Ein Brett, auf das Weltmeister stehen

Bei der Konstruktion der selber entwickelten Snowboards kann Marcel Brunner (49) auf sein Schreiner-wissen zurückgreifen. Bild: Helen Oertli

Das Industriegebiet von Bubikon ZH liegt zwischen Feld, Wiesen und der Schnellstrasse, die von Zürich nach Rapperswil SG führt. Ein Schild vor der Gewerbehalle – man sieht es erst auf den zweiten Blick – führt in die Werkstatt von Oxess. Es riecht beissend nach Polyester. Auf einer Werkbank wird der Holzkern eines Snowboards verspachtelt. «Das einzige Element, das noch aus Holz ist», erkärt Marcel Brunner, gelernter Schreiner und Gründer von Oxess. Hier in der abgelegenen und eher unscheinbaren Werkstatt entstehen Snowboards und Ski für Profifahrer aus aller Welt. Bereits als Schreiner arbeitete Brunner an besonderen Formen und mit neuen Materialien. In der Freizeit baute er Modellflieger aus Glasfasern und Karbon. Diese Kenntnisse haben ihm gedient, als er sich bei Sauber bewarb und danach zehn Jahre im Zürcher Rennstall an Formel-1-Wagen baute. Irgendwann reifte der Wunsch, einmal selber ein Snowboard zu entwickeln. Nach einigen Versuchen erzielte Brunner erste Erfolge. Gemeinsam mit zwei Freunden – einem Grafiker und einem Studenten der Betriebswirtschaft – gründete er die Firma Oxess mit dem Ziel, individuelle Boards zu bauen. Ohne dass sie für ihre Produkte werben mussten, verkauften die Tüftler ihre ersten Bretter an Freunde und Bekannte. Doch das Snowboardgeschäft lief lange nur als Nebenbeschäftigung. Bis 2003 ein Weltcupfahrer mit einem Oxess-Board aufs Podest fuhr. 2009 folgte der erste Weltmeister, 2010 die Olympiade mit drei Medaillen. «Danach explodierte die Nachfrage», erzählt Brunner. Heute beschäftigt Oxess sechs Mitarbeitende und produziert 1000 Snowboards und Skier pro Jahr.

Die einzigartige Fahreigenschaft ergibt sich aus der massgeschneiderten Form und dem Materialmix. Die Bretter bestehen aus Glasfasern, Karbon und Titanal. Die Herausforderung besteht darin, die verschiedenen Schichten richtig zu verkleben. Der Druck, der Klebstoff und die Temperatur sind für die gewünschte Steifigkeit perfekt aufeinander abzustimmen. Handgeschriebene Grusskarten, Poster und sorgsam gerahmte Trikots mit der Aufschrift «Pyeongchang 2018» oder «Sotchi 2014» zeugen von den Erfolgen, die Athleten weltweit mit diesen Snowboards einfahren. Hierzulande lange unbekannt, erhielt Oxess mit dem Sieg des Schweizer Snowboarders Nevin Galmarini an der Olympiade in Pyeongchang 2018 erstmals auch nationale Aufmerksamkeit. Die wichtigsten Absatzgebiete bleiben aber im Osten: Russland, China und Südkorea. An der kommenden Olympiade wird Brunner das ganze chinesische Alpin-Nationalteam mit Snowboards ausstatten. Der chinesische Sportminister reiste für die Vertragsunterzeichnung eigens nach Bubikon an.

Unlängst gewann die erste Chinesin ein Weltcuprennen im eigenen Land. «Die Snowboardwelt staunt, und ich erhalte Gratulationen aus aller Welt», freut sich Brunner. Oxess wächst mit jedem Jahr, «ob wir wollen, oder nicht». Längst verbringt Brunner mehr Zeit im Büro als in der Werkstatt. Sechs Tage pro Woche arbeitet er für sein Unternehmen. Die freien Tage verbringt er mit seiner Frau und dem 12-jährigen Sohn oft in den Bergen und steht selber auf dem Brett. Und nun, da der Frühling begonnen hat, wird er sich wieder auf sein Rennrad schwingen und um den Greifensee fahren.

«Die Snowboardwelt staunt, und ich erhalte Gratulationen aus aller Welt.»

ho

Veröffentlichung: 28. März 2019 / Ausgabe 13/2019

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