Kanufahren war nie sein Ziel

Montageleiter Johann Jaunegg (52) ist im Corona-Lockdown zum Kanubauer geworden. Aktuell plant er sein fünftes Boot. Bild:PD

Leute. «Bleiben Sie zu Hause!» – Johann Jaunegg kam der Aufforderung von Bundesrat Alain Berset nach. Die Pandemie hatte Fahrt aufgenommen, es galt, Kontakte zu beschränken.

Also sass der 52-Jährige im Frühling 2020 in seiner Stube in Mönchaltorf ZH und schaute sich eine Dokumentation im Fernsehen an. Thema: «Handwerkskunst. Wie man ein Kanu baut.» Mit wachsendem Interesse verfolgte der gelernte Schreiner – «Tischler», sagt der gebürtige Österreicher –, wie Bootsbauer Jürgen Dosch Schritt für Schritt sein Kanu fertigte. Und mit dem Kanu im Film wuchs Jauneggs Entschluss: Das wollte er auch ausprobieren. «So schwer kann es ja nicht sein», sagte er sich, nachdem er einige Filme auf YouTube konsultiert hatte.

Dass er bis dato weder eine Minute in einem Kanu verbracht hatte, noch etwas von Bootsbau verstand, kümmerte ihn nicht. «Das Fahren war nie mein Ziel», erzählt er heute, rund drei Jahre später, am Esstisch. «Und von Kanus hatte ich keine Ahnung», fügt er an und lacht entwaffnend. Für ihn sei das Ergebnis ohnehin zweitrangig gewesen. «Den Prozess finde ich immer viel interessanter als das Produkt. Wenn andere zum Beispiel eine Skulptur betrachten, sagen sie: ‹Wow, schön.› Ich hingegen will wissen: Wie wurde sie gemacht?» Er müsse immer etwas machen, sagt Jaunegg über sich.

«Nur wenn ich es ausprobiere, weiss ich, ob es funktioniert.»

Gross Gedanken mache er sich im Vorfeld keine. «Wieso denn? Nur wenn ich es ausprobiere, werde ich erfahren, ob es funktioniert.» Und so war es auch bei der «Mission Kanu». Kaum begonnen, tat sich die erste Hürde auf: Die Suche nach den einzelnen Teilen entpuppte sich als Herkulesarbeit. Als er das Material endlich beschafft und damit viele neue Fachbegriffe gelernt hatte, machte sich der Neo-Kanubauer zunächst im Keller an die Arbeit. Bald stellte sich heraus: Der Keller war viel zu klein für den geplanten «Kanadier», und Jaunegg zügelte sein Kanuprojekt in die grosszügigeren Hallen seines Arbeitgebers, der Pendt AG in Gossau ZH.

Rund 120 Arbeitsstunden investierte er in seiner Freizeit in den Bau seines Erstlings. Eine reiche Lehrzeit sei es gewesen, blickt er zurück: So habe er festgestellt, dass verknüpfte Verbindungen ein viel effizienteres Arbeiten zulassen als geleimte, weil die Trocknungsphasen wegfallen. Oder dass Vernähen mit einer Kederschnur zu einer «einfachen, sauberen, schönen Sattlernaht» führt.

Seine Informationen bezog er vor allem aus dem Internet, doch das Gros war «Learning by doing»: Als er beim Kanadier die gedämpften Leisten biegen wollte, brach der erste Bogen aus Fichtenholz. Dann der zweite. Jaunegg holte sich Rat bei einem Kollegen. Der empfahl ihm, Esche zu nehmen. Das hiess: in Sachen Bogen zurück an den Start.

Im August 2020, nur vier Monate nach Baustart, war es geschafft. Für die Wassertaufe wählte Jaunegg den Thunersee, wo seine Schwägerin wohnt. Sie wollte ihn begleiten. «Tut das nicht! Dort fahren so viele Schiffe, dort gibt es so viele Wellen», wurden sie gewarnt. «Wir gingen natürlich trotzdem und sind prompt gekentert!», sagt der Montageleiter mit einem Grinsen.

Es blieb nicht bei der Jungfernfahrt: Nach Feierabend packt er gerne sein jüngstes Boot in den Veloanhänger, pedalt zehn Minuten zum Greifensee und paddelt alsbald dem Sonnenuntergang entgegen. «Das entspannt total!» Inzwischen gehören vier Kanus zu seinem Sortiment: Auf den Kanadier folgten drei Kajaks.

Er ist bereits mit seinem fünften Projekt beschäftigt: ein Kinderboot, für die Nichte oder den Neffen. «Ich bin gespannt, ob es funktioniert», sagt der inzwischen erfahrene Kanubauer – und freut sich auf den neuen Prozess.

Franziska Hidber

Veröffentlichung: 01. Mai 2023 / Ausgabe 17/2023

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