Lebenskünstler oder Tausendsassa

Der gelernte Schreiner Sämi Raimann (47) hat massgeblich dazu beigetragen, den Inline-Skate-Sport in die Schweiz zu bringen. Bild: Caroline Schneider

«Damit ernähre ich meine Familie», sagt Sämi Raimann und zeigt auf die Beete mit Kartoffeln, Karotten und Bohnen. Er geniesst es, sich im verwunschenen Garten hinter dem ehemaligen Zuger Bahnwärterhäuschen, wo seine Firma, die «go five Gmbh», beheimatet ist, aufzuhalten. «Um 6 Uhr morgens gehe ich jeweils in den Garten und lasse meine Hände durch die Erde gleiten, bevor ich mich an den PC setze.» Vor dem Eingang des Bahnwärterhäuschens thronen fünf hohe Steinplatten. Eine Art «Little Stonehenge». Links davon steht ein alter, gelber Schulbus, den Raimann aus den USA mitgebracht hat. «Ein Freund von mir hat ihn in einen Snowboardladen umfunktioniert und verkauft hier selbstgemachte, massgefertigte Snowboards.» Danach geht es ins Innere des Häuschens. Es erinnert an Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt. Doch: Alle Objekte, die hier zu sehen sind, kann man kaufen.Im Parterre hat der ehemalige Schreiner ein Sitzungszimmer mit einem grossen Eibentisch eingerichtet. Seine Hände gleiten behutsam über das Holzblatt mit den tiefen, schwarzen Rissen. «Ich liebe Eibenholz. Es ist hart, wild und lebendig», sagt der quirlige 47-Jährige. Er hat Augen, die an ein Eisbonbon erinnern. Dann zeigt er auf ein Möbel. «Das hier ist meine Schreiner-Abschlussarbeit, die ich vor 26 Jahren gemacht habe», sagt er, und ein leiser Stolz schwingt mit.

Gleich daneben steht eine Glasvitrine mit Outdoor-Utensilien. Raimann greift sich ein archaisch anmutendes Sackmesser. «Das ist aus dem Zahn eines Buckelwals angefertigt. Ein Zuger, der nach Kanada ausgewandert ist, stellt diese Einzelstücke für mich her.»

Im Obergeschoss ist ein kleines Einkaufsparadies für Sportlerherzen und Outdoor-Freaks untergebracht. Man entdeckt Schneeschuhe, Inline-Skates und Zubehör, solarbetriebene Taschenlampen, Gadgets fürs Biwakieren, Kletterseile. «Wir bieten 1:1-Beratung. Ich kann fast alles besorgen, was man braucht.» Dann zeigt Raimann sein Büro. Seit über 20 Jahren arbeitet er für die Firma Rollerblade. Er öffnet einen Schrank, der zum Bersten voll ist mit Papierstapeln. Sie erzählen Geschichten seiner 25-jährigen Inline-Skate-Karriere. Er zieht ein Stück Papier aus dem Stapel: ein vergilbtes Porträt über den jungen Skater aus der Schweizer Illustrierten. Raimann hat Inline-Skating Anfang der 90er-Jahre in der Schweiz salonfähig und zum Breitensport gemacht. Für Rollerblade arbeitete er zuerst als Athlet und auch als Promoter, später als Manager. Heute hat seine Firma «go five» ein Mandat von Rollerblade. «Ich bin Berater und leite das Marketing.» Zum Schluss des Rundgangs steigt man hinab ins Untergeschoss, wo sich ein alter Gewölbekeller befindet. In den Gestellen an den Wänden türmen sich Wein- flaschen. «Diese Räume vermieten wir für Feste oder veranstalten Weindegustationen», sagt der eloquente Gastgeber und lacht, als er in das leicht verwirrte Gesicht der Besucherin blickt. Was um Himmels willen macht eigentlich «go five»? «Mir geht es nicht ums Verkaufen. Ich möchte Menschen ein emotional nachhaltiges Erlebnis bieten.»

«Go five» ist eine Plattform für Lebenskünstler, das Bahnwärterhäuschen eine grosse WG, zusammengesetzt aus verschiedenen Persönlichkeiten. Eines haben sie gemeinsam: Sie haben ihr Hobby zum Beruf gemacht. Die Themen Sport, Natur, Kunst und Bewegung vereinen sie zu einem Kompetenzzentrum, in das sie ihr Know-how und ihre Begabungen einfliessen lassen. «Wir alle wollen Menschen bewegen und vernetzen», fasst es der umtriebige Zuger zusammen.

«Mir geht es nicht ums Verkaufen. Ich möchte Menschen ein emotional nachhaltiges Erlebnis bieten.»

cs

Veröffentlichung: 13. Oktober 2016 / Ausgabe 41/2016

Artikel zum Thema

27. Mai 2024

Tixer87 brettert über den Rundkurs

Leute. Die Fans auf der Tribüne sind parat. Kevin Tix hört sie jubeln. Es ist heiss hier in Budapest.

mehr
20. Mai 2024

Auch für guten Speck brauchts Holz

Leute. Seinen Bastelraum im Keller nutzt Simon Schifferle nicht fürs Schreinern. Er baut darin auch keine Modellflugzeuge und stellt keine Modelleisenbahnanlagen auf.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Leute