Lernen in luftiger Höhe

Die Glasfassade der Kirche wurde erhalten. Heute dominieren zwei markante Holztürme den Innenraum: Oben heisst es kommunizieren, unten studieren. Bild: Neue Stadtschulen

Holzbau.  Eine neuapostolische Kirche in St. Gallen wurde zum «Haus des Lernens». Die Innenarchitektur folgt der Idee vom Raum als drittem Pädagogen. Mit der Zusammenarbeit von Holzbauern und Schreinern gelang eine besondere Gestaltung mit vielen, schönen Detaillösungen.

Auffallend still ist es im Lernatelier der Neuen Stadtschulen St. Gallen. Der kubische Innenraum der einst Neuapostolischen Kirche am Rosenberg ist über 6 m hoch und etwa 240 m2 gross. Rund 20 Schüler arbeiten an Stehpulten mit Monitoren oder sitzen an langen Schreibtischen konzentriert über ihren Unterlagen. Das klassische Schulzimmer mit Frontalunterricht des Lehrers gibt es hier nicht. Verschiedene Lernorte inspirieren zum vernetzten Denken. «Der passende Raum gilt als dritter Pädagoge und unterstützt das Lernen», meint der Schulgründer Peter Fratton und bezieht sich auf eine Aussage der Reggio-Pädagogik. Fratton entwickelt bereits seit den Achtzigerjahren alternative Unterrichtskonzepte. Seine Frau, die Innenarchitektin Doris Fratton, setzte diese zusammen mit der Klaiber Partnership AG um.

Lernen in der dritten Dimension

Wie zwei Baumhäuser ragen die Lerntürme aus Fichtenholz in den hohen Kirchenraum hinauf. Oben, in den verglasten Kuppeln, sind die zwei sogenannten «Thinktanks». Hier werden an grossen Whiteboards Entwürfe diskutiert und visualisert. Neben diesen Kommunikationsbereichen im Obergeschoss steht im Erdgeschoss mit der Bibliothek das autonome Lernen im Vordergrund. Die Cafeteria im Untergeschoss bietet Begegnungsmöglichkeiten. Beeindruckt hat das reformerische Raumkonzept auch die Unternehmerin Bettina Würth von der Würth AG. Insbesondere sei es der Ansatz, den Schülern höchst mögliche Individualität bei einem klaren Leistungsanspruch zu gewähren. Bereits zwei Schulen gründeten sie und ihr Mann Markus in Zusammenarbeit mit Fratton in Deutschland. Am Haus des Lernens gefällt beiden, dass die Stadt mit Lernorten einbezogen wird. So entschieden sie sich für den Erwerb der Kirche und für die Bauherrschaft.

Mit Rücksicht aufs Sakrale

Das Gebäude stand zum Verkauf, weil die Gemeinde ein grösseres Anwesen am Stadtrand bezog. Doch der Bau der klassischen Moderne vom St. Galler Architekten Max Graf aus den Fünfzigern sollte bestehen bleiben. «So bedeutete der Umbau im Bestand einige Herausforderungen», meint der Innenarchitekt und Projektleiter Cedric Bosshard von der Klaiber Partnership AG in St. Gallen. Der grosszügige Innenraum bedurfte einer pädagogisch gerechten Raumaufteilung und insgesamt verlangte das Gebäude eine technisch aufwendige Sanierung. Ein Rückbau wäre jedoch möglich. «Frau Fratton brachte eine Vison vom Baumhaus zur Aufteilung des Raumvolumens ins Spiel», so der Projektleiter. Und es war den Beteiligten klar, dass sie der strengen Architektur mit Stahl, Beton und bunten Glasfenstern weiche Materialien und Formen entgegensetzen wollten: So entstand zum Beispiel auch die geschwungene Linienführung der Lernboxen. Mit Fichte und Eiche kam organisches Material zum Einsatz.

3D-Simulation für Haustechnik

«Für die vielen technischen Anforderungen war eine durchdachte Planung notwendig», sagt der Projektleiter. Um Schnittstellen zum Bestand und anderen Gewerken zu koordinieren, erstellte er ein 3D-Modell.

Die Blumer-Lehmann AG aus Gossau konnte damit die verdeckte Haustechnik, aber auch die Schnittstellen zum Bestand und anderen Gewerken erkennen. Auch Materialbeschaffung und Montagefolge liessen sich damit problemlos organisieren, Die Lernboxen wurden geschossweise montiert. Danach folgte die Installation der Haustechnik und die Schliessung der Verblendungen.

Cedric Bosshard zeigt die integrierten LED-Lichtleisten an den Unterseiten der Regalböden. Die Leitungen verlaufen verborgen im Innern der Lamellen. Als Baumaterial wählte man Brettsperrholz mit verleimten Mittellagen aus Rifthölzern. Bei den Oberflächen kam Fichte zum Einsatz und Eiche an stark beanspruchten Stellen.

Schreiner für Bündiges ...

Die parallel verlaufenden Einbauten mit anderen Gewerken beschreibt Roland Sutter als reibungslos. Der Geschäftsleiter der gleichnamigen Holzbau AG in St. Gallen, zuständig für Decken und Wandverkleidungen, erinnert sich an andere Herausforderungen. Es sei eine Kunst gewesen, die Revisionstüren für elektrische Leitungen und Lüftungen in der hölzernen Wandverkleidung so zu gestalten, dass sie unsichtbar blieben. Das gilt auch für die perforierte Akustikdecke aus MDF. Weiter brauchte es Fingerspitzengefühl für die Beleuchtung. In die rechteckigen Oberlichter mussten Leuchten rechts und links 1,20 m tief bündig integriert werden.

... und für Rundes

Auf bündige Lösungen versteht sich auch die Nägeli AG aus Gais. Deren Schreiner fertigten die geschwungenen, über Eck verlaufenden Sitzbänke in den Inputräumen im Erdgeschoss. «Die Bänke mit den runden ‹Ecken› waren auch wegen ihrer Unterkonstruktionen für die verschiedenen Leitungsführungen besonders anspruchsvoll», sagt Avor Edi Rechsteiner. Sämtliche Einbauten sind in Eiche massiv und MDF Eiche Rift furniert ausgeführt. Die weissliche Ölung schützt besser vor Nachdunkeln.

Statik ins Möbel integriert

Die Schwitter Schreinerei AG aus Engelburg war vor allem im Bereich der Türen und Einbauten tätig. Im Untergeschoss verlangte die Garderobe einige Kniffe.

«Einzelne Elemente müssen einfach zu demontieren sein, weil sich dahinter Technik verbirgt», erklärt Geschäftsführer Simon Schwitter. Und es galt, die verschiedenen Stahlstützen in die Garderobenanlage zu integrieren. Sie tragen die Punktlast der darüber liegenden Lernboxen.

Die Sitzflächen sind aus massiver Eiche, die Möbelelemente darunter aus unbrennbarem Gifatec, mit Kunstharz belegt. Insgesamt war es ein anspruchsvolles Projekt, so die Fachleute.

Im Jahr 2014 öffnete die Schule ihre Pforten. Die Bauzeit betrug eindreiviertel Jahre. Kosten 6,5 Mio. Franken. Die Kaufsumme wird nicht kommuniziert. Noch ist bei der Auslastung Luft nach oben. Die Schülerzahl hat sich nach einem Jahr etwa verdoppelt, sagt Schulleiter Stefan Gander. Insgesamt will man noch wachsen – im gegebenen Rahmen. Es ist Platz für 60 Schüler.

www.neue-stadtschulen.chwww.fratton-raum.chwww.klaiberag.chwww.blumer-lehmann.chwww.sutteragholzbau.chwww.naegeli-holzbau.chwww.schwitter-schreinerei.ch

MZ

Veröffentlichung: 14. Mai 2015 / Ausgabe 20/2015

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