Ein Gastwirt mit Hobel und Säge

Markus Jaun (45) hat das Zimmer «Jungfrau» ganz auf die Bedürfnisse von Familien zugeschnitten. Bild: Sabine Schaller

«Ferien an staubfreier Lage.» Mit einem Schmunzeln erzählt Markus Jaun, wie er beim Renovieren im hölzernen Zwischenboden auf die alte Postkarte mit dem touristischen Werbeslogan gestossen war. Abgestempelt 1910, ist die Karte ein Überbleibsel aus einer Epoche, in der Beatenberg im Berner Oberland ein blühender Kurort war und die Kutschen viel Staub aufwirbelten, wenn sie im längsten Dorf Europas auf ungepflasterten Strassen Gäste aus aller Welt hin und her transportierten. Das Gasthaus Riedboden gehört zu den wenigen Pensionen aus der Belle Époque, die bis in die Gegenwart hinein allen wirtschaftlichen Stürmen trotzten. Aber als Markus Jaun und seine Frau Brigitte das Objekt 2010 kauften, war es in die Jahre gekommen. Und genau das reizte die beiden: «Ein fertiges Hotel hätten wir nicht erworben. Mir gefiel der Gedanke, mich wieder handwerklich zu betätigen und mich zu verwirklichen», sagt der gelernte Möbelschreiner. Der Terminplan war sportlich. Ein ganzes Team packte an und restaurierte Gaststube, Panoramasaal und Alpsäli, Küche, Lager und WCs, damit das Ehepaar bereits wenige Monate später den Riedboden plangemäss wieder eröffnen konnte. Nachdem der Betrieb gut angelaufen war, fand Jaun Zeit und Musse, sich in einer zweiten Bauetappe um eine Herzensangelegenheit zu kümmern – die Restaurierung der Zimmer. Sie alle sind liebevoll in Holz ausgestattet: Das stille Örtchen in der «Sennegade» ist dem WC-Häuschen im Gebirge nachgeahmt, im Familienzimmer «Jungfrau» hat Jaun die Betten selbst geschreinert und aus alten Balken Nachttischchen gefertigt.

In der Seele sei er eben ein Hölziger geblieben. «Ich brauche die Arbeit mit Holz», erklärt er. Beim Tritt hinaus auf den Balkon reicht der Blick bei klarer Sicht auf ein Wunderwerk der Natur. Eiger, Mönch und Jungfrau scheinen in Griffnähe, und mit etwas Glück wird der Auftritt des berühmten Trios vollendet durch ein weisses Nebelmeer, das sich ihnen zu Füssen legt. Jaun fühlt sich wohl in dieser Umgebung, die ihm von Kindesbeinen an vertraut ist. «Ich bin mit ihr verbunden», sagt er. Und auch das Gastgewerbe ist kein Neuland für den Schreiner. Elf Jahre lang hatten er und seine Frau zuvor an der Mittelstation der Niederhornbahn ein Bergrestaurant samt Stall mit 130 Stück Vieh bewirtschaftet. Trotzdem sagt er: «Mit dem Gasthaus Riedboden sind wir ein Wagnis eingegangen.»

Vom Glanz der Belle Époque ist in Beatenberg höchstens Nostalgie übrig geblieben und eine Handvoll Hotels. Die Poststelle ist geschlossen und das Lädelisterben kaum aufzuhalten. Wie also lautet die Erfolgsformel der Jauns? «Arbeit, Arbeit, Arbeit und viel Herzblut», sagt Markus Jaun. Meist steht er 18 Stunden am Tag auf den Beinen, erledigt Büroarbeiten, renoviert, kümmert sich um die Gäste und hilft in der Küche aus – dem Reich seiner Frau.

Brigitte Jaun bringt Hackbraten, Bratwurst, Rösti, Käseschnitten und feine Tagesspezialitäten auf den Teller. Auf kulinarischen Schnickschnack wird verzichtet, ebenso wie auf einen Wellnessbereich. «Wir haben uns bewusst so entschieden», sagt Markus Jaun, «unser Motto heisst: einfach, währschaft und gut.» Die Gäste finden hier eine Küche wie bei Muttern, ein fantastisches Wander- und Skigebiet vor der Haustür und sehr viel Ruhe – alles moderne Kurmittel gegen Stress. Es scheint, als könne das Ehepaar damit erfolgreich an vergangene goldene Zeiten anknüpfen. Und es könne Ferien an staubfreier Lage im Gasthaus Riedboden auf dem Beatenberg wieder beliebt machen.

«Mir gefiel der Gedanke, mich wieder handwerklich zu betätigen und mich zu verwirklichen.»

sas

Veröffentlichung: 16. Februar 2017 / Ausgabe 7/2017

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