten nicht einfach alles verlieren.»

Isabel Hempen

Veröffentlichung: 07. Juli 2022 / Ausgabe 27-28/2022

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