Kräftemessen als Ausgleich

Thomas Emmenegger (26) trainiert pro Woche vier bis sechs Stunden für seine grösste Leidenschaft: das Seilziehen. Bild: PD

Um seiner liebsten Freizeitbeschäftigung nachzugehen, braucht Thomas Emmenegger ein 33,5 Meter langes Seil, Schuhe, die an der Ferse mit Eisenplatten versehen sind, einen dicken Ledergürtel, der um den Bauch reicht, und etwas Harz für die Handballen. Und daneben ist er auf eine Reihe Kumpels angewiesen, die mit ihm ihre Kräfte messen wollen.

Der 26-jährige Schreiner aus Waltenschwil AG übt sich seit über zehn Jahren in einer nicht alltäglichen Sportart: Er trainiert in der Elite-Mannschaft des Seilziehclubs Waltenschwil-Kallern in der Gewichtsklasse 580 Kilogramm. Auf den Geschmack gekommen ist er durch Schülerplauschturniere in seinem Heimatdorf. Emmenegger ist gross, schlank und athletisch. «Man muss viel tun, damit der Körper für das Seilziehen fit ist. Es braucht eine trainierte Beinmuskulatur, einen starken Rumpf und viel Kraft in den Armen», erklärt er. Jede Woche trainiert er vier bis sechs Stunden Kraft, Ausdauer und Kondition. «Das Seilziehen ist für mich ein wichtiger Ausgleich.» Hie und da muss er sich aber dennoch überwinden, nach einem langen Arbeitstag in der Schreinerei noch zwei Stunden zu trainieren. Doch die Aussicht, im Training seine besten Freunde zu sehen, spornt ihn an. «Wir haben ein gutes Verhältnis untereinander, ziehen am gleichen Strick. Diese Zusammengehörigkeit bedeutet mir sehr viel.»

An sechs Turniertagen im Jahr misst sich die achtköpfige Mannschaft mit rund zehn gegnerischen Teams. Als Erstes heisst es: auf die Waage stehen. Wiegen die acht Männer mehr als 580 Kilogramm, ziehen sie sich kurzerhand ein Regenkostüm an und joggen das überschüssige Gewicht weg.

Vor dem Wettkampf steht die Mannschaft jeweils kurz zusammen. Die Männer nehmen sich vor, entweder taktisch vorzugehen, auf Angriff zu ziehen oder einfach Plausch zu haben. «Mit Freude und Spass an den Wettkampf heranzugehen, funktioniert meist am besten.» Dann reihen sich die Männer ein: Zuhinterst steht der Ankermann. Er ist der Einzige, der das Seil um den Körper geschlungen hat. Es folgen die Positionen sieben bis eins. «Seil auf!», ruft der Schiedsrichter. Die Athleten fassen auf diesen Befehl hin das Seil. Beim nächsten Kommando «spannen» schlagen alle Seilzieher gleichzeitig den Absatz ihrer Schuhe in den Boden und spannen das Seil in Hüfthöhe.

Beim Ruf «pull» beginnt der Wettkampf. Wenn einer der Athleten absitzt, sich mit der Hand auf dem Boden abstützt, das Seil auf dem Oberschenkel einklemmt oder dieses mit den Händen nachgreift, so wird die Mannschaft verwarnt. «Hösch, hösch, hösch!», rufen die Männer bei jedem Schritt. Im Gleichschritt zu sein, ist genauso wichtig, wie die gleiche Haltung einzunehmen. Ohne Harmonie ist kein Wettkampf zu gewinnen. «Ich bin ein Perfektionist und versuche, jedes Mal meine Technik zu verfeinern. Auch bei der Arbeit bin ich nicht zufrieden, wenn ein Gegenstand einfach nur gut aussieht. Für mich müssen auch die Details stimmen.»

Durch das Seilziehen ist Emmenegger bereits in der ganzen Welt herumgekommen. Eben erst reiste er nach Südafrika an die Weltmeisterschaften, um mit einem Schweizer Club in der Kategorie 560 Kilogramm gegen internationale Mannschaften anzutreten.

Durch das Seilziehen hat er auch seine Freundin kennengelernt, welche in der Frauennationalmannschaft ist. Der Sport ist für ihn also nicht nur für den Körper wichtig, sondern auch für Herz und Seele.

«Ich bin ein Perfektionist und versuche, jedes Mal meine Technik zu verfeinern. Für mich müssen auch die Details stimmen.»

fh

Veröffentlichung: 25. Oktober 2018 / Ausgabe 43/2018

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