Mit Respekt für den Bestand

Typische Aussenansicht für firstständische Bauten mit Bruchsteinsockel und Strickwand. Bild: Stefan Höhn

Ökologie.  Im Walliser Bergdorf Ergisch wurden ein rund 400-jähriges Wohnhaus und eine Wohnung in zwei Phasen umgebaut. Zum Einsatz kamen natürliche Dämmstoffe, die so sparsam wie möglich und so viel wie nötig verbaut wurden.

Hoch über den Rebhängen des Rhonetals liegt auf 1090 Metern die 180-Seelen-Gemeinde Ergisch im deutschsprachigen Teil des Wallis. Das Dorfbild bestimmen in traditioneller Mischbauweise erstellte Stein-Holzhäuser. Der Kirchturm ragt hinauf in den grauen Himmel. Der rieselnde Schnee unterstreicht die romantische Atmosphäre. «Ergisch konnte sich seine Ursprünglichkeit bewahren, weil es sich gegen den Skitourismus entschieden hat. Einnahmequelle war von alters her der Wasserzins aus dem kanalisierten Fluss Turtmänna», erklärt Stefan Höhn beim Gang durchs Dorf. Er ist Handwerker in der Denkmalpflege, Fachrichtung Holzbau. Seine Ehefrau Salome Fravi ist Architektin. Beide haben sich mit ihren Berufen unter dem Dach von «Hus Architektur und Handwerk» auf die Sanierung alpiner Häuser im historischen Bestand spezialisiert.

Archaisches Zweiraumhaus

Eines davon liegt unweit des Dorfkerns und datiert auf das Jahr 1695 zurück. «Mit seinem weissen Verputz und der hölzernen Stubenwand mit Kastenfenstern ist es ein Hingucker. Insbesondere durch den Tuffsteinbogen im Eingang, der wohl auf den Erbauer zurückgeht, welcher eine Verwalterposition im Dorf innehatte», erklärt Fravi. «Der Standard für firstständische Bauten war eine gestrickte Stubenwand auf einem Bruchsteinsockel, der dank der Hanglage fast immer einen Stall beherbergen konnte», erklärt die Architektin.

2011 erwarb Claudio Beccarelli das Haus als Zweitwohnsitz. Die ersten Jahre war es nicht bewohnbar, die finanziellen Mittel für einen Umbau fehlten. «Ich hatte genug Zeit, mir Gedanken zu machen, welche baulichen Eingriffe sinnvoll wären», sagt er. Der Erhalt der Bausubstanz stand für ihn im Vordergrund. Eine befreundete Architektin aus der Stadt, Nadine Bühler von Plan B Architekten, war für die Bauleitung verantwortlich. Schnell war der Bauherrschaft klar, dass eine Handwerkerin vor Ort mit Sachverstand für die Bausubstanz bedeutsam sei, um handwerkliche Prinzipien zu übernehmen und mit gleichen Materialien weiterzubauen. Inzwischen war es 2014 geworden.

Da kam Stefan Höhn zu Hilfe, der damals als Störschreiner unterwegs war. «Ein absoluter Glücksfall! So ein Umbau kann nicht bis ins letzte Detail geplant werden. Vieles muss direkt entschieden und umgesetzt werden», weiss der Eigentümer und Bauherr inzwischen. Höhn lebte und arbeitete schliesslich mit seiner mobilen Werkstatt auf der Baustelle. Die Bündelung von Architektur und Handwerk bot Planungs- und Kostensicherheit.

Traditionelle Wärmequelle

Beim Betreten des Hauses steht man direkt in seiner offenen Rauchküche, links fügt sich eine neue Küchenzeile aus Lärchenholz und Betonabdeckung harmonisch ins alte Mauerwerk ein. Rechts davon befindet sich ein neuer Stahlofen und die Einfeueröffnung des restaurierten Specksteinofens in der angrenzenden Wohnstube. «Der Bau zeigt die inneralpine Mischbauweise mit steinernem Küchenteil und einem Wohnteil aus Lärchenholz im typischen zweiraumtiefen Grundriss», erklärt die Architektin. Für den Erhalt der Substanz war es naheliegend, die Holzheizung beizubehalten. Denn wer bestehende Heizanlagen nutzt, muss keine zusätzlichen Dämmvorschriften beachten.

Zuerst nach unten gedämmt

Fachmann Höhn zeigt auf den Betonboden. Auf dem abschüssigen Grund wurden hangseits ein U ins Erdreich betoniert und Ableitungen für das Wasser gelegt. Unter der Betonplatte haben die Handwerker eine 25 Zentimeter dicke Schicht aus recyceltem Schaumglasschotter eingebaut. «Erst unten, dann oben, dann seitlich.» Er skizziert mit den Händen bildlich die Reihenfolge. Der Dämmnutzen steige nicht linear, die ersten 4 Zentimeter seien entscheidend. Doch zuerst müsse natürlich entschieden werden, wie mit Rücksicht auf den Bestand gedämmt werden soll, meint er. «Sparsam» kommt einem in den Sinn, wenn man den minimalen Temperaturunterschied zwischen innen und dem um 0 Grad kalten Draussen wahrnimmt. Die Woche über wird nicht eingeheizt, erst am Wochenende vom Eigentümer selbst. Die Dämmwerte entsprechen den kantonalen Vorschriften für Umbauten. Der Wärmedurchgangskoeffizient, die wichtigste Messgrösse für Dämmeigenschaften, liegt bei Wänden und Dächern bei 0,25 W/m2K, bei Böden bei 0,28 W/m2K, für Fenster und Türen bei 1 bzw. 1,2 W/m2K.

Holzwolle im Stubenboden

Minim ist die Dämmung auch in der Wohnstube. Die gebeilten Strickwände sind geblieben: rauh, rissig, offenporig wie einst. Höhn öffnet einen Fensterflügel des historischen Innenfensters und zeigt auf die Konstruktion der Strickwand in der Laibung. 12 Zentimeter trennen innen und aussen. Zwei der vier Vorfenster mussten altersbedingt erneuert werden. Gebaut wurden filigrane Lärchenrahmen mit Einfachverglasung aus Zylinderglas wie anno dazumal. Mit beiden Fenstern zusammen komme man auf einen Wert von 2,6 W/m2K. Den Boden habe man zum Keller hin mit einer 16 Zentimeter dicken Schicht aus Holzwolle gedämmt. Das klassische Plattenmaterial von Gutex könne mit Messer oder Handsäge geschnitten werden.

«Entscheidend beim Dämmen historischer Bauten ist eine diffusionsoffene Bauweise und die bauphysikalisch korrekte Umsetzung», sagt Höhn. «Naturbelassene Dämmmaterialien können mit Feuchtigkeit sehr gut umgehen, solange sie wieder austrocknen können.» Falls nicht, werde das als Insekten- und Flammschutz beigesetzte Borsalz ausgeschwemmt und das organische Material dem Verfall preisgegeben.

Mit Zellulose gegen Feuchtigkeit

Der Rundgang führt weiter über eine nachträglich eingebaute steile Stahltreppe ins Obergeschoss, direkt unters Pultdach mit einem galerieartigen Schlafzimmer. Der 25 Zentimeter hohe Dachaufbau wurde mit Zelluloseflocken ausgeblasen. Diese könnten noch mehr Feuchtigkeit aufnehmen als Holzwolle, sagt Höhn. «Entscheidend ist, dass man sie ausreichend verdichtet, sodass keine Senkungen entstehen, in denen sich Kondensat ansammeln kann.» Deshalb hat er einen luftdichten Behälter erstellt, der ausgeblasen werden kann. Das sei baulich aufwendiger und auch teurer, als mit Plattenmaterial zu arbeiten. Es biete sich aber insbesondere bei unebenem Untergrund an. «Die Frage des Preises schlägt erst bei grossen Flächen zu Buche, und wenn man sehr viele geometrisch komplizierte Anschlüsse zu berücksichtigen hat.» Und beim Vergleich zwischen konventioneller und natürlicher Dämmung zählten nicht nur die Zahlen. Die herkömmliche Gipsplatte sei zwar konkurrenzlos günstig, aber als Beiprodukt aus der Abgasreinigung der Zementindustrie könne sie dem Raumklima auf Dauer teuer zu stehen kommen.

Schnelltrockner Hanfkalk

Stärker gedämmt wurde in der Nachbarwohnung. Zu dieser gelangt man durch eine einfache Schwenktür. Feuchtigkeit und Geruch sind hier durch die Dämmung stärker gebunden als zuvor. Vom Wohnbereich mit einem eigens entwickelten Stahlofen vom Toggenburger Ofenbauer Tobias Rutz zweigen ein beheizbares Schlaf- und ein Lesezimmer ab. Durch eine extra eingezogene Trennwand in Lärche entstand ein Badezimmer mit WC. «Im Hauptraum haben wir den Boden zur Einliegerwohnung hin mit Hanfkalk gedämmt», erklärt Höhn. Dafür wurde eine Mischung aus ungelöschtem Kalk in Pulverform mit handelsüblichen Hanfhäckseln aus der Nutztierhaltung eingebaut.

Die Baustoffe werden vor Ort im Zwangsmischer mit Wasser vermengt, was den Löschprozess des Kalks auslöst. Das noch heisse Material wird eingebracht, es härtet aus und trocknet innerhalb weniger Tage vollkommen durch. So könne man auf grosse Wassermengen verzichten, die dann Monate zum Trocknen bräuchten. Höhn beschäftigt sich als Handwerker in der Denkmalpflege seit Längerem mit Kalk als Baustoff.

Schallschutz durch Masse

Ein weiterer Vorteil des Verbunds: Bei der Vermischung mit Wasser entsteht ein pH-Wert von über 12, gleichzeitig ein Ungezieferschutz. Ausserdem wird Kalk in Verbindung mit Hanf unbrennbar, was jüngste Untersuchungen deutscher Lieferanten belegten. In der Schweiz liegt ein Brandschutzwert von RF2 vor. Neben all diesen positiven Faktoren war es auch der entstehende Schallschutz, der den Bauherren vom Aufwand überzeugte.

«Zwar fehlen Schallschutzwerte, da es sich nicht um ein handelsübliches Produkt handelt. Doch durch viel Masse und wenig Übertragungspunkte und weiche Auflager versuche man den Trittschall zu minimieren», sagt Höhn. «In historischen Holzbauten mit niedrigen Räumen und dünnen Bodenaufbauten lässt sich das Problem aber nicht vollständig lösen.» Einzelne Hilfsarbeiten führte der Bauherr unter Anleitung selbst aus, um die Kosten tiefer zu halten. «Es hat meine Beziehung zu Haus und Handwerk noch intensiviert.»

Atmende Hülle

Wegen seiner Diffusionseigenschaften kam Hanf auch als Verputzträgerplatte im Badezimmer zum Einsatz. «Da Hanffasern in Kombination mit Kalk eine natürliche Pilzresistenz aufweisen, sind die Dämmstoffe geschützt gegen Schadinsekten und Schimmelbefall, regulieren die Feuchtigkeit und bieten einen sehr guten sommerlichen Hitzeschutz», erklärt Höhn. Die Aussenwände des Wohnbereichs sind alle mit der Holzfaser Gutex gedämmt. Zuvor wurde das Täfer ausgebaut und gereinigt. Auf ein Windpapier verzichtete man und brachte stattdessen einen Lehmfugenstrich auf der Innenseite des Stricks an.

«Haus und Wohnungen scheinen sprichwörtlich zu atmen, ohne schädliche Kleb- und Dämmstoffe, alle Materialien haben einen Bezug zum Ort», sagt Bauherr Beccarelli und fügt hinzu: «Wenn das Haus zerfällt, wird es wieder eins mit der Natur.»

Eine Frage des Anspruchs

Die Dämmung ist für den Bauherrn optimal. «Im Sommer sind die kühlen Räume des alten Haupthauses mit der Originalstube eine Wohltat. Und im Winter leben meine Partnerin und ich hauptsächlich in der oberen gedämmten Wohnung.» Diese liesse sich auch als Erstwohnsitz im aktuellen Ausbaustandard nutzen. Beim Haupthaus müsse er mehr dämmen, auf jeden Fall täte er das auch heutzutage nur mit ökologischen Dämmmaterialien.

«Die pauschale Antwort auf die Frage nach der richtigen Dämmung gibt es nicht», sagt Höhn. Sie richte sich nach Alter, Grösse und Ansprüchen an das Objekt. «Es braucht Handwerker mit der gleichen Philosophie und Leidenschaft für historische Bausubstanz, das ist der Erfolgsfaktor», resümiert der Bauherr.

www.planb-architekten.chwww.hus.chwww.holzoefe.ch

Definition

Natürlich dämmen

Für eine natürliche Dämmung kommt eine Vielzahl von nachwachsenden Rohstoffen in Betracht, die regional erzeugt werden. Holzfaserplatten und -matten, Schafwolle, Hanf, Flachs und Borke sowie Zellulose, um nur einige zu nennen. Bei den handelsüblichen Produkten sind die Dämmwerte gut, die Verarbeitung ist einfach, der Brandschutz erfüllt. Ein gewichtiger Vorteil ist der gute sommerliche Hitzeschutz, dieser ist in der Regel besser als bei konventionellen Dämmstoffen. Ein wichtiges Kriterium ist daneben die baubiologische Unbedenklichkeit. Weitere Aspekte: Die Materialien benötigen möglichst wenig Energie zur Herstellung und können nach Gebrauch weiterverarbeitet oder in den biologischen Kreislauf rückgeführt werden. In der SZ45 vom vom 9. November 2023 ist ein Überblick dazu zu finden.

Manuela Ziegler, mz

Veröffentlichung: 18. Januar 2024 / Ausgabe 3/2024

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