Pendeln zwischen Berg und CNC

Bild: PD

Mit weissgepulverten Fingerkuppen klammern sie sich an die Wand, die Zehenspitzen auf klitzekleinen Absätzen, Karabiner klirren, Finken schaben, Mädchen und Jungen, Frauen und Männer schnaufen und verständigen sich gedämpft mit ihren Partnern. Trockene, warme Luft steht in der hohen Halle, es riecht nach Staub und Magnesium. Die Kletterer suchen sich mithilfe der farbigen Griffe einen Weg durch den künstlichen Fels, der in verschiedenen Neigungen die Halle des O’Blocs in Ostermundigen bei Bern verkleidet. Mit dem Kopf tief im Nacken, verfolgt der Kamerad am Boden seinen Sportler in der Wand und lässt konzentriert das Seil durch die Finger gleiten. Beat Schranz kommt aus der Kletterhalle herüber ins Bistro. In leichter Berghose und T-Shirt setzt er sich entspannt mit einer grossen Schale Milchkaffee an den Holztisch. Der Berner spricht ruhig und sachlich, ohne Hektik und Gestik. «Etwas bauen, herstellen oder flicken, das hat mir schon immer gefallen», erzählt er. Auf dem elterlichen Bauernhof in Aeschi bei Spiez BE packte er als Junge gern mit an. Der Onkel war Schreiner und holte ihn oft hinzu. «Wir mussten viel mit Holz ‹schaffe›, zum Beispiel Türen flicken oder die Stalleinrichtung reparieren, sodass für mich schon in der fünften Klasse klar war, dass ich Schreiner werden wollte.»

Doch es gibt eine zweite Seite des Beat Schranz. Das viele Auf- und Abschreiten der Alp gehörte zu seinem Alltag auf dem Bauernhof, und nach der Ausbildung als Schreiner suchte er nach Möglichkeiten, wie er seine Bewegung am Berg mit dem Beruf vereinbaren konnte. Das Militär kam ihm da gelegen, weil er bei den Gebirgsspezialisten eine Funktion fand, die ihn in die gewünschte Richtung brachte. Dort entwickelte sich sein Wunsch, Bergführer zu werden. Doch, auweja, dafür muss man zwei Sprachen kennen und das ist die grösste Schwäche des Beat Schranz. Also die Schreinerkarte zücken und ab ins Ausland. Fast zwei Jahre arbeitete er bei einem ausgewanderten Schreiner in Kanada. «Dort konnte ich noch Schubladen in Vollholz und schöne Küchen mit gestemmten Türen herstellen. Das war toll.» Zurück in der Schweiz, wurden seine Arbeitswochen als Schreiner in einem Holzbaubetrieb in Adelboden BE abgerundet durch die Wochenenden auf Bergtouren. «Das Schreinern gefällt mir sehr, aber zwischendurch muss ich einfach den blauen Himmel sehen», sagt er. Mit einem reduzierten Pensum absolvierte er die Bergführerausbildung und war während zweier Jahre als Aspirant unterwegs. Das ging nur, weil sein Arbeitgeber sehr zuvorkommend war und im Gegenzug die flexiblen Einsätze von Schranz schätzte. «Manchmal war ich nachts um drei Uhr an der CNC, um am nächsten Tag auf Tour gehen zu können.» Da musste er schauen, dass er genug Schlaf bekommt.

Das Pendeln zwischen den beiden Berufen ist für den 32-Jährigen eine Selbstverständlichkeit. Er kann das gut miteinander verknüpfen: Wird einmal eine Tour abgesagt, ist oft der Schreinerbetrieb froh um Unterstützung. Manchmal gibt es aber auch dort ein Loch. Geschieht dies in einer Schlechtwetterperiode, in der tourenmässig nichts läuft, dann freut er sich aufs Klettertraining mit Freunden in der Halle.

«Das Schreinern gefällt mir sehr, aber zwischendurch muss ich einfach den blauen Himmel sehen.»

SL

Veröffentlichung: 27. Juni 2019 / Ausgabe 26/2019

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