Verbindung von Technik und Tradition

Das 400-jährige Mesmerhaus mit Anbau ist ein Niedrigst-energiebau. Im Souterrain liegt der Eingang zur Weinstube. Bild: Manuel Martini

Restaurierung.  Das 400-jährige Mesmerhaus in Ermatingen ist dank fachgerechter Sanierung zum Null-Energie-Baudenkmal geworden. Mehrere Schreinereien waren im historischen Gebäude am Werk. Sie schufen Spezielles für Täfer, Türen und Interieur.

Im Souterrain des Mesmerhauses in Ermatingen TG liegt die Weinstube «Wy & Kafi». Ein besonderer Windfang sorgt für Durchblick in den historischen Natursteinkeller. Der verglaste Raumteiler verläuft als Querriegel hinter der Eingangstür. Zahlreiche spezielle Anfertigungen vom Schreiner waren dafür nötig, wie auch für die Sanierung des 400-jährigen Baudenkmals insgesamt. Schreiner Simon Beerli von der gleichnamigen Schreinerei in Hugelshofen TG zeigt, wie die Tür des Windfangs seitlich ins historische Mauerwerk eingepasst wurde. «Die Stichsäge muss perfekt in der Hand liegen», sagt er. Auf der anderen Seite schliesst dreifach isoliertes Sicherheitsglas an. Der Windfang ist 5,5 Meter lang, unterteilt in 900 mm breite, verglaste Einzelelemente. Die Rahmen sind aus lackiertem Nadelholz. Sie wurden vor Ort auf einem grossen Rahmenelement zusammengebaut und verdeckt auf einem Betonsockel montiert. «Beim Holz haben wir uns an den historischen Vorgaben orientiert», sagt Beerli und zeigt auf die alte Decke aus Nadelholz. Architekt Peter Dransfeld verfolgte die Philosophie «Das Alte bewahren, das Neue zeigen». Bei der Wahl der sechs Meter langen, zweiteiligen Bar entschied man sich hingegen für Eiche, imprägniert und geölt. «Schön und funktional, das waren die Vorgaben des Architekten», sagt Beerli. Er nahm auch die Inneneinteilung der Theke vor.

Flair fürs Vergangene

Das Büro Dransfeld Architekten bewegt sich schon länger im Spannungsfeld zwischen Denkmalpflege und Anforderungen in puncto Niedrigstenergie. Vor sieben Jahren kaufte Peter Dransfeld selber das renovationsbedürftige Mesmerhaus in seiner Wohngemeinde Ermatingen am Untersee, die Sanierung ist vergangenes Jahr abgeschlossen worden. Das Haus stammt gemäss einer Jahrringdatierung der Hölzer aus dem Jahr 1609.

Die Tragstruktur ist während der Renovation vollständig erhalten geblieben, das Innenleben wurde zeitgemäss saniert. Im angrenzenden Heizungskeller zeigt der Architekt eine eingebaute Wärmepumpe, sie betreibt die Heizung und liefert Warmwasser. Der Strom wird aus Solarzellen an der Fassade des neu erstellten Anbaus gewonnen. Das Mesmerhaus hat ein Minergie-A-Zertifikat und den Schweizer Solarpreis 2020 erhalten. Nebst der Weinstube im Souterrain beherbergt der Bau in den oberen Geschossen drei Wohnungen.

Keine Tür ist wie die andere

Der Rückweg vom Heizungskeller in die Weinstube führt an den bündig eingepassten WC-Türen vorbei. «Die Stärke unseres Betriebs liegt in der Anfertigung individueller Türen», sagt Daniel Burkhart von der Schreinerei Meier in Weinfelden TG. Der Bauherr wünschte glatte Türen ohne störende Scharniere. Zum Heizungskeller führt eine Brandschutztür mit einer Dicke von 60 mm. Der farbige Folienprint am Ende des Gangs ist ein Hingucker. «Jede Tür im Mesmerhaus ist anders und wurde exakt auf die Raumsituation angepasst», sagt Burkhart. Eine schmale Treppe führt nach draussen und zum Wohnbereich von Peter Dransfeld über dem modernen Anbau.

Minimale Rahmenbreiten

Im angrenzenden, historischen Teil der Wohnung öffnet sich rechts ein Täferzimmer aus dem 19. Jahrhundert. Dessen neue Tür wurde exakt in die Zimmerschräge eingepasst bei einer Raumhöhe von 2,05 Metern. «Eine grosse Herausforderung waren die minimalen Rahmenbreiten», sagt Burkart. Sie sind massiv, während die Tür selbst aus einem Rohling besteht. Die Holzstruktur im Futter hat man bei der Lackierung bewusst belassen, um eine Brücke zum historischen Täfer zu schaffen. Ein weiteres Beispiel für die individuellen Türen zeigt sich im angebauten Treppenhaus. Die Wohnungsabschlusstüren weisen Überschneidungen zum historischen Gebälk auf. Auch hier ist das Neue gezeigt und das Alte bewahrt worden.

Täferstube neu aufgemöbelt

Das Alte wurde auch in der Täferstube aus dem 19. Jahrhundert bewahrt. Darüber weiss Marcel Volkart mehr, Schreiner von Ilg Holzbau in Ermatingen TG. Er hat zwei Wände mit gleichem Profil ergänzt. «Wir haben Decken und Wände fotografiert, nummeriert, zurückgebaut und eingelagert», sagt der Fachmann. Derweil wurde innen eine Isolation angebracht. Die defekten Täferwände reparierte man, passte sie ein und verleimte sie neu.

Beim Rückbau tauchte ein Fries mit Wandmalerei auf. «Es ist wie ein Fenster in die Geschichte», sagt Architekt Dransfeld. Auch beim Ablaugen fand man auf den Hölzern Spuren von verschiedenen Farben. In Abstimmung mit einem Restaurator wurden die zur Bauzeit aufgebrachten Originalfarben rekonstruiert und ein Restaurierungskonzept mit historischen Farben und Putzen erarbeitet.

Historische Decken restauriert

Auch beim älteren Täferzimmer aus dem 18. Jahrhundert war ein Rückbau nötig. Um die historischen Schichten von Decken und Wänden freizulegen, mussten jüngere Schichten vorsichtig entfernt werden. Zum Vorschein kam eine fast vollständig erhaltene Deckentäferung aus dem 18. Jahrhundert. Diese wurde sorgfältig demontiert, abgelaugt und neu montiert. Fast alle Teile konnten wieder verwendet werden. «An wenigen Stellen war ein originalgetreuer Ersatz nötig», sagt Volkart. Die Unterkonstruktion wurde, wo nötig, ergänzt und geflickt. Die Füllungen der Kassettendecken wurden so gestossen, dass eine gewisse Bewegung möglich bleibt. An einer Wand des Raumes finden sich Täferungen, die möglicherweise noch aus dem 17. Jahrhundert stammen. Sie wurden, sichtbar ergänzt und teilweise in kräftiger Farbigkeit gehalten.

Ein Wirtshaustisch der Superlative

Zurück in der Weinstube. Für den sechs Meter langen Beizentisch, eine Holz-MetallKonstruktion, wurde die ortsansässige Firma Wettstein Werkstattbau AG beauftragt, spezialisiert auf Werkstatteinrichtungen für Schulhäuser. Geplant waren zuerst drei Tische. Der Wirt hatte sich einen einzigen, langen Tisch gewünscht. Bei einem Tag der offenen Baustelle erhielt man dieses Feedback auch von Besucherinnen und Besuchern. «So revidierte ich glücklicherweise die Planung», sagt Dransfeld. «Der sechs Meter lange Tisch war platztechnisch das Maximum, das wir bearbeiten konnten», sagt Marco Kornmaier, Produktionsleiter und Mitglied der Geschäftsleitung bei Wettstein. Das Unternehmen verfügt über eine eigene Schlosserei, weshalb es den Tisch komplett selbst produzieren konnte. Das Möbel ist 700 mm breit und besteht aus einzelnen Eichenriemen mit 100 mm Breite und 50 mm Dicke. Passend dazu wurden Sitzbänke und Barhocker auf Mass gefertigt. Sie bestehen aus massiver Eiche, die Verbindungen sind sichtbar.

Durch die Auftragsvergabe an Betriebe aus der Region konnte im Mesmerhaus eine hohe, lokale Wertschöpfung erreicht werden. «Das ist mein Bekenntnis zur Region, das für jeden Besucher sichtbar ist», sagt Architekt Peter Dransfeld.

www.beer.liwww.meier-schreinerei.chwww.gropp.chwww.holzbau-ilg.chwww.dransfeld.ch

Mesmerhaus Ermatingen

Altertümliches Fachwerkhaus

Die Thurgauer Denkmalpflege stuft das Mesmerhaus an der Kirchgasse in Ermatingen als wertvoll ein. Der Kern des Gebäudes datiert aus der Zeit um 1610. Die heutige Bausubstanz stammt aus dem 17. und 18. Jahrhundert. «Insgesamt stattliches und sehr altertümliches Fachwerkhaus», heisst es im Hinweisinventar. Auf die altertümliche Bausubstanz aus dem 16. Jahrhundert wiesen vor allem die Eichensäulen im Keller und die Konstruktion des Dachstocks mit «sehr altertümlichen Verblattungen» hin. Im 20. Jahrhundert war die Katholische Kirchgemeinde für längere Zeit Besitzerin des Gebäudes. Dieses diente ihr als Wohnstätte des Mesmers (Sigristen).

Manuela Ziegler, HIL

Veröffentlichung: 17. Juni 2021 / Ausgabe 25/2021

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