Schreinerwissen für Indien

Der 51-jährige Schreiner Karl Bruno Zehnder (Mitte) bringt die hochwertige Schweizer Schreinerlehre nach Indien. Bild: PD

Sein Seklehrer verdrehte die Augen, als ihm Karl Bruno Zehnder vor über drei Jahrzehnten mitteilte, dass er eine Lehre als Schreiner machen werde. «Ich war – freundlich ausgedrückt – nicht gerade der Beste im Werken. Dazu konnte ich mehr schlecht als recht zeichnen, und ein räumliches Vorstellungsvermögen fehlte mir auch. Nur Mathematik beherrschte ich», erzählt Zehnder. So schlecht die Vorzeichen standen, so bravourös meisterte der junge Mann seine Lehre und später sein Berufsleben. Und das Zeichnen gehört heute zu seinen Steckenpferden. Diese Erfahrung hat den 51-Jährigen geprägt: «Talent allein ist nicht ausschlaggebend. Man kann im Leben alles lernen, sofern man gewillt ist, zu üben und zu machen», sagt er. Gemacht hat Zehnder viel. Er bildete sich zum Projektplaner weiter, war als Berufsbildner und Projektleiter in der Stiftung Albisbrunn tätig, wo Jugendliche in Entwicklungskrisen betreut werden. Schon früh heiratete er und wurde Vater von vier Buben, die gerade dabei sind, das elterliche Nest zu verlassen. Und plötzlich platzte ein Angebot der Rajendra & Ursula Joshi-Foundation (JCF) in sein Leben. Ob er als Projektleiter in Indien das duale Berufsbildungssystem der Schweiz für Schreiner einführen wolle.

Bis dato war Zehnder kein Weltenbummler, hatte Europa noch nie verlassen, sprach kein englisch. Dennoch reizte ihn der Gedanke, in Indien etwas zu bewirken. Zudem schien ihm der Zeitpunkt ideal für jeweils drei Monate Indien und einen Monat Schweiz im Wechsel – jetzt, wo die Söhne selbstständig wurden. Und so flog der Schreiner im Frühling 2017 ostwärts und fand sich in Jaipur in einer komplett anderen Welt wieder.

Wenn er an die ersten Eindrücke denkt, so sieht er wieder dieses Verkehrschaos vor sich, Kühe, die überall rumlaufen und alles fressen, inklusive Plastik. Aber auch herzliche, offene Menschen, die ihn sofort anlächelten. Und den netten jungen Schreiner, der gut englisch sprach und ihm half, an die richtigen Menschen, die richtigen Maschinen und ein einfaches Lokal für den Unterricht zu kommen. Bei der Besichtigung von Schreinerbetrieben lernte er nochmals eine neue Welt kennen. Statt Möbel zu planen, am Computer zu zeichnen, in der Werkstatt zu fertigen und dann auszuliefern, verlegen indische Schreiner ihren Arbeitsplatz kurzerhand auf die Baustelle und bauen den Schrank direkt in die dafür vorgesehene Nische – ohne einen einzigen Plan. Auch das Ansehen des Berufs sei ein anderes: «Schreiner steht hier in der Hierarchiestufe ganz unten. Wer kann, ergattert sich einen Job bei der Regierung.» Für die Ärmsten gebe es gar keine Ausbildung, auch keine Lehre. Bildung laufe in Indien über die Universität, und «Bildung ist immer Business». Das Berufsbildungsprojekt der Schweizer Stiftung JCF in Jaipur wirkt dem entgegen.

In einem ersten Schritt bildete Zehnder zusammen mit Einheimischen zehn Jungtrainer im Schreinerhandwerk aus. Das Budget der Stiftung ermöglichte die Anschaffung aller wichtigen Maschinen, sodass jeder das Gelernte gleich umsetzen konnte.

In indischen Lehrgängen macht die Praxis höchstens 20 Prozent aus. «Wobei Praxis hier bedeutet, dass 50 Leute um eine Maschine stehen und dem Ausbildner zuschauen.» Inzwischen hat Zehnder sein Engagement für die JCF beendet. Dennoch bleibt die Ausbildung in Indien eine Herzensangelegenheit. Soeben hat er mit einem Freund in Südindien ein neues Ausbildungsprojekt für Schreiner lanciert. Gleichzeitig importiert er exklusive indische Holzhandwerkskunst in die Schweiz. Von und in Indien habe auch er viel gelernt, bilanziert Zehnder: «Vor allem Geduld.»

«Praxis bedeutet hier, dass 50 Leute um eine Maschine stehen und zuschauen.»

hid

Veröffentlichung: 11. April 2019 / Ausgabe 15/2019

Artikel zum Thema

16. Mai 2024

Auch für guten Speck brauchts Holz

mehr
13. Mai 2024

Ein Nautiker für alle Fälle

Leute. Eigentlich hat Tom Hofer einen Beruf im Winter und einen im Sommer. Winters arbeitet der gelernte Schreiner als Abteilungsleiter der Schreiner und Zimmerleute in der Werft der BLS Schifffahrt AG in Thun BE.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Leute