"Ich bin als Turner geboren"

Thomas Stüdeli (47) arbeitet beim regionalen Leistungszentrum in Kunstturnen in Solothurnals Cheftrainer. Bild: Franziska Herren

Leute. Er selbst schaffte es nicht bis ganz nach oben. Mit 16 Jahren verletzte sich Thomas Stüdeli bei einem Sturz vom Barren am Ellbogen und musste für längere Zeit das Kunstturnen unterbrechen.

«Ab diesem Zeitpunkt war klar, dass es nicht bis ins Kader reichen würde», erinnert er sich. «Doch früher oder später wäre ich wohl auch sonst an diesen Punkt angelangt.» Das Training und die Infrastruktur seien nicht so professionell gewesen, dass er es bis in die Nationalmannschaft hätte schaffen können. Der Weg, der sich daraus ergeben habe, sei aber der richtige für ihn, stellt Stüdeli fest. «Ich bin als Turner geboren.» Sein Grossvater sei ebenfalls ein angefressener Turner gewesen und habe ihn manchmal an Wettkämpfe mitgenommen. Das spornte den Enkel schon in jungen Jahren an. Er wurde immer besser, und die Trainings wurden immer intensiver. So verbrachte Stüdeli bis zu zwölf Stunden pro Woche in Turnhallen – und dies ohne Stundenerleichterungen in der Schule. «Das Kunstturnen ist vielseitig», schwärmt er. «Mal ist man in der Luft, dann wieder am Boden, mal steht man auf den Beinen, dann auf den Händen.» Stüdeli hat ursprünglich eine Schreinerlehre gemacht und danach in einer Antikschreinerei gearbeitet. «Eine schöne Arbeit, die leider fast nicht bezahlbar ist», sagt er. «Es sind Schmuckstücke, die man bearbeitet, und das faszinierte mich.» Doch irgendwann intensivierte sich der Sport immer mehr. Heute turnt er selbst nicht mehr, sondern trainiert als Cheftrainer beim regionalen Leistungszentrum in Kunstturnen in Solothurn Jungs, die es ganz nach oben, das heisst in die Nationalmannschaft, schaffen möchten. Es sind 10- bis 20-Jährige, die in Talentklassen, Sportgymnasien oder Sportlehren Kunstturnen als Leistungssport trainieren.

«Diese jungen Leute sind motiviert und engagiert. Sie haben ein grosses Ziel vor Augen und brennen für das Kunstturnen», erklärt Stüdeli. Genau das sei das Schöne an seinem Job. Momentan begleitet er die Hochs und Tiefs von sechs jungen Athleten. Besonders herausfordernd sei es, wenn sich einer verletze und für längere Zeit nicht voll trainieren könne – eine Situation, die Stüdeli aus seinem Leben kennt. «In diesem Fall sinkt die Motivation immer sehr, und für einige Junioren bricht eine Welt zusammen.» In diesen Momenten sei es wichtig, dass die Trainer da seien und die jungen Leute spüren lassen, dass sie nicht alleine sind. Die Leistungssportler verbringen viel Zeit zusammen und unterstützen sich – auch wenn sie an Wettkämpfen Konkurrenten sind. «Wir sind eine gute Turnerfamilie, und jeder mag dem andern den Erfolg gönnen.» Ob jemand Talent hat, merkt man oft schon früh. Wenn sich zeigt, dass ein Junior den Weg nach oben nicht schaffen kann, besprechen die Trainer dies mit ihm und den Eltern. «Einige Eltern haben Mühe, das zu akzeptieren», erzählt Stüdeli. Doch es bringe nichts, auf Biegen und Brechen etwas zu fordern, das die jungen Menschen überfordere.

Der in Bellach SO wohnhafte Stüdeli ist nicht immer in der Turnhalle anzutreffen. Der 47-Jährige arbeitet 30 Prozent als Geschäftsleiter der Solothurner Wanderwege. Das Wegnetz, für dessen Unterhalt und Pflege er zuständig ist, umfasst über 1300 Kilometer. «Kleinere Arbeiten an den Wanderwegen verrichte ich selbst, wie Treppenstufen ersetzen oder morsche Brücken ausbessern.» Dabei hilft ihm das Know-how als Schreiner. Die Arbeit draussen bei den Wanderwegen ist die perfekte Ergänzung zu jener drinnen in der Turnhalle.

«Das Kunstturnen ist vielseitig. Mal ist man in der Luft, dann wieder am Boden, mal steht man auf den Beinen, dann auf den Händen.»

Franziska Herren

Veröffentlichung: 13. Februar 2023 / Ausgabe 6/2023

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