Grosse Bühne für den Schreiner

Vom Modell zum Bühnenbild. Die Kenntnisse des Schreiners Michael Gerschwyler (33) sind dabei Gold wert. Bild: Beatrix Bächtold

Es ist schon etwas Wunderbares, wenn jemand seine Arbeit so sehr liebt, dass er sie gar nicht als Arbeit empfindet. Dies ist bei Michael Gerschwyler der Fall. Der Schreiner arbeitet als Bühnenbildner bei den Kammerspielen Seeb. «Millionär werde ich nicht, aber das nehme ich gerne in Kauf», sagt der 33-Jährige und lacht. Wie man zu so einem Traumjob kommt? Gerschwyler hat folgenden Tipp: «Man höre auf sein Herz und bleibe wach für alle Fügungen.» Denn zum Theater hat es ihn immer schon hingezogen, schon damals als Schuljunge, als er in seinem Wohnort beim Dramatischen Verein Stadel den Vorhang auf- und zugezogen hat. Später macht er eine Ausbildung zum Schreiner und arbeitet dann im Logistikbereich. Als er 2007 erfährt, dass die Kammerspiele Seeb einen Licht- und Bühnentechniker in Teilzeitanstellung suchen, bewirbt er sich. Anders als der Name vermuten lässt, befinden sich die Kammerspiele seit gut zehn Jahren nicht mehr im zürcherischen Seeb, indes im be- nachbarten Bachenbülach. Das historische Fabrikgebäude im Norden von Zürich ist für die renommierte Theatergruppe im Stil der Belle Époque ausgebaut worden. Roter Plüsch bedeckt den Boden und die 85 Fauteuils. Ein riesiger Kronleuchter schwebt über den Köpfen des Publikums.

Gerschwyler bekommt den Job als Techniker, verschweigt aber, dass er Schreiner ist. «Schreiner sind beim Theater begehrt und werden niemals Techniker», sagt er. Als dann eines Tages in einer Notfallaktion ein Bühnenbild benötigt wird, fliegt Gerschwyler auf. «In meiner Naivität habe ich zugepackt und alle staunten über meine Fähigkeiten», erklärt er.

Nun macht er mehr Bühnenbilder und ist ein gefragter Mann, wenn es um Holz geht. Denn während seiner Schreinerlehre hat er nicht nur den vielseitigen Werkstoff Holz kennengelernt. «Mein Lehrmeister hat mir kostbare Fähigkeiten vermittelt. In jenem Moment war ich mir aber nicht bewusst, was ich da geschenkt bekam», erklärt er. Schon als Lernender eignet er sich die Achtsamkeit gegenüber Menschen, Wünschen, Werkzeug und Material an und erfährt, wie wichtig es ist, genau hinzuhören und etwas ordentlich zu machen. «Heute profitiere ich davon. Der sorgfältige Umgang mit den Ressourcen ist entscheidend beim Überlebenskampf eines Kleintheaters. Verschnitt ist da ein böses Wort, weil man mit sehr begrenzten Mitteln möglichst viel Kunst erzeugen muss», sagt er.

Beim Entwurf der Bühnenbilder trägt er dem Charakter des Stückes Rechnung. In der zur Werkstatt umfunktionierten Garage wird mit einfachsten Mitteln improvisiert und produziert. «Ein Bühnenbild muss maximal ein halbes Jahr halten. Ich mache nur die Verpackung einer Illusion und schaffe damit einen Rahmen, der das Bild nicht übertreffen sollte», sagt er und erzählt dann einige Anekdoten aus der Rubrik «Pleiten, Pech und Pannen».

«Einmal sollte ein Tisch zusammenbrechen. Also sägte ich die Platte durch und montierte sie dann auf eine dünne Sperrholzplatte, die durchkrachen sollte, sobald der Schauspieler darauf stürzt», erzählt Gerschwyler. Während der Probe weigerte sich der Tisch allerdings standhaft dagegen zu brechen.

Und einmal, bei King Kong, wurde ein riesiger Affenkopf zu schwungvoll an den Schiebetürscharnieren bewegt, eine Schraube brach, der Kopf stürzte zu Boden. «Das Publikum war begeistert von der Punktgenauigkeit und wir waren froh, dass das Missgeschick erst bei der Dernière des Stücks passierte.»

«Mein Lehrmeister hat mir kostbare Fähigkeiten vermittelt. In jenem Moment war mir aber nicht bewusst, was ich da geschenkt bekam.»

BEB

Veröffentlichung: 02. März 2017 / Ausgabe 9/2017

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