Ein Schlitten mit Servolenkung

Bei Schreiner Martin Brändli (48), Berufsbildner im Gewerblichen Bildungszentrum Weinfelden (GBW), lernen angehende Schreiner, wie man einen Rodel baut. Bild: Beatrix Bächtold

Mit seinem selbst gebauten Rodel ist Schreiner Martin Brändli schnell Mittelpunkt auf jeder Schlittelbahn. «So einen kann man nirgends kaufen. Er ist ein Unikat und man spricht mich häufig darauf an», sagt er und erzählt, dass er sein Kufenfahrzeug zur Sicherheit immer mit einem Veloschloss versehen parkt. Sein Rodel ist ein Augenschmaus und heiss begehrt. Er wirkt stabil und doch filigran, schwer und doch leichtfüssig. Anders als beim Schlitten, der wie ein Bock starr auf den ganzen Kufen rutscht, flitzt er auf den Kanten, ist dadurch präziser lenkbar und vor allem auf kurvigen Bahnen im Vorteil. «Rodel funktionieren nach dem Carving-Prinzip. Sie sind Schlitten mit Servolenkung», erklärt Brändli. Wenn der 48-jährige Familienvater dann auch noch erzählt, dass er diesen Einsitzer selbst gebaut hat, ist die Verblüffung der Schlittelwelt gross. Einen Rodel selber machen? Wie geht denn das? Martin Brändli gibt gerne Auskunft, und so hat er wohl schon tausend Mal erzählt, dass er Berufsbildner im Gewerblichen Bildungszentrum Weinfelden (GBW) ist. Seit sieben Jahren wird hier unter seiner Leitung jedes Jahr der Freikurs «Rodelbau» für zehn besonders interessierte angehende Schreiner angeboten. Der Kurs startet immer Anfang November. «Im Sommer Schlitten zu bauen, macht keine Stimmung», sagt Brändli. Die Jugendlichen kommen freiwillig an zehn Montagen nach Feierabend in den Kurs.

«Die jungen Schreiner geben selbst nach einem langen Arbeitstag richtig Gas. Sie sind so eifrig bei der Sache, dass ich sie oft ans Ende der Lektion erinnern muss», sagt er. Das nötige Holz spendiert in der Regel der Lehrbetrieb, Unterricht und Betreuung unterstützt das GBW, 80 Franken für Material und jede Menge Tatkraft steuern die Auszubildenden selber bei.

«Die Entstehung eines Rodels ist eine komplexe Arbeit, ja, man könnte sagen, eine Wissenschaft. Ich habe schon viele gemacht, aber es ist immer wieder faszinierend», sagt Brändli. Kufen und Holmen des Rodels werden in Schichtbauweise angefertigt. Dazu werden acht je 4 Millimeter dicke und 75 Millimeter breite Eschenholzlamellen abwechslungsweise mit eigenhändig rot eingefärbten Furnierblättern verleimt. Das gesamte Päckchen wird dann zum Formen auf eine spezielle Schablone gelegt und mit dieser zwölf Stunden lang auf dem Leimständer eingespannt. Dann wird ausgehobelt, gerissen und bearbeitet.

Kufen und Holme des Rodels ruhen auf zwei Jochen aus Birken-Multiplex, die vorher auf der CNC-Maschine ausgefräst und gebohrt wurden. Zusammengefügt werden die Einzelteile des Rodels mit Chromstahlschrauben, zuletzt werden die Kufen mit Leisten aus dieser rostfreien Legierung beschlagen.

In der Regel läuft die Produktion reibungslos, doch manchmal sind auch Rückschläge zu verarbeiten. «Die Statistik zeigt, dass durchschnittlich bei jedem Kurs eine der Leisten im Lamellenpäckchen beim Formen in der Schablone bricht», sagt Brändli.

Das Krachen tut dem Schreinernachwuchs jeweils richtig weh. Tröstlich ist, dass immer die spezifische Struktur des Holzes am Unglück Schuld ist, und nicht etwa der Handwerker. Und so lassen sich die angehenden Schreiner auch nicht entmutigen und fertigen kurzerhand einen Ersatz an. Zum Schluss bespannen sie ihren Rodel mit einem «Der Schreiner, Ihr Macher»-Sitztuch. Wie wahr, wenn man bedenkt, wie viel Arbeit in so einem Rodel steckt.

«Die Entstehung eines Rodels ist eine komplexe Arbeit, ja, man könnte sagen, eine Wissenschaft. Ich habe schon viele gemacht, aber es ist immer wieder faszinierend.»

beb

Veröffentlichung: 13. April 2017 / Ausgabe 15/2017

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