Ein Leben ohne Einschränkungen

Reto «Rey» Keller (63) will mit Expeditionen anderen Menschen mit Behinderung Mut machen. Bild: PD

«Ich habe nichts verloren, sondern ein neues Leben hinzugewonnen.» Der Satz, den Reto «Rey» Keller beinahe etwas nebenbei im Gespräch unterbringt, hat Gewicht. Der gebürtige Engadiner lebte über 20 Jahre in Kanada und ist heute im bündnerischen Carrera zu Hause, wo er eine Kunstschreinerei betreibt.

Im Laufe seines Lebens hat Keller so manchen Schicksalsschlag einstecken müssen. Doch was andere vielleicht gebrochen hätte, liess ihn immer wieder aufs Neue und sogar gestärkt zurückkommen. 1987 zog sich der ausgebildete Bergführer auf einer Tour im Himalayagebiet durch einen Sturz eine gravierende Venenverletzung zu. Eine Verletzung, die 15 Jahre später zu einer Oberschenkel-Amputation führte.

Auf den Gedanken, nicht mehr «zu Berg» gehen zu können, sei er zu diesem Zeitpunkt nie gekommen, erzählt Keller. Dies änderte sich vier Jahre später, als er sich bei einem weiteren Unfall das Kreuzband des gesunden Beins riss und wegen eines Infektes nicht weniger als zwölf Operationen über sich ergehen lassen musste. «Das war aus gesundheitlicher Sicht die mit Abstand härteste Zeit für mich», erinnert er sich.

«Ich habe nichts verloren, sondern ein neues Leben hinzugewonnen.»

Doch auch aus diesem Tief fand er wieder heraus. Und wie. So machte er sich im Frühjahr letzten Jahres zu einer Grönland-Langlauf-Expedition auf. 200 Kilometer mit Langlaufskiern und Packschlitten durch eisige Schneelandschaften. «Das war ein tolles Erlebnis», sagt Keller. Und etwas, das er zu keiner Zeit unternommen habe, um sich oder anderen etwas zu beweisen, sondern schlicht und einfach aus Freude.

Diese Freude hatte ihn vor 30 Jahren schon gepackt, als er als erster Sportler überhaupt eine Langlauf-Himalaya-Expedition unternahm. Und diese Freude will der 63-Jährige heute als Bergführer, Organisationsberater und Mentalcoach auch anderen Menschen mit einer körperlichen Behinderung weitergeben. Seine eigene mentale Stärke hat Keller hauptsächlich während seinen Jahren in Kanada, wo er das Schreinerhandwerk erlernte und einen eigenen Betrieb führte, entdeckt und ausgebaut. Denn obwohl er schon von Grund auf ein lebensbejahender Mensch sei, hätten die Begegnungen und die Freundschaften mit den Indianern seine Lebenseinstellung gleich nochmals verändert. Vor allem der Schamane Bill Eagle Eye sei wie ein zweiter Vater für ihn geworden. Kontakt zu seinen kanadischen Freunden pflegt Keller auch heute noch, über elf Jahre nach seiner Rückkehr in die Schweiz. Auch leben seine beiden Töchter in Kanada. Und ja, vielleicht ziehe es ihn eines Tages sogar wieder zurück, sagt der schweizerisch-kanadische Doppelbürger etwas nachdenklich.

Doch zum aktuellen Zeitpunkt lebt Keller gemeinsam mit seiner Partnerin in Carrera, einem kleinen Weiler im Safiental, und betreibt dort die Kunstschreinerei «Hazelnut Art». Schaukelstühle, Lampen und Skulpturen stehen dabei ebenso im Angebot wie Holzmöbel mit eindrücklichen Schnitzereien. Ja, das Schreinern mache ihm auch heute noch grossen Spass.

Kellers Wunsch ist und bleibt es jedoch, daneben als Bergführer und Coach möglichst vielen anderen körperlich eingeschränkten Menschen bleibende Erlebnisse am Berg bieten zu können. «Ich möchte diesen Menschen Mut machen und mit ihnen das einmalige Gefühl der Freude teilen können», sagt er. Wenn jemand das schafft, dann Reto «Rey» Keller.

FB

Veröffentlichung: 18. Januar 2018 / Ausgabe 3/2018

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