Span für Span zur Holzlandschaft

Weymouth-Kiefer bearbeitet Thomas Kurer (59) meist nur mit dem Schnitzeisen und ohne Hammer, so weich ist das Holz. Bild: zvg

Thomas Kurer sitzt vor dem grossen Eingangstor der Galerie. Die Kaffeetasse in der Hand, Sonne im Gesicht und im Blick das eindrückliche Bergpanorama des Oberengadins. Der Schreiner und Künstler verbringt gerne seine Zeit hier oben in Zuoz. In der lokalen Galerie «Werkstatt Hildegard Schenk» sind seine Werke ganzjährig ausgestellt. Holzlandschaften – massive Blöcke aus Lärche, Arve, Tanne und Weymouth-Kiefer – stehen und liegen auf dem gegossenen Betonboden der Galerie. Die Skulptur aus Arvenholz mit den dunklen, verwachsenen Ästen fällt auf im sonst puristischen Raum. Gut eineinhalb Meter breit und lang fügen sich vier einzelne Teile zu einem Ganzen zusammen. Die mehrstämmige Arve ist aufgetrennt, wo sich die beiden Stämme verwachsen haben. Ein tiefer Riss führt durch das Holz und bildet den Grat in dieser hölzernen Landschaft. Mit dem Schnitzeisen geformt und ausgearbeitet, erinnert die Struktur an die unruhigen Wellen eines Bergbachs. «Wenn beim Trocknen des frischen, nassen Holzes ein Riss entsteht, dann knallts», erzählt Kurer. Diese Spannung, die vom Kern des Baumes ausgeht, bleibt auch in der fertigen Skulptur erkennbar.

Es geht etwas Archaisches von den Werken aus. Und hat wenig gemein mit den exakten und fragilen Möbelstücken, die er bisher baute. Der Möbelschreiner, Bauzeichner und Werklehrer aus dem St. Galler Rheintal, der heute in Zürich und Zuoz lebt, hat sein Leben lang mit Holz gearbeitet. Als Werkstattleiter des Gemeinschaftszentrums Buchegg hat er Hobby-Schreiner angeleitet, für Sommerlager Hütten gebaut und bei einem Gemeindefest gar die Empore des Hotel Palace in St. Moritz nachgebaut. Wenn Kurer von dieser Zeit erzählt, spürt man seine Freude für die Projekte, die er damals auf die Beine gestellt hat.

Nach acht Jahren als Werkstattleiter war es dann aber genug. Kurer machte sich als Möbelschreiner selbstständig. Seine Möbelstücke sind präzise und durchdacht. Einige zieren feine Ornamente, andere sind mit einem Relief überzogen. Eines dieser Reliefs wurde zur Inspiration für die heutigen Holzlandschaften. Vier kleine Reststücke, die für die Gestaltung einer Schubladenfront übrig blieben. Fünfzehnfach vergrössert, fertigte Kurer daraus seine erste Skulptur aus einem Weisstannenstamm. Drei Jahre später sind sechs weitere Holzskulpturen entstanden. «Es war befreiend, wieder ohne Maschine, nur von Hand zu arbeiten.» Statt einem Konstruktionsgedanken zu folgen oder einem Kundenwunsch zu entsprechen, könne er frei kreieren. Er skizziert lange für eine stimmige Form und erstellt davon jeweils ein kleines Modell. Die definierten, häufig geschwungenen Konturen werden mithilfe einer Kartonschablone auf die rohen Stämme übertragen und mit der Motorsäge aufgetrennt. Dann beginnen die Schnitzarbeiten.

Zwanzig verschiedene Schnitzeisen liegen dafür bereit. Wie die Oberfläche gestaltet wird – grob geschnitzt oder fein poliert –, entscheidet der Schreiner im Prozess. «Bei einer knorrigen Arve hebe ich beim Schnitzen das Wilde, Verwachsene hervor – anders beim edlen Nussbaum.» In Paris, unter dem imposanten Dach des Grand Palais, präsentierte Kurer diesen Frühling seine Werke. Und im Herbst werden die schweren Blöcke nach Südkorea verschifft und bei der Biennale in Cheongju ausgestellt. Ein so internationales Publikum zu erreichen, ist eine einzigartige Gelegenheit.

Trotzdem freut sich Kurer, wenn wieder etwas Ruhe einkehrt und er an den neuen Baumstämmen – dem frisch gefällten Nussbaum und dem Kastanienbaum aus dem Bergell – weiterarbeiten kann.

«Es war befreiend, wieder ohne Maschine, nur von Hand zu arbeiten.»

ho

Veröffentlichung: 07. September 2017 / Ausgabe 36/2017

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