Alles ausser gewöhnlich

Im Tenn des alten Kleinbauernhauses befindet sich die Wohnbox, der einzige gedämmte Teil des Gebäudes. Bild: Gataric Fotografie

Planung.  Freunde des Urtümlichen kommen in Vinelz am Bielersee auf ihre Kosten. Sie treffen hier auf ein unlängst umgebautes Kleinbauernhaus. Nebst viel Gefühl für die alte Substanz war dabei auch viel rollende Planung im Spiel.

«0815» ist zwar der Name des verantwortlichen Architekturbüros. Ansonsten ist aber gar nichts gewöhnlich am Taunerhaus im Dorfzentrum von Vinelz BE. Ausser vielleicht, dass es einst von «gewöhnlichen Leuten» bewohnt wurde, den Taunern. Das waren Kleinbauern, die zu wenig Land und Vieh hatten, um davon leben zu können. Also mussten sie sich als Taglöhner bei Grossbauern oder dem Klerus verdingen.

Die typische «Ründi»

Im Fall des Taunerhauses in Vinelz waren sie womöglich bei der Geistlichkeit beschäftigt, denn die Kirche steht gleich vis-à-vis. Auch die sogenannte «Ründi» könnte darauf hinweisen, dass das Haus einst von kirchennahen Personen erbaut oder bewohnt worden ist. Gemäss der Stiftung «Ferien im Baudenkmal», ihres Zeichens Bauherrin und Eigentümerin des Taunerhauses (siehe Kasten), tauchte die «Ründi» im 18. Jahrhundert als prägendes Stilelement erstmals auf; zuerst in Städten, später auch auf dem Land. Die gewölbte, fallweise bemalte Untersicht des Walmvordachs galt einst als modernes Architekturelement repräsentativer Häuser und verlieh bevorzugt Pfarrhäusern eine schmucke Ansicht.

Beim Taunerhaus handelt es sich um einen Fachwerkbau. Er befand sich zu Beginn des Umbaus in einem schlechten Zustand. Das Haus sei nicht nur baufällig gewesen, «das Fachwerk stand auch schief, weil die diagonalen Streben weitgehend fehlten» erklärt Ivo Thalmann (Bild), Architekt und Mitbegründer von «0815 Architekten». Doch weil der Bau für den Ortskern prägend war, entkam er mehrmals dem Abbruch. Und dank einer glücklichen Fügung – der Stiftung «Ferien im Baudenkmal» wurde das Haus durch eine Schenkung zugetragen – starteten die Verantwortlichen im Jahr 2015 mit dem Umbau. Heute steht das Taunerhaus in seiner neuen Form in einer unbestrittenen Selbstverständlichkeit da.

Sich schrittweise dem Ursprung nähern

Der Anblick täuscht. Etliche An- und Umbauten, die nach und nach stattfanden, wurden während des fünf Jahre andauernden Umbaus wieder entfernt. Die Architekten schälten den möglichen Ursprungszustand heraus und rekonstruierten, wo nötig. «Das bedurfte einer iterativen Planung», sagt Ivo Thalmann. Er meint damit, dass man sich wiederholend mit der Planung auseinandersetzte und auch während des Baus Dinge umplanen musste. «Zum Leidwesen mehrerer Beteiligter», sagt Thalmann mit einem Lachen. Doch wolle man in einer solchen Liegenschaft das ideale Resultat erzielen, seien solche Mehraufwände unabdingbar. Man hatte zu Beginn zwar ein exaktes Szenario erstellt und auch berechnet, doch man nahm sich die Freiheit heraus, dieses bei Bedarf abändern zu können. Die Rechnung ging in mehrerer Hinsicht auf, man lag sogar leicht unter dem Kostenvoranschlag.

Das Resultat überzeugt die Freunde alter Handwerkstradition. Wer das «Denkmal» besucht, kann sich an etlichen durchdachten Details erfreuen. Zum Beispiel an den Fenstern. Diese bestehen aus zwei einfach verglasten Ebenen, sozusagen aus Fenster und Vorfenster. Beide mussten sie genauestens in die in allen Ebenen schrägen Laibungen eingepasst werden. Sichtbar ist kaum eine Anschlussfuge. Gemäss Andreas Meyer von der LPG-Schreinerei in Villeret BE hat man mit wenig Acryl abgedichtet. Weil beide Fenster-Ebenen kaum Zwischenraum aufweisen, konnte man dem äusseren Fenster keinen Verschluss verpassen. Es besitzt deshalb oben und unten Verdickungen am Rahmen, welche exakt um den Zwischenraum vorstehen. Somit werden beim Schliessen der inneren Fenster gleichzeitig auch die äusseren Fenster zugedrückt. Da die Brüstung – wie in alten Häusern nicht unüblich – zu wenig hoch war, wurde das äussere Fenster zudem mit einer Öffnungsbegrenzung ausgestattet. Diese Massnahme erübrigte das Anbringen eines Geländers. Die Friese der Fenster seien mit Kaseinleim verbunden, bekräftigt Andreas Meyer. Seine Schreinerei arbeitet fast ausschliesslich mit alten Handwerkstechniken.

Ein Schachtel, um zu wohnen

Wo früher das Tenn war, befindet sich nun eine sogenannte Wohnbox. Sie bietet die einzig isolierte Zone im ganzen Taunerhaus. Darin sind unten Küche und Essplatz angebracht. Von der Küche mit Kochinsel aus sieht man durch die ehemalige Einfahrt des Tenns nach draussen. Die Einfahrt weist in der gesamten Höhe eine grosszügige, schwenkbare Verglasung auf, die den Feriengästen nicht nur Aussicht, sondern auch Licht ins Innere bringt. Draussen sorgen die zwei alten Scheunentore wie überdimensionale Fensterläden dafür, dass die «Box» auch mal versperrt und deren Inhalt vor neugierigen Blicken geschützt werden kann. Im oberen Geschoss, welches heute durch eine ausgeklügelte Treppe erschlossen ist, befinden sich auf einer Galerie Bad und WC. An den Rändern der Box wird das Zusammentreffen von Alt und Neu besonders augenscheinlich. Auf der einen Seite haben die Architekten eine alte Backsteinmauer stehen lassen, auf der anderen Seite sieht man das Fachwerk. Was einst wohl Aussenmauer des Hauptgebäudes war, ist nun in den Wohnraum integriert, historische Balken wurden durch neue ergänzt und bilden nun eine Art museales Flickwerk. Die Oberfläche des neuen Holzes wurde grossteils von Hand gehobelt, sodass es vom Stil her in die Geschichte passt.

Schwach behandeltes Holz

Im Badezimmer hat man das Tannenholz mit der gehobelten Oberfläche geseift, um die Dauerhaftigkeit zu erhöhen. Auch die Wände der Badewanne sind quasi naturbelassen. Er rate der Kundschaft in der Regel ab, solch «schwach» behandeltes Holz in Nasszellen einzusetzen, sagt Ivo Thalmann. Beim Taunerhaus hat man es gemacht. Und das Holz sieht nach zwei Jahren Gebrauch noch wie neu aus. Die frisch eingezogenen Riemenböden sind ebenfalls aus Tannenholz. Allerdings hat man hier die maschinell gehobelte Oberfläche belassen. Diese wurde ebenfalls mit Seife behandelt.

Die Oberfläche der relativ kleinen Kochinsel ist ganz in Schwarz gehalten. Es ist dies die Farbe der 2 mm dicken Platten aus Schwarzblech, welche auf die Doppel aufgezogen wurden. Unter dem Blechmantel ist – entsprechend der Bauphilosophie – auch die Küche in Massivholz gehalten. Gezinkte Schubladen zeugen vom Handwerk der verarbeitenden LPG-Schreinerei. Der Backofen von V-Zug passt farblich zu den Fronten und sorgt für eine zeitgemässe Küchennutzung im altehrwürdigen Gebäude.

Auch die speziell entwickelte Treppe besteht aus Schwarzstahl – und enthüllt eine raffinierte Konstruktion: Die gelaserten Schwarzstahl-Teile wurden ineinander gesteckt und verschweisst, so, wie man es ein wenig von Laubsäge-Bausätzen her kennt.

Konstruktiv an die Grenzen gegangen

Jedes Teil besteht dabei aus 5 mm dickem Blech. «Hier gingen wir deutlich an die Grenzen», erklärt Ivo Thalmann; und meint damit, dass die Treppe sicherlich nicht übermaterialisiert ist. Wer die Stufen erklimmt, versteht auch gleich warum. Der Tritt könnte sicherer sein, doch das Gebilde hält stand. Damit ist die Treppe sicherlich ein Statement – nicht nur dafür, Material bewusst einzusetzen. Sie erzählt auch vom Forschungsdrang und der Absicht, das Gewerbe weiterzubringen.

Ein neuer Horizont öffnet sich gleichsam den Gästen, sollten sie sich dafür entscheiden, im Taunerhaus ihre Ferien zu verbringen. Einerseits ist die Region am Bielersee, nahe der St. Petersinsel, durchaus attraktiv. Andererseits gibt es im Haus selbst immer wieder Neues zu entdecken. Es lässt darin sich fast so leben wie zu Zeiten der Tauner. Einfach, bescheiden, um nicht zu sagen «gewöhnlich». Oder vielleicht besser: aussergewöhnlich.

www.0815architekten.chwww.lpg.ch

Die Stiftung

Ferien im Denkmal

Die Stiftung Ferien im Baudenkmal ist ein Projekt an der Schnittstelle von Tourismus und Denkmalpflege. Sie engagiert sich schweizweit für den Erhalt von bauhistorisch wertvollen Gebäuden, indem sie dem Verfall ausgesetzte und vom Abriss bedrohte Baudenkmäler nach einer sanften Restaurierung als Ferienobjekte neu belebt und für die Öffentlichkeit nutz- bar macht.

www.ferienimbaudenkmal.ch

Taunerhaus

Aus der Zeit um 1850

Der älteste Teil des Taunerhauses in Vinelz wurde um 1850 erstellt. Von dieser Zeit zeugt der historische Wasserausguss. In späteren Bauphasen wurde das Haus erweitert und fand etwa um 1940 seine heutige Form. Im Erdgeschoss findet man die mit einem Kachelofen ausgestattete Stube und das daran angrenzende Stübli. Der Korridor erschliesst die Küche, die ursprünglich einen direkten Zugang zum Tenn, dem befestigten Boden der Scheune, hatte. Im Obergeschoss befindet sich eine zweite Stube-Stübli-Kombination, was auf eine Zweifamilien- oder Zweigenerationennutzung schliessen lässt. Die zweite, russgeschwärzte Küche im Obergeschoss stützt diese Vermutung. Das Taunerhaus stand mehrere Jahre leer und wurde im Dezember 2015 von den damaligen Eigentümern der Stiftung Ferien im Baudenkmal geschenkt.

Michael Wyss, mw

Veröffentlichung: 02. März 2023 / Ausgabe 9/2023

Artikel zum Thema

29. Februar 2024

Grosses Kino unterm Dach

Typisch britisch.  Den Dachausbau einer Villa in Burgdorf BE hat die Schreinerei Werthmüller ganz nach dem persönlichen Geschmack des Bauherrn umgesetzt. Das Heimkino und die Bibliothek sind geprägt durch britische Stilelemente, allen voran die Ölfarbe auf profilierten Flächen.

mehr
18. Januar 2024

Optische Entfaltung

Ladenbau.  Unweit vom Zürcher Paradeplatz erstrahlt das frisch renovierte Optikerfachgeschäft Zwicker zum 175-Jahr-Jubiläum in neuem Glanz. Der sanfte Umbau aus Schreinerhand im denkmalgeschützten Gebäude verbindet dabei geschickt Tradition mit einer Weltneuheit.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Umbauen