Eine stille, aber bunte Welt

Jakob Rhyner (58)ist gehörlos und verständigt sich mitunter in Gebärdensprache. Bild: Franziska Gertsch

Wenn Jakob Rhyner spricht, wirkt er ausdrucksstark, gewinnend und witzig. Manchmal macht er eine Grimasse, reisst die Augen weit auf oder lacht laut los. Man kann sich gut vorstellen, wie er sein Publikum bei Poetry-Slams zum Nachdenken, Staunen und Lachen bringt. Der 58-Jährige ist ein leidenschaftlicher Slammer und tritt seit zehn Jahren erfolgreich zum sprachlichen Wettkampf an. Selbstverständlich ist das nicht. Denn Rhyner ist gehörlos.

Das Gehör hat er als Zweieinhalbjähriger nach einer Gehirnhautentzündung verloren. Wie es ist, zu hören, weiss er nicht mehr. Seine Welt heute ist still. Und doch sei sie bunt und voller Glück, sagt der Vater zweier erwachsener Kinder, die beide hören. In seiner Freizeit ist er voll ausgelastet. Er spielt Fussball und engagiert sich als Obmann im Gehörlosensportclub Bern. Als OK-Präsident der Feierlichkeiten zum 75-Jahr-Jubiläum des Gehörlosenvereins Freiburg im kommenden Jahr ist er gerade sehr gefordert. Am Wochenende und in den Ferien ist Rhyner oft mit dem Motorrad unterwegs. Mit seiner 1500er Honda Goldwing fährt er etwa diesen Sommer nach Kroatien. Doch sein Leben war nicht immer einfach. Der Vater konnte mit der Behinderung seines Sohnes nicht umgehen. Die Mutter hingegen war ihm eine wichtige Stütze. Mit den Brüdern verständigte sich Rhyner mit Händen und Füssen. Nach der Schulzeit in einem Internat für Gehörlose lernte der Rheintaler in Schiers GR Schreiner. «Danach bin ich durch die halbe Schweiz und von Stelle zu Stelle gezogen.» Probleme bei der Stellensuche hatte er dank sehr guter Arbeitszeugnisse nie. Auch mit den Kollegen kam er stets gut zurecht. «Mit mir ist ja auch alles richtig. Ich habe einen Kopf und zwei Hände», sagt er und bricht in lautes Lachen aus.

Mittlerweile arbeitet Rhyner bereits seit 16 Jahren als Schreiner für Oberflächenbehandlung in einer Firma in Düdingen FR. Heute lebt er mit seiner Behinderung eigentlich gut. Er kann Lippen lesen und sich in Laut- und Gebärdensprache ausdrücken. Es sind kleine, alltägliche Probleme, die ihm zu schaffen machen. «Es wurmt mich, dass ich nicht Radio hören oder nicht mehr Gesprächen mit mehreren Leuten folgen kann», sagt er.

«Im Zug bin ich aufgeschmissen, wenn es eine Panne gibt und ich die Lautsprecherdurchsagen nicht hören kann.» Manchmal ist es auch schwierig, wenn er erstmals auf eine fremde Person trifft.

Manche Leute sind irritiert und wenden sich ab. Das frustriert ihn. Wenn man sich erst einmal an seine Sprechweise gewöhnt hat, kann man sich mit ihm gut unterhalten. Wird es kompliziert, dann greift er zu seinem grossen Smartphone, tippt in Windeseile das gesuchte Wort ein und streckt einem das Gerät entgegen.

«Das Smartphone erleichtert mir das Leben ungemein und ist zu meinem ständigen Begleiter geworden», sagt Rhyner. Er kommuniziert oft per SMS und WhatsApp, und dank Videotelefonie kann er gar jemanden «anrufen». Dennoch sind viele seiner Freunde und auch seine Freundin, die er nach der Scheidung von seiner Frau kennengelernt hat, gehörlos.

«Mit Gehörlosen kann ich mich am Ende halt doch einfacher verständigen als mit Hörenden», sagt Rhyner und lacht schallend.

«Es wurmt mich, dass ich nicht Radio hören oder nicht mehr Gesprächen mit mehreren Leuten folgen kann.»

fg

Veröffentlichung: 12. Juli 2018 / Ausgabe 28-29/2018

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