Vom Bildschirm zu den Bienen

Beatrice Pöhl an ihrem «zweiten Arbeits-platz» als Imkerin mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis. Bild: Franziska Hidber

Leute. Beatrice Pöhl hat es gut: Nur ein paar Meter trennen sie von ihrer Leidenschaft. Wenn sie genug von den Zahlen am Bildschirm hat, geht sie aus dem Büro, die Treppe hinunter, ums Gebäude herum, ein paar Schritte durch die Wiese, und schon ist sie bei ihrem Hobby angekommen. 

Wobei Hobby nach etwas für Laien klingt, was auf Beatrice Pöhl nicht zutrifft: Sie hat ein Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis als Imkerin und gibt ihr Wissen in Kursen weiter. Ihre Freizeit gehört zu einem guten Teil der Imkerei. Bei den Bienen kann sie abschalten und auftanken zugleich. «Man ist draussen und kann den Kopf auslüften», erklärt sie. Das ist immer wieder mal nötig, wenn Unmengen von Zahlen durchs Hirn geistern. Seit rund zehn Jahren führt sie mit ihrem Mann Christian die Schreinerei Thalmann AG in Neuhausen am Rheinfall SH. «Das gibt mir die Freiheit, auch mal am Tag bei den Bienen nach dem Rechten zu sehen», sagt sie. Ihre Bienenkästen stehen am Hang, leicht versteckt hinter Gebüschen. «Die Schwarmkisten habe ich alle selbst gemacht», sagt sie, «und auch für die Magazine und Reparaturen stehe ich immer wieder in der Werkstatt.» Sie lacht: «Ein bisschen Schreinerin bin ich also schon geblieben.» Angestellt war die 48-Jährige vor der Übernahme der Schreinerei lang genug: erst als Schreinerin, dann im Möbelverkauf «als Mädchen für alles» und schliesslich im Sekretariat. Bis die Schreinerei Thalmann eine Nachfolge suchte und ihr Mann, damals Stellvertreter des Geschäftsführers, mit der Frage ankam, ob sie ihn dabei unterstützen würde, den Betrieb zu leiten; allein könne er diese Aufgabe nicht stemmen. «Okay, ich helfe dir», hatte die Schaffhauserin gesagt, ihren Job im Verkauf aber vorerst behalten. Zu Hause galt es dazu, die kleinen Söhne zu betreuen.

Die Tage hatten zu wenig Stunden für all diese Aufgaben, und der Hut, unter dem sie die ganze Fülle hätte unterbringen sollen, blieb zu klein, so sehr sie ihn auch drehte und wendete. Also verabschiedete sie sich vom Verkauf und widmete sich fortan dem eigenen Betrieb; kümmert sich ums Lohnwesen, die Buchhaltung und den Postverkehr. Das nötige Rüstzeug dafür hatte sie sich in einem Buchhaltungslehrgang geholt. «Die Selbstständigkeit habe ich nie bereut», sagt sie. Bei allen Herausforderungen mag sie es, gemeinsam mit ihrem Mann «etwas aufzuziehen», selber Verantwortung zu tragen – und vor allem ihre Zeit einteilen zu können, ohne die Zustimmung eines Chefs zu holen. Nicht nur wegen der Bienen, betont sie mit einem Schmunzeln. «Als unsere beiden Söhne klein waren, konnte ich meine Arbeitszeiten flexibel gestalten und so Beruf und Familie vereinbaren.» Der Nachwuchs ist nun 17 und 20 Jahre alt, und es scheint, als hätten die beiden das Schreiner-Gen ihrer Eltern geerbt. Oft sind sie an einem Samstag im elterlichen Betrieb anzutreffen, fertigen zum Beispiel aus zwei Holzfässern «Kräuterspiralen» für den Garten, beobachtet von der erfreuten Mutter. «Die Chancen stehen nicht schlecht, dass unsere Nachfolge gesichert ist», bemerkt sie. «Aber wir forcieren nichts, es ist ihre Entscheidung.» Und im Moment sowieso Zukunftsmusik.

Die Gegenwart wartet mit spannenden Aufgaben: Beatrice Pöhl will den Betrieb optimieren und komplett auf CAD umstellen. Zudem hat sie ein zweites Hobby: Seit fünf Jahren sitzt sie wieder häufiger im Sattel ihrer KTM Duke 790, braust ins Elsass, in die Dolomiten oder mit dem Sohn ins Südtirol. Und wenn die Bienen es nicht schaffen, ihren Kopf freizuschalten, dann gelingt es dem Fahrtwind garantiert.

«Die Schwarmkisten habe ich alle selbst gemacht. Ein bisschen Schreinerin bin ich also schon geblieben.»

Franziska Hidber

Veröffentlichung: 23. Januar 2023 / Ausgabe 3/2023

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