Zum Improvisieren geboren

Mit seinem Saxofon mischt Alex Rüedi (61) seit Jahrzehnten die Jazzwelt auf. Bild: Beatrix Bächtold

«Lieber überzeugt falsch als verhalten richtig», so lautet das Motto von Alex Rüedi. Und so ist er nicht nur musikalisch, sondern auch privat zum nachhaltigen Improvisieren bereit. Jedenfalls erwarb er vor 25 Jahren ein Haus in Brig-Gamsen VS, ohne es vorher angeschaut zu haben. Auf einem Foto sah er lediglich, dass das 500 Jahre alte Walliserhaus einen Meter dicke Mauern hatte. «Die Substanz scheint in Ordnung, und alles, was mir nicht gefallen sollte, kann ich als gelernter Schreiner ja selbst ändern», dachte er sich und schlug zu. Und so sitzt er heute auf seiner selbst gezimmerten Pergola, kocht in der selbst gebauten Küche aus Lärchenholz, läuft über den selbst verlegten Holzboden und isst vom selbst geschreinerten Tisch. Ab und zu lebt er seine Kreativität auch heute noch in seinem Hobbyraum aus. Ein multifunktionales Gitterbett fürs Enkelkind war sein letztes Projekt. Rüedi ist ein Bewegungsmensch. Musikalisch, geistig und auch körperlich. Bereits hat er 42 der 48 Viertausender der Schweiz bestiegen. Das warme und vielseitige Material Holz hat ihn dazu bewegt, Schreiner zu werden. «Wenn ich später die Gelegenheit gehabt hätte, als freier Kundenschreiner selbstständig zu arbeiten, wäre ich noch heute im Beruf», sagt er.

Doch das Leben hatte etwas anderes mit ihm vor. Als Knirps startete er mit der Handorgel, entlockte später dem Klavier seiner Grossmutter die ersten Töne, und als Jugendlicher entdeckte er das Saxofon. Mit diesem spielte er bereits als 17-Jähriger in einer Big Band in Winterthur ZH. «Nach den ersten Proben wusste ich: Das ist meine Musik, das will ich machen», erzählt er. Irgendwann erfuhr der gebürtige Wattwiler von der Swiss Jazz School in Bern. «Wow. Diese Möglichkeit kannte ich gar nicht. Im Toggenburg hat einem das ja keiner gesagt.» Und er habe sich gedacht: «Wenn es nicht funktioniert, so habe ich ja einen Beruf.»

Mittlerweile führt der Jazzer mit der hippen Hornbrille auf der Nase bereits seit 30 Jahren erfolgreich seine eigene Big Band. Um richtig grosse Säle zu füllen, verbindet er Jazz mit volkstümlichen Klängen oder spannt auch gerne mal mit einem ganzen Symphonieorchester zusammen. «Eine Big Band mit 18 Stimmen und ein Orchester mit noch mehr Stimmen. Das ist ein riesiger Apparat», sagt Rüedi. Man kann sich vorstellen, dass das, was im Konzertsaal so musikalisch leichtfüssig tönt, viel Übung und Komponistenarbeit erfordert. Deshalb zieht sich Rüedi zu jeder Tages- und Nachtzeit in sein Refugium, einen umgebauten Stall gleich neben seinem Wohnhaus, zurück. Als Musiklehrer an der Oberwalliser Musikschule gründete Rüedi vor mehr als 20 Jahren eine Nachwuchsband. «Gemeinsam mit zwei Schulkollegen der Jazzschule Bern brachte ich den Jazz ins Oberwallis», erklärt er. Für sein Engagement und ganz besonders für die Förderung des Nachwuchses seiner Wohngemeinde wurde er vor nicht allzu langer Zeit mit dem Kulturpreis Brig-Glis 2016 ausgezeichnet.

Allerdings misst Alex Rüedi der Trophäe, die ihn zwar schon freut, die er aber nie anstrebte, keine überdimensionale Bedeutung bei. Vielmehr ist es die Musik, die Förderung der Jugend, das Ausprobieren, das Komponieren von grossen und komplexen Musikwerken, was das musikalische Multitalent antreibt.

In seinem Übungsraum stehen verschiedene Instrumente, von der kleinen Querflöte bis zum mächtigen Kontrabass. Ob es nicht generell ein Widerspruch sei, dass er als «Hölziger» vor allem das Saxofon aus Messing liebe? Rüedi lacht und sagt: «Es hat ein Plättchen aus Bambus, was zwar streng genommen botanisch ein Gras ist, aber immerhin verholzt.»

«Bei den ersten Proben wusste ich sofort: Das ist meine Musik, das will ich machen.»

beb

Veröffentlichung: 16. Januar 2020 / Ausgabe 3/2020

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