Holz hat mein Leben begleitet

Drechsler René Frei (70) erlangte in kurzer Zeit hohe Fertigkeiten und gibt seine Leidenschaft nun an die jüngere Generation weiter. Bild: Manuel Fischer

Das kleine weissgetünchte Haus in der Waldlichtung Rüsler oberhalb von Neuenhof AG klebt an einem Hang und könnte auch in einem Märchen vorkommen.

Dreht man sich einmal um seine Achse, ist der Blick frei aufs Limmattal. Eine schmale Aussentreppe führt zum Eingang. Man betritt zuerst den Vorraum. Hier sind zahlreiche grössere und kleinere, fein gedrechselte Objekte aus Buchen-, Zwetschgen- oder Wildkirschenholz zu bestaunen: Vasen, Kerzenständer, Pfeffermühlen, von Stofftierchen bewohnte Vogelnester. Bevor man die Durchgangstür zur kleinen Werkstatt erreicht, hört man bereits das Zischen, Zirpen, Raspeln und Röhren der Drechselbank. Es wird fleissig gearbeitet. An jenem Tag hat der leidenschaftliche Drechsler René Frei Besuch. In Begleitung zweier Lehrerinnen sind drei Oberstufenschüler zu ihm gekommen, um eine für sie noch fremde Tätigkeit kennenzulernen. Ein Werkstück ist in die Drechselbank eingespannt. Einer der Schüler hält die sogenannte Röhre, mit der das Werkstück bearbeitet wird, mit beiden Händen, wobei er mit der linken Faust gegen die Handauflage stösst. Aus Bewegungen der rechten Hand heraus wird der unfertige Gegenstand geschnitten, geraspelt oder geschliffen. Aller Anfang ist schwer. «Ich muss zum Teil mit euch auf Tuchfühlung gehen», entschuldigt sich Frei und warnt auch vor Gefahren: «Deine Führungshand ist wichtig. Wenn du falsch an das Werkstück herangehst, schlägt es dir womöglich das Werkzeug aus den Händen.» Durch die Rotation und den Druck können recht starke Kräfte auf das zu bearbeitende Werkstück wirken.

Das Arbeiten mit Holz erfordert vom Drechsler feines Gespür, Augenmass und eine kontrollierte Körperhaltung. «Das einzige, was wir nicht brauchen können, ist rohe Kraft.» Geduldig wiederholt er seine Anweisungen: «Gut stehen, den Arm langsam heben, den Oberkörper leicht nach vorne neigen.»

«Ich bin eigentlich ein nervöser Mensch», sagt Frei. «Drechseln ist der Ausgleich. Das Arbeiten mit Holz beruhigt mich.» Der mittlerweile 70-Jährige wuchs auf einem kleinen Bauernhof auf; schon der Vater reparierte hölzerne Karren. «Ich bin gelernter Forstwart, verliess aber den Beruf, da in den 60er-Jahren der Lohn auf dem Bau besser war», sagt er auf die Frage zu seiner beruflichen Laufbahn. «Holz hat aber immer mein Leben begleitet.» Da und dort arbeitete er als Dachdecker und Zimmermann, später in der Logistik und in der Metallbranche. Seine Liebe zum Werkstoff Holz flackerte auch bei privaten Gelegenheiten auf.

So baute er einst eine wuchtige Holzrampe, die vom Sohn einer Freundin mit einem Kickboard befahren werden konnte. «Eines Tages kam ich an einer Chilbi mit einem Drechsler ins Gespräch. Ich war fasziniert und wusste sofort: Das ist genau mein Zeitvertreib nach der Pensionierung.»

Die Drechselbank war schnell erworben. Doch wie sich die Handfertigkeit aneignen? Frei besuchte Einführungs- und Zusatzkurse im Freilichtmuseum Ballenberg und in der Freizeitanlage Loreto in Zug. «Der Lehrmeister, den ich bei der Firma Answerk hatte, konnte einem mit bewundernswerter Ruhe an dieses Handwerk heranführen», sagt Frei. «Ich habe einen guten Draht zu ihm und frage ihn öfters um Rat.»

Nun gibt Frei das Handwerk selber weiter und unternimmt alles, damit seine Schüler stolz mit einem gedrechselten Gegenstand nach Hause gehen können. «Ich bin jeweils nudelfertig am Abend. Aber es ist eine gute Müdigkeit. Ich arbeite gerne mit jungen Menschen zusammen.»

«Ich bin eigentlich ein nervöser Mensch. Drechseln ist der Ausgleich. Das Arbeiten mit Holz beruhigt mich.»

maf

Veröffentlichung: 09. November 2017 / Ausgabe 45/2017

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