Auch Klotzbretter passen in den Wagen

Das gut gefüllte Schnittholzlager gibt es auch im Webshop. Etwa bei der Atlas Holz AG in Trübbach SG. Bild: Christian Härtel

Webshops.  Was vor wenigen Jahren noch in ferner Zukunft zu liegen schien, ist heute Realität. Auch Schreinerinnen und Schreiner kaufen über das Internet ein. Die Webshops schaffen Chancen, bergen aber auch Risiken für die Branche, wie eine Standortbestimmung zeigt.

Wenn etwas fehlt, wird über das Internet bestellt. Das Ordern mit wenigen Klicks ist heute gewissermassen der Normalfall. Schrauben, Beschläge, Werkzeuge und Klotzbretter, alles findet sich in den Webshops für Schreinerinnen und Schreiner. Die Aufzählung liesse sich schier endlos fortführen, aber sie enthält einen Fehler. Es gibt Produkte, in diesem Fall die Klotzbretter, deren digitale Bestellung sich noch nicht durchgesetzt hat. Manchmal ist in der Branche zu hören: «Unsere Produkte eignen sich nicht für einen Webshop.» Das ist in etwa die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ist folgende: Grundsätzlich kann man alles online verkaufen. «Man muss die digitale Welt als Hilfsmittel begreifen und nicht als Ersatz für die analoge Welt», sagt Kevin Klak (Bild), Inhaber der Digitalrat GmbH in Luzern. 

Er sieht die Zukunft nicht voll digitalisiert und verweist auf die Dinge, die man auch gerne anfassen möchte. Und sei es auch nur für das gute Gefühl oder als Ritual. «Wer ein Auto kauft, klopft mit dem Fuss an die Pneus und lässt kurz den Motor aufheulen. Beide Prozeduren sind in der Sache völlig sinnfrei, aber wichtig für das Gefühl. Und das wird bleiben, es geht um Menschen», erklärt Klak das Phänomen. In der Tat kann man ins Grübeln kommen über der Frage, warum man zwar Autos im Internet konfigurieren kann, aber die Bestellung vor Ort beim Partner-Handelsunternehmen erfolgt.

«Man muss seine Kunden
dort abholen, wo sie sind.
Und heute ist man im Internet.
Daraus sollte man seine Schlüsse ziehen».

Kevin Klak, Inhaber Digitalrat GmbH

 

Manche Gewohnheiten sind beharrlich und längst nicht jede davon ist sinnvoll, aber menschlich. Prinzipiell kann jedes Produkt über das Internet verkauft werden. Aber nicht immer ist es sinnvoll und nicht immer wird das Angebot angenommen. Wie so oft, geht es vor allem ums Vertrauen. Die Beziehung zwischen Anbieter und Kunde ist und bleibt in vielen Bereichen das ausschlaggebende Kriterium. Der E-Shop allein genügt nicht. «Wir gewinnen keinen Kunden, weil wir ein superdigitales Tool haben, sondern weil wir in Sachen Beratung und Vertrauen über die Zeit geschätzt werden. Die digitale Bestellung folgt dem, steht aber nicht am Anfang», erklärt Fabian Trachsel (Bild), zuständig für den Support E-Commerce bei der Immer AG in Uetendorf BE.
Einen Webshop kann heute jeder machen. Aber darum geht es nicht. Für Klak geht es um die Positionierung des Unternehmens, um Transformation in Zukunft durch Digitalisierung. «Man muss seine Kunden dort abholen, wo sie sind. Und heute ist man im Internet», sagt Klak. Früher sei das Digitale die Kür gewesen und das Analoge die Pflicht. Heute habe sich dies umgekehrt. 

Wichtig sei dabei, eine für das eigene Unternehmen stimmige E-Commerce-Strategie zu entwickeln, was etwas ganz anderes ist, als einfach einen Webshop aufzuschalten. Das Beispiel Auto zeigt den Unterschied. Aber auch das Beispiel Klotzbretter kann sehr lehrreich sein. Denn dabei geht es vor allem um Vertrauen und darum, dass der Sägewerker oder Holzhändler weiss, was der Schreiner will. Dann geht auch das Bestellen per Webshop. Auch in einer Zeit vor der Bestellung per Mausklick gab es solche eingespielten Beziehungen für Bestellungen auf Vertrauensbasis. Warum auch nicht, wenn am Ende geliefert wird, was gewünscht wurde? 

Die Blindbestellung wurde zwar oft per Fax oder Telefon abgewickelt, könnte heute aber genauso gut über einen Webshop erfolgen. Und: «Unter Umständen ist ein Fax als Kopie aus dem Katalog mit einem handschriftlichen Vermerk schneller als der Bestellvorgang in einem Webshop. Ein schneller Anruf beim Kundenberater des Vertrauens und eine mündliche Bestellung geht immer noch am schnellsten», sagt Klak.

Webshops müssen sich entwickeln

Mit fast 190 Jahren hat die Immer AG reichlich Erfahrung mit Kundenbeziehungen. Kürzlich hat das Unternehmen seinen Webshop überarbeitet und dafür einen Praxistest gemacht. 80 Kunden sind dabei den Neuerungen des Webshops auf den Grund gegangen und haben die Funktionalitäten getestet. Die Erkenntnisse daraus spiegeln die Erfahrungen über die Zeit wider. «Ein Shop muss einfach, schnell und zielgenau zu bedienen sein, das waren wichtige Kriterien für unsere Kunden», sagt Trachsel. Hauptkundschaft ist das Schreinergewerbe und diesem attestiert Trachsel eine wachsende Bereitschaft, über den Webshop zu ordern.
 

Unser Geschäft wird auch künftig
nicht unpersönlich.
Ohne zwischenmenschliches Vertrauen
gibt es auch keinen digitalen Umsatz.

Fabian Trachsel, E-Commerce Immer AG
 

So sei ein stetiges Wachstum bei den Online-Bestellungen zu verzeichnen. Auch sei in den letzten Jahren zu spüren, dass mit dem Generationenwechsel auch ein Wandel im Umgang mit den digitalen Möglichkeiten vonstatten gehe, erklärt Trachsel. 

Für ihn wird auch künftig die menschliche Basis eine Voraussetzung für digitales Agieren sein. Diese Überzeugung teilen viele Akteure. Auf der anderen Seite ist ein gewisses Risiko von Marktverschiebungen durch das Angebot von grossen Marktteilnehmern kaum von der Hand zu weisen. Digitale Marktplätze werden auch von branchenfremden Unternehmen bespielt. «Die Frage lautet immer wieder: Was spricht dagegen, dass Galaxus auch Scharniere verkauft?», hinterfragt Klak. Unter dem Stichwort Scharniere erscheinen auf der mit zwei Milliarden Franken Umsatz grössten Schweizer Online-Plattform 323 Treffer. Bei den Topfbändern sind es immerhin noch 75, darunter auch Produkte von Blum, Hettich und Salice.

Entscheidend sind die Klassiker

Früher streng getrennte und grundlegend unterschiedliche Geschäftsbereiche im B2B und B2C funktionieren auf digitaler Ebene ähnlich. «Wir haben alle zusammen eine digitale Prägung. Die sogenannte User-Experience ist dieselbe», sagt Klak. Das macht die Durchgängigkeit im digitalen Geschäft grösser und diese lässt sich auch in der anderen Richtung nutzen, um neue Kundenschichten zu erschliessen. Nicht wenige Branchenakteure als Zulieferer des Schrei­nerhandwerks haben bereits einen Do-it-yourself-Bereich mit ausgewählten Produkten. Die Unterschiede zwischen den Anforderungen sind zu bewältigen. «Im B2C sind die Zahlungsmittel wichtig. Im B2B sind andere Dinge wichtiger, wie zusätzliche Informationen», weiss Klak. Und so manchen Shop könne man leicht ertüchtigen, wenn dieser etwas schwerfällig sei oder Kleinigkeiten zu ändern wären. So beispielsweise einem zu kleinen Button eine benutzerfreundliche Grösse zu geben. 

Die wohlbekannte Kundschaft 

Wichtig sei vor allem zu wissen, was die Kundschaft will und braucht. Dazu müsse man die Daten analysieren und interpretieren. Viele würden genau an dieser Stelle kaum Energie investieren. Ob über einen Shop verkauft werde, sei zunächst eine strategische Frage. «Ich erlebe das immer wieder, dass die Kennzahlen nicht bekannt sind. Ein schöner Shop allein reicht nicht. Schön heisst nicht, erfolgreich zu sein. Amazon ist nicht schön», sagt Klak. 

Wie im Einkaufsladen auch gibt es auch im E-Commerce bestimmte Muster von Ver­haltensweisen. «Ein Webshop wird immer gleich gelesen, in Form von einem F, also von links nach rechts, zurück nach unten und wieder zur Seite», so Klak. Wer strukturierte Daten hat und weiss, wie die Abläufe sind, kann Erkenntnisse daraus ziehen. Grosses Potenzial sei grundsätzlich auch bei Kooperationen innerhalb der Branche vorhanden. Denn Plattformen würden Bedürfnisse in hohem Masse befriedigen. «Wer ein Hotelzimmer sucht, geht auf booking.com, weil dort fast alle sind», sagt Klak. ­Solche Merkmale aus der Wirtschaftstheorie des vollkommenen Marktes kann man auch in kleinerem Massstab umsetzen. So hat die Immer AG im neuen Webshop eine Vergleichsliste etabliert, die über die angebotenen Marken hinweg geht. «Wir haben ein breites Sortiment. Mit der Vergleichsliste für Produkte unterschiedlicher Hersteller machen wir das zu einer noch grösseren Stärke», sagt Trachsel. Die Rückmeldungen seitens der Kundschaft würden dem Rechnung tragen.

Christian Härtel

 

→    www.digitalrat.ch 

→    www.immerag.ch

 

Online-Serie

70 Webshops aus der Branche

Seit dem 19. April 2021 stellt die Schreinerzeitung jeden Montag einen anderen Webshop aus der Branche auf www.schreinerzeitung.ch vor.Inzwischen sind es 70 an der Zahl und damit endet die Serie «Webshop der Woche». Alle Besprechungen sind in einem Dossier zusammengefasst.

www.schreinerzeitung.ch

Veröffentlichung: 25. August 2022 / Ausgabe 34/2022

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