Ein Roboter rückt alten Scheiben zu Leibe

Bevor der Roboter die alten Fensterscheiben ausfräsen kann, müssen die Fräsbahnen exakt definiert werden (Illustrationen). Bild: Quadra Ligna

Roboter.  Bei Quadra Ligna fräst ein Roboter die Scheiben aus den zu renovierenden Fenster- flügeln. Das Projekt in Zusammenarbeit mit der Berner Fachhochschule und Innosuisse zeigt: Die Digitalisierung kann auch in einem traditionellen Handwerksbetrieb die Arbeit erleichtern.

Alte Fensterflügel, die auf ihre Renovation warten, historische Beschläge, Scheiben aus Antikglas – und ein oranger Industrie-Roboter. In der Werkstatt eines traditionellen Fensterbauers wie Quadra Ligna in Basel, der auf die Renovation und Erhaltung historischer Fenster spezialisiert ist, würde man dies nicht unbedingt erwarten. Denkmalpflege und Robotik scheinen auf den ersten Blick wenig gemein zu haben. Doch der Schein trügt, denn der Roboter der Marke Kuka hilft tatkräftig mit, altehrwürdige Fenster zu renovieren und zu erhalten. Dabei setzt Quadra Ligna auf ein ausgeklügeltes Renovationssystem, bei dem die Aussenseite der Fenster mit einem massgefertigten Profil aus witterungsbeständigem Schweizer Eichenholz aufgedoppelt wird. So kann eine zusätzliche Glasebene eingesetzt und das Fenster danach lasiert oder gestrichen werden. Das Fensterglas wird durch eine Zwei- oder Dreifachisolierverglasung ersetzt, die auf die optimale Wärmedämmung und bei Bedarf für besondere Schallschutz- und Sicherheitsanforderungen wie Verletzungsrisikominimierung bei Glasbruch, Einbruchschutz oder Absturzsicherung ausgelegt ist. Eine umlaufende Dichtung macht das Fenster wind- und schlagregendicht. Die Fuge zwischen dem neuen Aufdoppelungsrahmen und dem historischen Bauteil ist nach unten entlüftet; so entweicht allfällige Feuchtigkeit. «Die Aufgabe des Roboters besteht darin, den holzigen Fensterflügelrahmen vom nicht mehr benötigten Glas zu trennen und Platz zu schaffen für das neue Isolierglas», erklärt Geschäftsführer Stephan Hasler.

Erhöhte Produktivität

Die Fräsbahnen lassen sich dank der digitalen Massaufnahme am Bau einfach und exakt generieren. Das Fenster wird auf einen Drehtisch platziert und mithilfe zweier Laserkreuze am richtigen Ort positioniert, Sauger fixieren es. Nun fräst der Roboter einen Rahmen im Abstand von zirka einem Millimeter rund um das Glas herum. Der Tisch bewegt sich dabei mit, und der Roboterarm ist so flexibel, dass er sowohl von der Ober- als auch von der Unterseite einen Schnitt setzen kann. So lässt sich ein ganzes Fenster ohne Umspannen bearbeiten. Eine Absauganlage nimmt den entstehenden Staub auf. Nach etwa zwei Minuten ist die Arbeit erledigt. Ein Mitarbeiter entfernt das Fensterglas aus dem Rahmen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: ein sauberer Schnitt in der exakten Position.

Keine Frage, das digitale Verfahren spart Zeit und erhöht die Produktivität: Bisher mussten zwei Mitarbeitende auf der Baustelle zusammenarbeiten, einer mass die Fenster aus, der andere notierte die Werte. Heute kann das ein Mitarbeiter allein erledigen, dank einer App mit Spracherkennung. Ist ein Fenster nicht rechteckig, wird mit einer kalibrierten Kamera die Geometrie direkt digitalisiert. Mit diesen Daten kann das Glas bestellt und das Fräsprogramm für den Roboter erstellt werden.

Verbesserter Gesundheitsschutz

Früher wurde das Glas von Hand herausgeschlagen, vom Kitt befreit und danach der Flügelrahmen ausgefräst. Problematisch dabei war, dass man nicht wusste, ob die alte Farbe bleihaltig ist und ob sich Asbest im Kitt befindet. Den Roboter hat Quadra Ligna nun so eingestellt, dass er das Glas ein bis zwei Millimeter hinter dem Kittfalz aus dem Holz fräst. So wird die Kittfuge nicht zerstört, sondern bleibt am Glas, was die Freisetzung von allfälligem Asbest minimiert. Die Arbeit des Roboters verbessert also auch den Gesundheitsschutz im Betrieb. Sollten trotzdem Schadstoffe freigesetzt werden, filtert sie eine Absauganlage aus der Raumluft. Inzwischen steht der Roboter bei fast jedem Projekt im Einsatz: «Er übernimmt beim Entfernen der Scheiben zirka 20 Prozent des Prozesses», verrät Hasler. «Bei Fenstern mit mehreren Spros-senkreuzen sogar noch mehr – dort beträgt die Zeitersparnis bis zu 50 Prozent.»

Eine Idee reift heran

Bis jetzt können nur eckige Fenster bearbeitet werden. Das nächste Ziel ist es, auch Bogenfenster zu fräsen. Und ausserdem soll der Prozessschritt der Glasbestellung noch vereinfacht werden. Weitere handwerkliche Aufgaben für den Roboter sind aber nicht geplant. Quadra Lignas sanftes Renovierungsverfahren mit dem Motto «Erhalten statt ersetzen» erfordert nach wie vor menschliches Know-how und Handwerk. «Die unattraktivste Arbeit übernimmt nun der Roboter, und wir können uns noch mehr auf das anspruchsvolle Handwerk konzentrieren», freut sich Hasler.

Know-how ist nicht zu ersetzen

Als der Inhaber des Unternehmens, Jochen Ganz, 2018 die ehemalige Firma Fenrefo übernommen hatte und aus ihr Quadra Ligna machte, hatte er die Vision einer vermehrt automatisierten Werkstatt. Mit der Fachhochschule Biel und dem Team um Professor Eduard Bachmann fanden sich die perfekten Partner für das Projekt. Bachmann und seine Mitforschenden haben sich schon länger mit der Digitalisierung im Holzbereich befasst. Die Entwicklung erfolgte mit ihrem eigenen Industrieroboter und dauerte rund zwei Jahre. Das Projekt wurde von Innosuisse, der schweizerischen Agentur für Innovationsförderung, unterstützt. Ganz schliesst nicht aus, dass in Zukunft weitere moderne Technologien in der Werkstatt Einzug halten werden: «Der Umgang mit Daten birgt auf jeden Fall grosses Potenzial – sowohl beim Generieren als auch beim Nutzen der Daten. Aber auch in den anderen Prozessschritten gibt es Ideen, die aber noch nicht spruchreif sind.»

Mitbewerber, die an einem solchen Roboter interessiert wären, muss Ganz enttäuschen: «Natürlich kann jeder einen Industriero- boter mit einer Frässpindel kaufen – wie wir im Detail damit umgehen, um den Effizienzgewinn zu realisieren, bleibt jedoch unser Betriebsgeheimnis.»

Taucht irgendwo ein Roboter auf, ist die Frage, ob dadurch Arbeitsplätze verloren gehen, nicht weit. Ganz winkt vehement ab: «Die Fähigkeiten unserer Mitarbeitenden sind der Schlüssel für die hohe Qualität unserer Fensterrenovationen. Der Roboter soll ihnen den Teil der Arbeit abnehmen, der handwerklich unattraktiv ist, und die Arbeitssicherheit erhöhen, aber das fundierte Know-how und die jahrelange Erfahrung sind durch nichts zu ersetzen.»

www.quadraligna.chwww.bfh.ch

Rahel Meister

Veröffentlichung: 26. Oktober 2023 / Ausgabe 43/2023

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