Holz, eine Leidenschaft fürs Leben

Adi Rüegg (28) hat aus seinem ehemaligen Kinderzimmer eine kleine Drechslerei gemacht. Bild:Beatrix Bächtold

Hoch über Kaltbrunn im Kanton St.Gallen legt sich die Nacht vor den Fenstern des 30-jährigen Holzhauses wie ein Schleier über den verschneiten Wald. Drinnen, in der kleinen Werkstatt, begibt sich Adi Rüegg an seine Drechselbank, um dort mit der Schruppröhre einem rotierenden Rohling zu Leibe zu rücken. Bald schon beginnt das Stück Nussbaumholz die Gestalt eines Tellers anzunehmen. Und während das Motörchen munter summt und brummt und die Späne fliegen, erinnert sich Rüegg, wie ihn die Arbeit einer Drechslerin als Kind in den Bann gezogen hatte. Dies bei einem Besuch an der Olma, der Schweizer Messe für Landwirtschaft und Ernährung. «Es faszinierte mich zu sehen, wie schnell etwas Schönes aus einem kleinen Stück Holz entstehen kann.» Weil die alte Kunst eher eine Nische darstellte und die Ausbildungsplätze rar waren, rieten ihm seine Eltern zu einer anderen hölzigen Ausbildung. Und so startete Rüegg bei der Schreinerei Kaufmann AG im drei Kilometer entfernten Gommiswald eine Lehre als Schreiner. Weil ihm das Drechseln nie ganz aus dem Kopf ging, besuchte er fünf Jahre nach Lehrabschluss einen Kurs im Drechselzentrum Reichenburg. «Neben der Theorie braucht es zum Drechseln vor allem Übung. Man muss schon genau hinhören und auch die Kraft sorgfältig einsetzen. Dieses Fingerspitzengefühl entwickelt sich erst mit der Zeit», sagt er. Mittlerweile hat Rüegg weit über hundert Objekte hergestellt. Einige hat er auf Märkten verkauft und viele an Familie oder Freunde verschenkt.

Und auch in seiner Wohnung begegnet man Schalen aus uraltem Eibenholz, Kugeln aus Nussbaum oder Gefässen, an denen noch die Rinde des Baums sichtbar ist. An einer Schale aus Buchenholz zeichnen sich schwarze Linien im Landkartenmuster ab. «Diese Buche wurde gefällt und vergessen. Als dann später dem Holz beim Trocknen die Feuchtigkeit entzogen wurde, blieben nur noch die Spuren des Pilzbefalls übrig. Das sieht doch apart aus», sagt er. Die Einzelstücke mit dem Markenzeichen AR hätten das Zeug dazu, exklusive Kundschaft in noblen Geschäften anzusprechen. Doch für den Schreiner ist und bleibt das Drechseln als Hobby eines der Kapitel seines hölzernen Lebenslaufs. Ein Kapitel wie seine zweite Ausbildung als Forstwart mit der naturwissenschaftlichen Berufsmaturität oder das Vollzeitstudium an der Holzfachschule Biel, wo er sich gerade im dritten Semester zum Schreinertechni- ker Innenausbau befindet. Am Drechseln gefällt Rüegg das Prinzip der Nachhaltigkeit. Aus Respekt vor der Natur, die das Holz wachsen liess, und der Arbeit, die dahintersteckt, bis aus einem kleinen Bäumchen ein grosser Baum wird, versucht er möglichst viel aus dem Stamm herauszuholen. «Wenn mein Urgrossvater einen Baum pflanzt, mein Grossvater und mein Vater ihn hegen und pflegen, und ich ihn fälle, hat es drei Generationen gebraucht, bis ich unter Umständen etwas daraus machen kann», erklärt er seine Gedanken. Im Drechseln sieht er eine Möglichkeit, auch kleinste Stücke eines Stamms zu verwerten.

Die Ideen zu neuen Werken kommen ihm oft ganz spontan, manchmal entstehen sie auch, wenn er ein spezielles Stück Holz in die Finger bekommt, oder er stösst irgendwo im Internet auf sie. Meistens kann der Hobbydrechsler sie auch so ausführen, wie er es geplant hat. Ganz selten passiert es aber auch, dass sich der kreative junge Mann so sehr ans Limit wagt und so dünn drechselt, dass es «peng» macht und zu einem Durchbruch kommt. Doch auch in diesem Fall setzt Rüegg auf Nachhaltigkeit. Mit einem Schmunzeln sagt er: «Ab ins Cheminee. So wird wenigstens noch heisser Kaffee oder Tee daraus.»

«Es faszinierte mich zu sehen, wie schnell etwas Schönes aus einem kleinen Stück Holz entstehen kann.»

Beatrix Bächtold

Veröffentlichung: 02. Februar 2021 / Ausgabe 6/2021

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