Renaissance fürs Täfer

Bild: Jazzcampus Basel Der Ensembleraum zeigt den horizontalen akustischen Aufbau. Das Täfer aus lasierter Fichte, die stoffbespannten Wände und Decke sorgen für Absorption, Reflextion und Diffusion.

Holz und Musik.  In Basel gibt es mit dem Jazzcampus einen professionellen Ort für Musikschaffende. Architektur und Akustik orientieren sich am historischen Bestand in der Altstadt. Traditionelle Motive der Innenarchitektur wurden vom Schreiner in die Moderne überführt.

Von aussen unsichtbar liegt der Jazzcampus inmitten eines Hofes in der Kleinbasler Altstadt. Drei denkmalgerecht sanierte Häuser stehen auf der Grundstücksparzelle an der Utengasse. Über eine Hofeinfahrt gehts zum Bau der namhaften Basler Architekten Buol & Zünd. Schräg steht die Sonne darin an diesem Spätsommermorgen, ein paar Studenten tummeln sich in der Bogenloggia mit dem offenen Cheminée. Der Hof ist Pausenraum, und von ihm aus erschliesst sich der gesamte Gebäudekomplex.

Weiterbau des Genius Loci

Alle Fenster der neu gebauten Einzelhäuser sind auf den Hof ausgerichtet. Zwar wurden die «gewachsenen» Fabrikbauten nach umfangreichen akustischen Erwägungen entfernt, aber «die ursprüngliche Hoffigur blieb die gleiche, weil bewährt», erklärt Architekt Lukas Buol beim Rundgang. Das Bauen nach historischem «Fussabdruck» ermöglichte eine individuelle Anpassung an Stadtbild und Betrieb und spiegelt sich auch in den 49 Proberäumen verschiedener Schallklassen wider.

Traditionell in die Moderne

Für die akustischen Baumassnahmen im Innern zeichnet unter anderem die Basler Schreinerei Lachenmeier AG verantwortlich. «In meinem bisherigen beruflichen Schaffen war dieser Bau eine absolute Ausnahmesituation, weil sehr anspruchsvoll und sehr schön», sagt der Projektleiter Eduard Schuler. Zum Beispiel der Transport der elliptisch geformten 42-dB-Schallschutzgläser für die Oberlichter im Untergeschoss. Eines wiegt rund 150 kg, sechs davon sind im unterirdischen Bogengewölbe zu finden und markieren jeweils den Eingang zu einem der Proberäume. Die für Keller typische Gewölbeform vermittle neben Geborgenheit auch einen hohen Öffentlichkeitscharakter, so Lukas Buol über die gewählte Form. Und sie symbolisiert eine Architektursprache, die traditionelle Motive in eine zeitgenössische Nutzung überführt. Das gilt auch für das Holztäfer in den Bögen, das sich in den Proberäumen fortsetzt. Es dient nicht nur als wesentliches Gestaltungselement, sondern funktioniert auch raumakustisch. Doch von der Idee bis zur Realisierung brauchte es viele Gespräche zwischen Architekt, Akustiker sowie der Bauherrschaft Stiftung Habitat. Entscheidend war der Bau eines 1:1-Musterraums. «So konnten alle Beteiligten sehen und hören, was akustisch und gestalterisch funktioniert», erklärt Martin Lachmann, Geschäftsführer von Applied Acoustics GmbH in Gelterkinden BL.

Akustik horizontal gegliedert

Von der Halle geht die Führung in einen der Proberäume. Bau- wie auch Raumakustik greifen ineinander. Das heisst baulich: Zur Schalldämmung liegt zwischen Rohbau (äus- serer Schale) und dem eigentlichen Raum (innerer Schale) eine Trennfuge. Je nach Schallklasse der 49 Räume variiert der innere Wandaufbau. In der niederen Schallklasse besteht die innere Schale aus einer Leichtbauwand, die auf dem Unterlagsboden aufliegt, so dass der gesamte innere Raumkörper keine Berührung zum Rohbau hat. Für die Raumakustik barg das hohe Anforderungen. «Wir mussten die Oberlichter im Rohbau genau am Meterriss horizontal einbauen, weil die Unterkante des Fensterrahmens gleichzeitig die Oberkante des raumseitigen Täfers darstellt und keine Toleranzen zuliess», so der Projektleiter Schuler. Der akustische Wandaufbau gliedert sich von unten nach oben: in Tief- und Mitteltonabsorber im Täfer, im Hochtonbereich mit Stoff bespannten Wänden.

Präzisionsarbeit für Schreiner

So komplex die Bauphysik und die Raumakustik, so komplex auch der Einbau der elliptischen Oberlichter. Keines gleicht dem andern. «Am anspruchsvollsten war jenes vor dem Performance-Saal», sagt der Fachmann. Wie alle Oberlichter besteht es zur Halle hin aus zwei gestossenen Brandschutzgläsern EI60, zum Saal hin aus Schallschutzglas mit 46 dB. Gehalten werden beide von einem Rahmen aus massiver Eiche, der aus vier gleich grossen Elementen gestossen wurde. Zusätzlich fasst auf der Innenseite ein schichtverleimtes Bogenfutter den gespannten Stoff ein.

Das Innenfutter zwischen den beiden Rahmen besteht aus zwei gebogenen Sperrhölzern in der Dicke von 6,5 mm. Dazwischen liegt eine Trennfuge, um jegliche Schallübertragung zu vermeiden. Und ausserdem brachte man zwischen dem Fensterrahmen unten eine mehrschichtige Schalldämmkonstruktion an.

Rohstoffe zum Dämmen

Komplex ging es im Innenausbau weiter. Massgeblich für eine gute Akustik ist das Verhältnis von Absorption, Reflexion und Diffusion. Entsprechend unterscheidet sich auch der Absorberaufbau. Sehen kann man ihn nicht, die eingesetzten Rohstoffe riecht man aber. Schafwolle wurde in verschiedenen Gewichtsklassen eingesetzt. Für den Tieftonabsorber baute man einen geschlossenen Holzkasten mit Lagen aus Schwerlastfolie und Klemmfilz. Front wie Rückwand sind aus Sperrholz und rückseitig mit Gipskarton beplankt. Die Mitteltonabsorber setzen sich ähnlich zusammen, deren Fronten wurden jedoch mit verschiedenen Lochbildern perforiert. Darüber liegen Lattenroste aus Eiche, gelaugt und geseift, zur Reflexion. «Wir haben etwa 750 solcher Teile gebaut und verdeckt montiert», so der Projektleiter. Jedes Element muss ins Fugenbild passen. Für den obersten, den Hoch-tonbereich, wurden Lattenrahmen mit Stoff bespannt, dahinter folgt eine Füllung mit Schafwolle und Klemmfilz.

Reflexion bis in die Decke

Auch die Decken in den Proberäumen erfüllen eine akustische Funktion. So etwa in einem Probezimmer der mittleren Schallklasse im Erdgeschoss. Die Weitspanndecke liegt auf den inneren Raumwänden auf, auch sie berühren den Rohbau nicht.

Den Raum zwischen den Trägern füllen Schafwolle bedeckt mit Rieselvlies und bespannt mit weissen Stoffbahnen. Drüber montiert wurden verschieden breite, weiss lackierte Holzlatten. Die Decke funktioniert reflektierend wie auch absorbierend. Durch die verdeckte Montage der Latten entsteht eine makellose Oberfläche. Die eingesetzten Naturmaterialien schaffen ein Wohlfühlklima. Leicht mutet das lichtgrau lasierte Fichtentäfer an.

Sorgfältige Ausführung

Jeder einzelne Raum wurde akustisch auf seine Nutzung hin optimiert. «Das ist aus-sergewöhnlich für ein Objekt dieser Grös-senordnung», meint Akustiker Martin Lachmann. Das Budget und die Zeit erlaubten eine sehr sorgältige Ausführung mit hochwertigen Materialien, sind sich Architekten, Fachplaner und Schreiner einig. Neben baulichem Schallschutz und einem optimalen Klangerlebnis sei der Bauherrschaft auch eine hochwertige Architektursprache wichtig, so Jo Dunkel, Projektleiter der Bauträgerin Stiftung Habitat.

Ein Beispiel ist der obere Konzertsaal unter dem Dach für akustische Instrumente. Sein Täfer aus massiver, geölter Eiche reicht bis zum First. «Wir machten bei den Holzgittern Versuchsmodelle, um mit vertretbarem Aufwand eine gute Oberfläche zu erreichen», so Thomas Schweizer, Projektleiter der Schreinerei Hunziker AG in Schöftland AG, zuständig für den oberen und unteren Konzertsaal. Zu den hohen Anforderungen an die Optik kamen noch die ökologischen Kriterien der Bauherrschaft, das heisst, weitgehender Verzicht auf Span- und Sperrholzplatten sowie auf Tropenholz. Alle anderen Platten mussten laut Auflage formaldehydfrei verleimt sein.

Wie ein Möbel gebaut

Nicht zuletzt war die gesamte Raumarchitektur eine Herausforderung durch ihre Rasterung. Im Vorfeld definierte ein Geometer immerhin zwei Hauptachsen im Raum, der Rest oblag den Schreinern. «Der ganze Saal war wie ein Möbel zu montieren, das Fugenbild liess über die gesamte Fläche praktisch keine Toleranzen zu», sagt Thomas Schweizer. Die Konzertsäle folgen einem andern akustischen Prinzip als die Probe- räume. Es gehe aufgrund des grossen Raumvolumens darum, möglichst wenig Schallenergie zu verlieren, und sie gut zu verteilen, deshalb brauche es mehr schallharte Flächen, so Akustiker Lachmann. Zur optimalen Verteilung des Schalls im Raum dient die Deckeninstallation aus weissen Absorptionsplatten, entworfen vom Architekturbüro Buol & Zünd.

Megacooles Ambiente

Die Kommunikation war für alle Beteiligten sehr wichtig und sehr gelungen. Weltweit dürfte es wenig vergleichbare Gebäudekomplexe auf derart hohem Akustik- und Architekturniveau geben. «Es ist mega- cool, in solchen Räumen studieren und musizieren zu dürfen», sagt ein Student im Innenhof, der noch die früheren Bedingungen der Musikakademie über einem Billardcafe kennt.

www.buolzuend.chwww.lachenmeier.chwww.ihrschreiner.chwww.stiftung-habitat.chwww.levedo.chwww.appliedacoustics.ch

Hoffigur

Jazzcampus nach «Fussabdruck»

Der Jazzcampus in Kleinbasel beherbergt Musiker der Musikakademie Basel, der Fachhochschule Nordwestschweiz und der hiesigen Musikschulen. Projektträger des Baus sind die Stiftungen Habitat und Levedo. Wegen der hohen Anforderungen an Schallschutz nach aussen und Raumakustik im Innern entschied man sich, nur die drei geschützten Gassenhäuser der einst gewerblich genutzten Parzelle stehen zu lassen. Die Hinterhofgebäude erstellte man nach dem historischen «Fussabdruck» der alten Bestandsgebäude neu. Für den nötigen Raumbedarf wurde in die Höhe und in die Tiefe weitergebaut. Die Planungs- und Bauzeit betrug insgesamt fünfeinhalb Jahre. Die Eröffnung war 2014. Die Baukosten werden nicht genannt. Markant sind hochwertige Architektursprache wie auch Akustik.

www.jazzcampus.com

MZ

Veröffentlichung: 24. September 2015 / Ausgabe 39/2015

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