Mit Liebe zum Brauchtum

Das Ausfahren auf seinem alten Traktor ist eine von Martin Reichmuths (59) Leidenschaften. Bild: PD

In sich ruhend, mit festem Stand, die Hände in seinen Hosentaschen, steht er da. Er atmet tief ein und stimmt gleichzeitig mit einem Piano in den Chorgesang ein. Sein Bauch hebt und senkt sich regelmässig. Sein Blick ist ins Leere gerichtet. Seine Konzentration gilt voll und ganz den Vibrationen seiner tragenden Bassstimme. Ein wunderbarer Klangteppich aus Bass, Tenor, Alt und Sopran breitet sich im Übungsraum aus. Martin Reichmuth ist ein leidenschaftlicher Vereinsmensch. Er ist gleich in mehreren Vereinen aktiv und haucht ihnen wieder frisches Leben ein. Obwohl Jodeln wieder im Trend sei, habe auch der Jodelclub Schlossgruess Cham ZG etwas Nachwuchsprobleme, sagt der 59-Jäh- rige. Als er in den Club eintrat, hatte er keine Er- fahrung mit Singen. Der Chorleiter habe ihn mit seinem Charisma und seiner tiefen Überzeugung, die laute: «Jeder kann singen», schnell motiviert. «Für mich als kontaktfreudigen Menschen stillt die Mitgliedschaft im Jodelclub in erster Linie mein Bedürfnis nach Austausch und Kameradschaft», erzählt der Schreiner. Das Jodeln habe nebst dem geselligen Teil eine befreiende Wirkung auf ihn. Hier könne er abschalten. «Das tut meiner Seele gut.»

Seit 1983 ist er selbstständig tätig und hat sich auf Schreinermontagen bei Neu- und Umbauten spezialisiert. «Die Arbeit hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Der Preisdruck bei Neubauten ist gross. ‹Friss oder stirb›, lautet die Devise bei der Auftragsvergabe.» Der Stress habe stark zugenommen, das Klima auf dem Bau sei hektisch und rauh. Umso wichtiger ist es Reichmuth, nebenbei Tätigkeiten auszuüben, bei denen er zur Ruhe kommen kann. So hat er sich vor vier Jahren ein neues Hobby zugelegt und einen Traktor des Typs Meili DM 36 gekauft. «Zusammen mit vier Kollegen mache ich einmal im Jahr einen Ausflug.» So tuckert die Oldtimer-Traktoren-Gruppe jeweils mit 20 Kilometern pro Stunde quer durch die Schweiz. «Mit meinem Meili, der fast so alt ist wie ich, habe ich die Langsamkeit entdeckt. Dieses Entschleunigen ist das beste Kontrastprogramm zum hektischen Berufsalltag.» Damit er die Langsamkeit noch übertreffen kann, unternimmt er jedes Jahr mit einer weiteren Kollegentruppe eine dreitägige Tour mit zwei Rapid-Spezial-Einachsern. «Da diese Gefährte auf der Strasse nicht zugelassen sind, fahren wir über Forststrassen durch die Wälder und schlagen abends die Zelte auf. «Da kommen richtige Freiheits- und Abenteuergefühle auf.»

Reichmuth hat einen Hang zum Historischen. Nebst alten Traktoren mag er auch traditionelle und urchige Beizen. So gründete er vor sechs Jahren zusammen mit einigen Freunden den Chnellenclub. «Wir suchen alte Beizen auf und bewerten sie.» Je älter und verwahrloster das Lokal, umso höher die Punktzahl auf der Urkunde, sagt der Dietwiler und lacht. «Es ist schade, dass solche Beizen mehr und mehr verschwinden.»

Reichmuth ist eine wahre Wundertüte. Denn neben all den Tätigkeiten ist er seit über 40 Jahren Mitglied beim Armbrustschützenverein Blickensdorf. Zu einer Kurzformel zusammengefasst, ist der Schreiner ein eingefleischter Vereinsmensch, der das Traditionelle pflegt und das Alte zu neuem Leben erweckt.

«Mit meinem Meili, der fast so alt ist wie ich, habe ich die Langsamkeit entdeckt.»

cs

Veröffentlichung: 11. Juli 2019 / Ausgabe 28-29/2019

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