Retter und letzte Hoffnung

Neben seinem Beruf als Schreiner ist Thomas Hurschler (33) Einsatzleiter bei der ARS-SAC-Rettungsstation Engelberg. Bild: PD

«Die Rega konnte nicht fliegen», erinnert sich Thomas Hurschler, Einsatzleiter der ARS-SAC-Rettungsstation Engelberg OW. Der Nebel war zu dicht. «Unsere Taschenlampen reichten nicht mal zehn Meter weit.» Die Rettungsmannschaft stand oben an einem steilen Couloir. 50 Meter weiter unten war der Freerider auf einem Felsvorsprung gefangen und schrie um Hilfe. «Die Si-tuation war für uns Retter zu gefährlich. Wir mussten den Einsatz mitten in der Nacht unterbrechen», erzählt er. «Ich bangte darum, dass der Verunglückte durchhielt.» Am nächsten Morgen konnte er geborgen werden. Einsätze, die positiv enden, seien sehr befriedigend. Doch manchmal kommt jede Hilfe zu spät. Hurschler musste schon einige Menschen tot bergen, darunter auch persönliche Bekannte. «Solche Einsätze gehen nahe.» Der 33-Jährige engagiert sich seit 2013 ehrenamtlich für die Alpine Bergrettung. Rund 80 Einsätze habe er schon geleistet. Jeder Einsatz sei eine neue Erfahrung. Sein grösster Antrieb: «Ich helfe gerne Menschen. Für viele sind wir die letzte Hoffnung auf Rettung.» Auch den Dank der Geretteten schätze er. Dass er sich neben seinem Beruf als Schreiner bei der Holztechnik Bühler AG für den Rettungsdienst engagieren darf, sei der Grosszügigkeit seines Chefs zu verdanken. «Wenn ein Notruf kommt, muss ich die Arbeit fallen lassen.» Hurschler wurde schon früh mit dem Tod konfrontiert, lange bevor er zur Alpinen Rettung stiess. Er musste einige Todesfälle innerhalb seiner Familie und Verwandtschaft hinnehmen. «Ich hinterfrage Verluste nicht mehr. Ich akzeptiere die Situation, so wie sie ist», sagt der Engelberger. Er beherrscht den Balanceakt zwischen Leben und Tod. Er weiss, wann es angebracht ist, menschlich und empathisch zu sein, und wann professionelle Distanz gefordert ist.

Der Schreiner verfügt nicht nur über eine starke Physis, sondern auch über eine mentale Stärke, die ihn schwierige Situationen professionell meistern lässt. Der Bergretter erinnert sich an eine Suchaktion, bei der er mit dem Angehörigen der vermissten Person unterwegs war. Der Vermisste war ein Wildtierfotograf, der beim Ausüben seines Hobbys im felsigen Gelände abgestürzt war. «Ich musste dem Angehörigen die Todesnachricht überbringen. Gemeinsam liefen wir schweigend den Berg hinunter.» Es gibt auch Situationen, bei welchen sich Hurschler bewusst vom Einsatz fernhält, zum Beispiel, wenn ein Kollege verunglückt. Die Teammitglieder der ARS-SAC-Rettungsstation Engelberg können sich an ein Care-Team wenden. «Ich musste diese Hilfe glücklicherweise noch nie in Anspruch nehmen.» Das Debriefing, das nach jedem Einsatz unter den Einsatzkräften stattfindet, und Gespräche mit seiner Partnerin helfen ihm bei der Ver- arbeitung schwieriger Einsätze.

Die ARS-SAC-Rettungsstation Engelberg arbeitet mit Partnern wie der Rega, der Polizei, dem Notruf 144, dem Militär oder der Feuerwehr zusammen. Um immer auf dem neusten Stand zu bleiben, absolvieren die Retterinnen und Retter bis zu zehn Kurse pro Jahr. So etwa Lawinenkurse, Medizinkurse, Baumrettung oder auch Nachtübungen und Evakuationen. Diese fundierte Ausbildung gibt den Bergrettern die Professionalität für das richtige Handeln im Notfall.

«Ich hinterfrage Verluste nicht mehr. Ich akzeptiere die Situation, so wie sie ist.»

Caroline Schneider

Veröffentlichung: 07. April 2022 / Ausgabe 14/2022

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