«Drechseln macht glücklich»

An der Drechselbank kann sich der 60-jährige Schreiner Jörg Scheurer vom Alltagsstress erholen.

Jörg Scheurer ist durch und durch ein «Hölziger». Unter der Woche arbeitet er als Schreiner, am Ende der Arbeitswoche tauscht er die Maschinen in der Schreinerei gegen die Drechselbank bei ihm zu Hause. Hier dreht sich alles um die Form. Mit scharfen Messern arbeitet er Kurven, Rundungen, Absätze und Mulden in das Holz und drechselt Kugeln, Vasen und Schüsseln. Dabei lässt er sich gerne von der Natur inspirieren. Scheurers Werkstücke erinnern in ihrer Form häufig an Grashalme, die sich im Wind biegen – das ist sein Markenzeichen. «Diesen Stil habe ich in den 15 Jahren, die ich nun drechsle, entwickelt», sagt er. Und zu diesen Formen findet er immer wieder zurück, auch wenn er für Kundenaufträge gelegentlich davon abweicht. Die Natur liefert ihm auch den Rohstoff, mit dem er arbeitet: Von Holz kann der leidenschaftliche Schreiner und Drechsler gar nicht genug bekommen. Wie kleine Schätze verwahrt er die verschiedenen Holzstücke. So ist sein Schuppen bereits bis unters Dach mit dem natürlichen Werkstoff gefüllt. Trotzdem ist er immer auf der Suche nach neuem Material für seine Kunstwerke und spaziert mit den Augen eines Sammlers durch Dorf und Wald. Er freut sich, wenn ein Bauer ihm Stücke eines gefällten Kirsch- oder Apfelbaums überlässt. «Daraus entstehen besonders schöne Schüsseln.» Oder wenn ihn der Förster anruft, um ihm mitzuteilen, dass im Wald eine «gestockte» Buche liegt, die er abholen kann.

Zieht der Stockschwamm durch die Buche, setzt ein Wandlungsprozess ein. Der Pilz hinterlässt eine ganz spezielle Maserung und die Farbe des Holzes verändert sich. «Dadurch entstehen unterschiedliche Formen und oftmals wahnsinnig schöne Zeichnungen im Holz», erklärt Scheurer.

Ob Buchen- oder Apfelholz – sobald ein neues Fundstück in seinen Besitz übergegangen ist, wird der Handwerker aus dem bernischen Bargen ungeduldig. Denn vor seinen Augen zeichnet er bereits das Bild vom Endprodukt. «Beim Betrachten eines Holzstücks sehe ich schnell, was sich daraus machen lässt», erklärt er. Und dieses möchte er an der Maschine alsbald nach seinen Vorstellungen formen. «Ich kann es jeweils kaum abwarten, den Rohling in die Drechselbank zu spannen.» Doch beim Drechseln durchkreuzt der Zufall oft alle Pläne: Vom äusseren Erscheinungsbild eines Werkstückes kann man nicht mit Sicherheit auf das Innere schliessen. Häufig bringen die scharfen Messer Unerwartetes zum Vorschein. «Man weiss nie genau, was in einem Holz steckt.» Und genau das mag der Seeländer. Er ist fasziniert von der Natur und der Schönheit ihrer Imperfektion. «Zu schlicht ist langweilig», sagt er. Scheurer bevorzugt Holz mit viel Charakter, mit Rissen und Vergabelungen.

Gerade weil sich der natürliche Rohstoff nicht in eine endgültige Form zwingen lässt und sich ständig verändert, auch nachdem er bearbeitet, geschliffen und geölt wurde, findet ihn Scheurer interessant. «Holz lebt. Es bewegt sich immer etwas und dadurch wird es manchmal noch schöner.»

Spricht Jörg Scheurer über das Drechseln, zieht stets ein Lächeln über sein Gesicht. «Drechseln macht glücklich», sagt er. Wenn er am Wochenende in den Keller hinabsteigt und den Startknopf der Drechslermaschine drückt, wenn Späne fliegen und der Hobbyraum sich mit dem Duft von Nussbaum-, Buchen-, Apfel- und Kirschbaumholz füllt, kann er abschalten und den Alltagsstress hinter sich lassen. «Dann bin ich einfach ganz zufrieden in meiner Welt.»

«Durch Pilze entstehen unterschiedliche Formen und oftmals wahnsinnig schöne Zeichnungen im Holz.»

sas

Veröffentlichung: 24. November 2016 / Ausgabe 47/2016

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