Unter der Sonne Kaliforniens

In der Wüste von San Diego wandert Kevin Schär (31) manchmal einem seit 1983 stillgelegten Schienen-netz entlang, das durch zehn Tunnels und über sechs Holzbrücken führt. Bild: PD

Leute. Im Gespräch mit Kevin Schär fallen einige englische Wörter: Beach, Biken, Relaxen. Hie und da überlegt der 31-Jährige einen kurzen Moment und fragt sich: «Wie heisst das schon wieder?»

Dann fährt er fort zu erzählen in seiner ruhigen Art und in seinem Aargauer Dialekt, den er nur noch sporadisch spricht. Zum Beispiel, wenn er mit seinen Eltern telefoniert über eine Distanz von rund 9590 Kilometern und mit einer Zeitverschiebung von 9 Stunden. «Ich denke und träume mittlerweile in Englisch», erzählt Schär. Der Schreiner lebt und arbeitet in der Grossstadt San Diego an der kalifornischen Pazifikküste und nahe der mexikanischen Grenze. Schär hatte ursprünglich andere Pläne. «Ich wollte Karriere machen und mich laufend weiterbilden.» Als ihm nach seiner Lehre eine Schreinerei eine Anstellung anbot mit der Möglichkeit, sich im Betrieb als CNC-Maschinist zu spezialisieren, packte er die Chance am Schopf. Doch bereits in seiner ersten Arbeitswoche teilten ihm die Vorgesetzten mit, dass der Betrieb Konkurs gehen würde. In dieser Zeit plante seine Schwester einen Sprachaufenthalt in Kalifornien und fragte ihn, ob er mitkommen wolle. «Das war ein perfektes Timing, und ich sagte sofort zu.»

«In den USA faszinieren mich die Offenheit und die Freundlichkeit der Menschen und die Schönheit der Natur.»

Damit nahmen die Dinge ihren Lauf. Nach der Sprachschule in Los Angeles und einer Reise durch die USA wollte Schär tiefer in die amerikanische Kultur eintauchen. «In den USA faszinieren mich die Offenheit und die Freundlichkeit der Menschen und die Schönheit der Natur. Auch das Unterwegssein und die Möglichkeit, stetig Neues zu sehen und viel über mich selber zu lernen, gefällt mir», schwärmt er. «Früher war ich schüchtern. Mit der Zeit konnte ich dies immer mehr ablegen», verrät er. Zurück in der Schweiz suchte Schär nach Schreinereien in Kalifornien, die an der Arbeit eines Schweizer Schreiners interessiert waren. Schliesslich fand er einen Job bei Studio Europa, einer von Schweizern geführten Schreinerei in San Diego, die sich auf den Bau und die Installation von hochwertigen Küchen spezialisiert hat. Während dieses Aufenthalts in Kalifornien lernte Schär seine jetzige Frau kennen. Als sein Arbeitsvisum auslief, bereisten sie zusammen Teile der Welt: Europa, Australien und Asien. Dazwischen lebten sie ein Jahr in der neuseeländischen Stadt Auckland, wo Schär wiederum in einer Schreinerei arbeitete. «Ich fühlte mich so weit weg wie abgeschnitten vom Rest der Welt. Aber es war eine gute Zeit.» Als 2020 das Coronavirus kam, war Schär in der Schweiz, hatte aber bereits mit einer Schreinerei in Los Angeles einen Vertrag abgeschlossen. Eine Woche vor dem Flug gingen alle Grenzen zu. Schär konnte erst ein halbes Jahr später in die USA reisen. «So lange von meiner Freundin getrennt zu sein, war extrem hart», erinnert er sich. Heute lebt und arbeitet er wieder in San Diego. Vor einem guten Jahr hat er geheiratet, und seit Kurzem besitzt er die ersehnte Green Card.

Noch immer geniesst er das Leben in Kalifornien, das schöne Wetter, die Nähe zum Strand und zur Wüste, die ihn fesselt und wo er mit seiner Frau regelmässig campen geht. Es gibt aber auch Dinge, die er vermisst: gutes italienisches Essen wie Pizza und Pasta, feines Brot und seine Familie, die er seit Längerem nicht mehr gesehen hat.

Franziska Herren

Veröffentlichung: 05. Juni 2023 / Ausgabe 22/2023

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