Leben zwischen Kunst und Freude

Die rote Schirmmütze ist das Markenzeichen von Yvan Pestalozzi (79). Der gelernte Schreiner ist für seine Metallplastiken und die spielerische Leichtigkeit seiner Kunst bekannt. Bild: Beatrix Bächtold

Dieses Holzstühlchen hat es wirklich in sich. Auf Schalterdruck klappen seine Beine zur Seite, seine Lehne hebt ab, seine Sitzfläche driftet in die Luft. Und so konfus wie sich der Stuhl zerpflückt, fügt er sich am Ende wie durch Geisterhand wieder zusammen. Diese Choreografie ermöglicht eine Mechanik unter dem Sitz-möbel. Ausgetüftelt hat die Rädchen und Kettchen, die mit ihrem Ineinandergreifen Bewegungen auslösen, der Metallplastiker Yvan «Lozzi» Pestalozzi. Zu entdecken ist das Wunderwerk in seiner Ausstellung hoch über dem Zürichsee in Wald. Hier regen 60 Exponate, zum grössten Teil beweglicher Art, zahlreiche Gäste jeden Alters zum fröhlichen Staunen, Schmunzeln und Spielen an. «Man spielt nicht mehr, weil man älter wird – man wird älter, weil man nicht mehr spielt», hat der Künstler an die Wand gepinselt. «So viel Poesie, so viel Witz, so viel Genialität lässt uns nur staunen. Wir freuten uns kindlich – auch wenn wir im AHV- Alter sind», unterstreicht der Eintrag im Gästebuch einer Lozzi-Ausstellung die Aussage des Künstlers. In Pestalozzis Augen flackert Entdeckungslust. Man erahnt einen Vulkan, der wohl ewig Kreativität hoch in die Luft katapultieren wird. «Ich bin seit jeher ein neugieriger Mensch, interessiert an allen Phänomenen und Spuren des Lebens», sagt er. Ursache und Wirkung, auch die von «Gut und Böse», beschäftigen ihn. Berühmt und berüchtigt ist sein «Traumpaar». Es zeigt den Teufel beim Tanz mit einem Engel.

Neben reichlich Himmelsboten findet man in Pestalozzis Kunst auch andere Flugobjekte wie zum Beispiel Mücken. «Weil meine Leidenschaft das Fliegen ist», erklärt er und berichtet, dass er sowohl das Segelflug- brevet als auch die Privatpilotenlizenz besitze und im Alter von 70 Jahren einen einsitzigen Motorsegler erworben hat. «Bis vor Kurzem bin ich noch intensiv geflogen», sagt der bald 80-Jährige und berichtet, dass er momentan, der vielen Projekte wegen, weniger ab- hebe. Einige seiner Objekte sind tonnenschwer, wie zum Beispiel der «Wolkenhüpfer». Diese Spielplastik hat während Jahrzehnten auf der Besucherterrasse des Zürcher Flughafens zum Herumturnen eingeladen, jetzt ruht sie sich auf einem Klotener Kreisel aus. Auf der ganzen Welt drehen sich Pestalozzis imposante Windspiele vor Banken und Hotels, vor Altersheimen und Spitälern. Die bunte Riesen- schlange «Lozziwurm» platzierte die Fondation Beyeler 1973 vor den Eingang der Basler Kunstmesse «ART». «Denken wie ein reifer Mensch – sich freuen können wie ein Kind», ist das Motto von Pestalozzis Website. Die meisten seiner Werke sind aus Metall, obwohl der Künstler ursprünglich in der Lehrwerkstätte für Möbelschreiner in Zürich (LWZ) Schreiner gelernt hat. Er wollte Innenarchitekt werden, und dazu benötigte er die Schreinerlehre.

«Rückblickend merke ich, dass diese Ausbildung für meine spätere Arbeit von grossem Wert war», sagt er. Bei der Ausbildung zum Schreiner hat er den Umgang mit verschiedenen Materialen und Werkzeugen sowie dreidimensionales Denken kennengelernt. «Hier wurden mir alle handwerklichen Fertigkeiten vervollständigt», erzählt er und macht mit seinen Händen eine Bewegung, so als wolle er eine Kugel streicheln.

Seit 50 Jahren steuert Pestalozzi seine Bedürfnisse so, dass er von der Kunst leben kann. Und wenn er gerade nicht Kunst macht, so spielt er mit seiner Frau Christine eine Runde Backgammon. Das Spielbrett im aufklappbaren Holzköfferchen zeigt Spielspuren – Spuren eines Lebens zwischen Kunst und Freude.

«Ich bin seit jeher ein neu- gieriger Mensch, interessiert an allen Phänomenen und Spuren des Lebens.»

BEB

Veröffentlichung: 06. Oktober 2016 / Ausgabe 40/2016

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