Endlich auf die Piste zurückkehren

Pistenpatrouilleur Martin Mathys (59) kann es kaum erwarten, die Krücken in die Ecke zu stellen. Bild: Sabine Schaller

Der Winter sei «abverheit», sagt Martin Mathys und meint damit nicht nur das wechselhafte Wetter. Statt für Sicherheit auf der Piste zu sorgen und sich um verunfallte Gäste zu kümmern, sitzt der stellvertretende Chef Pisten- und Rettungsdienst First am Bahnhof Grindelwald in einem Café. Das rechte Bein hat er im Gips. Ein unglücklicher Unfall – und dies zu allem Überfluss nicht auf der Piste, sondern im Büro.

Traurig sagt er: «Mir fehlen die Berge und meine Kolleginnen und Kollegen.» Bei der Arbeit ist das Unerwartete Routine. Es begegnet ihm jeden Tag auf der Piste. Dass er den Winter aber unverhofft im Tal verbringen muss, fällt ihm schwer. «Das war ein harter Schlag», sagt er. Viel leichter fällt ihm der Umgang mit den Launen der Natur. Sie zu beobachten und zu lesen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Pisten- und Rettungsdienstmitarbeiters. Neuschnee, Regen, Wind, Temperatur und Gelände geben Aufschluss darüber, ob Lawinengefahr besteht und welche Hänge gesprengt werden müssen, um die Pisten sicher zu machen. Etwa 1,5 Tonnen Sprengstoff setzt das Team um Mathys jedes Jahr dafür ein. Im Gebiet stehen vier Sprengtürme, die ferngesteuert bedient werden können. Oft muss Mathys die Lawine aber auch mit einer Handladung direkt im Gelände auslösen. Hat er dabei nie ein mulmiges Gefühl? «Eine gewisse Anspannung ist da. Das Risiko ist zwar kalkulierbar, aber es lässt sich nicht völlig ausschliessen», sagt er. Zudem haben immer häufiger auftretende, extreme Temperaturschwankungen und neue Windverhältnisse in den letzten rund zehn Jahren die Arbeit erschwert. «Während früher die Westwinde dominierten, sind es heute die Ostwinde. Das verändert den Schneeaufbau, wodurch andere Hänge als früher lawinengefährlich sind.»

Der 59-Jährige kann auf 16 Jahre Erfahrung zurückgreifen. Und trotzdem: Weil die Natur nur beschränkt berechenbar ist, lässt sich auch die Antwort auf die Frage «Sprengen – ja oder nein?» nicht präzis berechnen. «Solche Entscheidungen zu treffen, ist sehr nervenaufreibend», sagt Mathys, «dafür braucht es ein gutes Bauchgefühl.»

Der Mann aus Rothrist AG hatte sich schon als Kind in die Berge verliebt. «Mein Vater, der aus dem Emmental stammt, hat uns immer ins Berner Oberland zum Skifahren mitgenommen», erzählt er. Nach der Schreinerlehre zog es Mathys vorerst in die Ferne, 14 600 Kilometer über das Meer bis nach Australien, wo ihn Sonne, Wellen, Strand, warme Temperaturen und eine Stelle als Schreiner erwarteten. Aber selbst in Down Under zog es ihn schliesslich in die Berge. Im Perisher Valley, einem Skigebiet in New South Wales, heuerte er als Skilehrer an. Wohl gefühlt habe er sich da, sagt er. Aber das Heimweh nach den Schweizer Bergen sei stärker gewesen. Nach fünf Jahren kehrte er in die Schweiz zurück und ging nach Grindelwald. Dort arbeitete er im Winter als Skilehrer, später als Mitarbeiter beim Pisten- und Rettungsdienst First und im Sommer jeweils als Schreiner.

Vor zwei Jahren, als der Schreinerbetrieb Bankrott anmelden musste, wechselte er ganz zu den Jungfraubahnen. Sein Antrieb war stets die Liebe zu den Bergen. «Als Skilehrer konnte ich den Menschen die Freude am Skifahren weitergeben. Heute versuche ich dasselbe mit einer gut präparierten und sicheren Piste.»

Es ist Mathys anzusehen: In Gedanken ist er bereits in der nächsten Saison, wenn er wieder mit seinem Team auf der First unterwegs sein, Lawinen sprengen, Pisten markieren und Skigäste betreuen wird.

«Eine gewisse Anspannung ist da. Das Risiko ist zwar kalkulierbar, aber es lässt sich nicht völlig ausschliessen.»

sas

Veröffentlichung: 09. März 2017 / Ausgabe 10/2017

Artikel zum Thema

16. Mai 2024

Auch für guten Speck brauchts Holz

mehr
13. Mai 2024

Ein Nautiker für alle Fälle

Leute. Eigentlich hat Tom Hofer einen Beruf im Winter und einen im Sommer. Winters arbeitet der gelernte Schreiner als Abteilungsleiter der Schreiner und Zimmerleute in der Werft der BLS Schifffahrt AG in Thun BE.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Leute