Alle Daten gehören auf den Tisch

Eine umfassende Analyse sämtlicher Dokumente und Datenquellen lohnt sich für jeden Betrieb. Bild: Shutterstock

Vernetzt.  Der Planungs- und Produktionsablauf einer modernen Schreinerei basiert auf durchgängigen Daten. Um Durchgängigkeit zu erreichen, braucht es eine Strategie, das richtige Personal und die nötigen Fachressourcen, wie der Blick in drei verschiedene Betriebe zeigt.

Die Systeme und der Datenfluss in einem Unternehmen werden immer komplexer. Wer meint, dass dies nur für IT-Unternehmen oder Industriebetriebe gilt, ist gehörig auf dem Holzweg. Heute und in Zukunft lautet das Zauberwort in fast jeder Schreinerei «Datendurchgängigkeit». Für einen erfolgreichen Umbau bei der Privatkundschaft beginnt der Prozess bei der Massaufnahme. Aufträge in Neubauten starten mit der Datenübernahme aus den Plänen des Architekten. Damit ist der Datensalat jedoch erst recht aufgemischt. Denn in jedem Betrieb werden verschiedene Systeme für unterschiedliche Anwendungen genutzt. Das ERP als betriebswirtschaftliches Herzstück, das Zeichnungssystem CAD und die anderen Planungsprogramme sind datentechnisch vielfach noch nicht kompatibel. Kommen dann die Maschinensteuerungen und anderen Datenquellen hinzu, wird der so wichtige gegenseitige Austausch noch einmal schwieriger.

Sogar die Analyse muss geplant sein

Es ist die aktuelle Herausforderung von Schreinereien, den Datensalat zu Beginn eines grösseren Optimierungsprozesses in Richtung Datendurchgängigkeit zu ordnen und zu bündeln. Eine solche Auslegeordnung muss sorgfältig geplant und unter Einbezug aller Abteilungen des Unternehmens durchgeführt werden. Das bestätigt Thomas Gübeli, Geschäftsleiter der 75-köpfigen W. Rüegg AG in Kaltbrunn SG. Die stetige Weiterentwicklung ist Teil der Unternehmenphilosophie. Und trotzdem: «Die Einführung des neuen ERP in unseren drei Abteilungen Bauplanung, Holzbau und Schreinerei war ein Hosenlupf.» Der Prozess habe zwar ausgezeichnet funktioniert. Trotzdem ergänzt er selbstkritisch: «Heute würden wir von Anfang an einen Projektverantwortlichen einsetzen, der die Ansprüche an das ERP aus allen Bereichen sammelt und koordiniert.»

Fachwissen selber erarbeiten

Auf einen externen Berater hat die W. Rüegg AG allerdings absichtlich verzichtet. «Wir wollten das Fachwissen bis ins Detail intern und mit unseren Partnern erarbeiten.» So habe man die Kalkulationsblöcke und Bibliotheken selber aufgebaut, um die betriebseigenen Prozesse abbilden zu können. Wichtig sei für sie gewesen, dass die Kalkulation sofort ins neue ERP integriert wurde. «So sehen wir auf einen Blick, welche Material- und Fertigungskosten anfallen», erklärt Gübeli. «Diese Transparenz, die tiefe Fehlerquote und die optimierten Prozesse ermöglichen es uns heute, mit der Industrie preislich mitzuhalten.»

Bereits wird bei der W. Rüegg AG das nächste Ziel avisiert: das Erreichte auf den Bereich Türen auszuweiten. Zudem soll die CAD-Software aller drei Abteilungen vereinheitlicht werden.

Die Bibliotheken als Schlüssel

Mit Projekten wie bei der W. Rüegg AG lerne auch er noch immer dazu, weiss Alex Ochsner, Geschäftsführer der Firma Swiss all CAD AG, zu berichten. «Wichtig ist, dass der Betrieb eine Strategie mit einem klaren Ziel vor Augen hat.» Bei vielen Schreinereien sei dies nicht auf Anhieb zu erkennen. «Mit geschickten Fragen und etwas Fingerspitzengefühl gelingt es aber meistens, die Bedürfnisse und Knackpunkte auf dem Weg zur Durchgängigkeit zu erkennen und so eine Analyse zu machen.» Bei den Betrieben, die neu auf die 3D-Planung umstellen, ist dieser Weg vorgezeichnet. Dabei sei es nicht entscheidend, auf welches ERP-Programm die Schreinerei setzt. «Die Schnittstellen zu den gängigen ERP-Software-Anbietern sind heute gewährleistet», erklärt Ochsner. Gut aufgebaute Bibliotheken seien der Schlüssel zu schnellen und durchgängigen Prozessen. «Der individuelle Aufbau einer Bibliothek im Betrieb erfordert einen höheren Initialaufwand. Dabei erleichtert es unsere Aufgabe, wenn vor Ort eine Person in der Schreinerei ist, die ein gewisses technisches Verständnis mitbringt und die Abläufe bestens kennt», sagt Ochsner. Mittel- und langfristig sei dieser sorgfältige Aufbau jedoch gut investierte Zeit. Unterhalt und Ausbau der Bibliothek kämen danach massiv günstiger.

Schnellere und schlankere Produktion

Ein grosser Schritt in Richtung Durchgängigkeit machte 2019 auch die Furrer Schreinerei und Küchenbau AG im zürcherischen Wila. Der Betrieb mit rund 30 Mitarbeitenden ist heute dank der Einführung des ERPs, einer neuen CAD-Software und des QR-Code-basierenden Durchlaufs stark verbessert unterwegs. «Dabei konnten wir auf die beratende Unterstützung von René Wetzstein zählen, der uns die Datenbibliothek aufgebaut hat», erklärt Andreas Nock, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Schreinerei.

Die Umstellung sei im Grossen und Ganzen reibungslos verlaufen, die Produktion sei schlanker und schneller geworden. «Das Zeichnen ist die grösste Herausforderung, weil die Projektleiter nun mehr Verantwortung tragen», sagt Nock. «Daran mussten wir uns zuerst herantasten, auch wegen der Umstellung auf die Planung in 3D.» Weniger Mitarbeitende beschäftigt der Betrieb seit der Umstellung nicht. «Das war nie das Ziel», betont Andreas Nock. «Aber wir können sie nun vielseitiger einsetzen.»

Mit einer Digitalstrategie gestartet

Einen etwas anderen Weg hat die Obrist Interior AG aus dem luzernischen Inwil eingeschlagen. Mit einer eigentlichen Digitalstrategie hat sie entscheidende Entwicklungsschritte eingeläutet. Beim rund 60-köpfigen, im hochwertigen Laden- und Innenausbau tätigen Unternehmen wurde so das Bewusstsein der Entscheidungsträger und der Mitarbeitenden für das Thema geschärft. «Aus dieser Erkenntnis heraus ist auch die Entscheidung gereift, einen sogenannten Application Manager einzustellen. Dieser hilft uns heute, Ideen direkt zu diskutieren, diverse Sachen auszuprobieren und Massnahmen rasch umzusetzen», erklärt der stellvertretende Obrist-Geschäftsführer Dominique Studerus.

Schritt für Schritt vorwärts

Der Umzug des ganzen Betriebs in den Neubau nach Inwil hat der Obrist Interior AG zu einem nächsten Schritt verholfen. «Bei vielen Prozessen, insbesondere in der Produktion, sind wir seither viel besser aufgestellt», erklärt Dominique Studerus. Weitere Optimierungsschritte in den Bereichen Arbeitsabläufe, Hilfsmittel und Transparenz folgten. So zum Beispiel die Einführung des papierlosen Kreditorenprozesses, die Integration von Bildschirmen anstelle von Papierplänen in der Produktion, das Bestellwesen von Lagerartikeln mittels QR-Code, die Projektarbeit mittels Kollaborationstool Teams und vieles mehr.

«Aktuell arbeiten wir an der Verbesserung des Prozesses von der Zeichnung über die Stückliste auf die Maschine – ein Thema, das jeder Schreiner kennt. Dazu kommt die Automatisierung des Informationsflusses von der Verpackung zur internen Logistik, bis hin zur Zolldeklaration. Dieser Prozess ist heute zu aufwendig», erklärt Studerus. «Wir denken in einem nächsten Schritt über ein komplettes Dokumenten-Management-System nach, um das Archiv abzulösen und alle relevanten Informationen zentral verfügbar zu halten.» Zudem machen sich die Obrist-Verantwortlichen Gedanken, wie sie für die Kunden auf verschiedenen Kanälen sichtbarer werden.

Doch selbst Dominique Studerus, der sein Wissen gerne an die ganze Branche weitergibt (siehe Kasten unten), hebt den Warnfinger: «Bei all den Möglichkeiten, die es gibt, gilt es immer zu beurteilen, welche Vorteile sie dem Unternehmen bringen. Denn parallel zum Tagesgeschäft darf man sich auf keinen Fall übernehmen. Lieber kleine Schritte machen und immer wieder kleine Erfolge feiern.» Dabei dürfe nicht vergessen werden, die Mitarbeitenden «mitzunehmen» und sie für die neuen Möglichkeiten zu begeistern.

www.ruegg-kaltbrunn.chwww.swissallcad.chwww.furreragwila.chwww.obrist-interior.ch

PATRIK ETTLIN

Veröffentlichung: 08. April 2021 / Ausgabe 15/2021

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