Vom Wildfang zum Spitzensportler

Patrik Moser (32) hat dem Judosport über viele Jahre hinweg alles untergeordnet. Bild: PD

«Nicht schludern, das Gleichgewicht behalten», ruft Patrik Moser durch das Dojo, die Trainingshalle Mülimatt in Brugg. Die Zehn- bis Vierzehnjährigen üben in ihren weissen Kimonos Okuri-Ashi-Barai, die Technik des Fussnachfegens. Zu zweit versuchen die Mädchen und Jungen, einander beide Füsse wegzuwischen und sich so zu Fall zu bringen. «Bei dieser Technik ist nicht die Kraft entscheidend, sondern Gefühl, Timing und Technik», erklärt ihnen Judoka Moser. Und er weiss, wovon er spricht. Denn in seinem Leben dreht sich seit vielen Jahren alles um Judo. Von sich aus hätte er sich möglicherweise gar nicht auf diesen intensiven Weg aufgemacht. Doch sein Kinderarzt hatte dem damals siebenjährigen Wildfang Judo verordnet. «Ich war ein hyperaktives Problemkind. Der Kampfsport war ein Ventil, um meine überschüssige Energie rauszulassen.» Mit 15 Jahren stand er vor der Wahl: Sollte er Judo als blosses Vergnügen oder als Leistungssport ausüben? Er entschied sich für den Leistungssport. Dies bedeutete, gut 25 Stunden pro Woche Technik-, Kampf- und Athletiktraining sowie 20 Wochen pro Jahr für Trainingslager und Wettkämpfe unterwegs zu sein. Nach der Schule fand Moser eine Lehrstelle in seinem Wunschberuf als Schreiner. Um ausreichend trainieren zu können, durfte er während seiner Ausbildung mehr freie Tage und Ferien beziehen. Im Judo einen maximalen Einsatz zu leisten und daneben im Betrieb und in der Schule gute Leistungen zu erbringen, überforderte ihn jedoch zunehmend. «Im dritten Lehrjahr überlief das Fass.» Sein Berufsschullehrer half ihm, den Betrieb zu wechseln, sodass er das letzte Lehrjahr in zwei Jahren anstatt in einem beenden konnte.

«Nach der Lehre musste ich dann im Sport richtig Gas geben», sagt Moser. «Von zehn Freizeitterminen sagte ich meist neun ab. Meine Schwester musste sogar ihre Hochzeit verschieben, damit ich dabei sein konnte.»

Weil sich das intensive Training und die Wettkämpfe mit keiner geregelten Arbeit vereinbaren liessen, verdiente er ausserdem bis Ende zwanzig kaum eigenes Geld. «Es war alles von Idealismus getragen. Aber der Sport gab mir mehr, als er mir nahm.» Der mittlerweile 32-jährige Judoka trat in der ganzen Welt gegen die Besten an und schaffte es auch hin und wieder, diese zu schlagen. Jedoch reichte es nicht für seinen grossen Sportlertraum: Olympia. «Ich musste einige Niederlagen einstecken und habe meine grossen Ziele nicht erreicht. Trotzdem bin ich glücklich und stolz auf das, was ich persönlich und im Sport erreicht habe.» Der im aargauischen Erlinsbach wohnhafte Sportler holte sich mehrfach Medaillen als Schweizer Meister, im Welt- und Europacup sowie Qualifikationen für Welt- und Europameisterschaften. «Judo lehrte mich, einmal mehr aufzustehen, als ich hinfalle – und ehrlich mit mir zu sein, den Tatsachen in die Augen zu schauen und daran zu arbeiten.» Letzten Herbst beendete Moser seine Judo-Karriere. «Ich bin seitdem nicht mehr von diesem absoluten Leistungsgedanken getrieben», erklärt er.

Zurzeit arbeitet Patrik Moser in einem Ingenieurbüro als Aussendienstmitarbeiter und berechnet in der ganzen Schweiz Mobilfunkstrahlen. «Mit einer in der Gesellschaft anerkannten Arbeit mein eigenes Geld zu verdienen, gibt mir grossen Seelenfrieden.»

Ein Leben ohne Judo ist für Moser aber unvorstellbar. «Ich trainiere nach wie vor jeden Tag. Und dies im gleichen Dojo, in dem ich auch den Nachwuchstalenten meine Erfahrungen und mein Wissen weitergebe.»

«Judo lehrt mich, einmal mehr aufzustehen, als ich hinfalle. Und ehrlich mit mir zu sein und den Tatsachen in die Augen zu schauen.»

fh

Veröffentlichung: 02. Mai 2019 / Ausgabe 18/2019

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