Auf Kurs ins Ungewisse

Dank ihrer Schreinerausbildung konnte die 28-jährige Olympionikin Maja Siegenthaler (vorn) Schäden an ihrem Segelboot selbst reparieren. Bild: Sailing Energy

Was Maja Siegenthaler jetzt braucht, sind Ferien. Ausspannen, das Erlebte sacken lassen und überlegen, wie es in Zukunft weitergeht. Fünf Jahre lang hat sie auf die Olympischen Spiele in Tokio hingearbeitet, und jetzt, wo sie vorbei sind, ist da eine gewisse Leere. Die 28-Jährige sitzt in einem Café im heimischen Spiez BE, locker gekleidet in Hoodie, Shorts und Flipflops. Vor sich hat sie eine Tasse Kaffee stehen. «Es war einfach megacool, auf dem Hoch aufhören zu können», sagt sie. «Als wir beim letzten Race als Erste durchs Ziel fuhren, spielte das Schlussresultat keine Rolle mehr.» Das Medal Race, letztes der insgesamt elf Olympia-Rennen, entschieden sie und ihre Partnerin Linda Fahrni auf der 470er-Jolle für sich. Damit fuhr das Powerduo in der Gesamtwertung auf den vierten Platz. «Definitiv mein grösster Erfolg bis jetzt», sagt Siegenthaler lächelnd. Die gelernte Schreinerin segelt seit 2001. Sie verbesserte sich stetig und lebt seit 2013 von ihrem Sport. Der nächste Schritt scheint vorgezeichnet – in drei Jahren finden die nächsten Olympischen Spiele statt. Aber auf die Frage, was als Nächstes kommt, zuckt sie mit den Schultern: «Ich weiss es nicht.» Klar wird sie weiterhin segeln. Aber 2024 in Paris antreten? Für diesen Entscheid will sie sich Zeit lassen.

Sie nimmt einen Schluck von ihrem Kaffee. «Wenn ich Ja sage, dann gebe ich 100 Prozent.» Wieder für Olympia zu trainieren, würde ihr viel abverlangen. Denn die Kategorie «470er Frauen» wird nicht mehr olympisch sein. Das heisst: «Ich könnte immer noch dasselbe Schiff fahren, aber mit einem männlichen Partner. Oder mit meiner langjährigen Partnerin Linda auf den 49erFX umsteigen», erklärt sie.

Neuer Partner oder neue Bootsklasse – umgewöhnen müsste sie sich so oder so. Neue Chancen und Herausforderungen inklusive. «Du musst dich fragen: Will ich mich so stark mit mir selbst beschäftigen?» Denn darin liegt die eigentliche Aufgabe: an sich selbst zu arbeiten, an der eigenen Kommunikation. Unmissverständlich zu kommunizieren, ist auf dem Schiff das Wichtigste. Über die Jahre hat die Sportlerin viel über den Umgang mit anderen und sich selbst gelernt. Entscheidet sie sich gegen die nächste Olympiade, gibt es immer noch Plan B: Im September startet das dritte Semester ihres Industriedesign-Studiums. Sie, die Ideen gern in die Praxis umsetzt, ist fasziniert von Maschinen, Materialien und Herstellungsprozessen. Das Studium sieht sie als Erweiterung des Schreinerhandwerks. «Eine Ausbildung, die ich nicht missen möchte.» Im Hinblick auf das Segeln gab ihr diese doch die nötige Selbstsicherheit, sämtliche Schäden am Boot selbst zu reparieren. «Ständig geht etwas kaputt», schiebt sie lachend nach.

Welche Tätigkeit sie nach ihrer sportlichen Karriere einmal ausüben wird, steht für sie in den Sternen. «Ich habe immer in mich hineingespürt und das gemacht, was sich in der Situation richtig anfühlte», sagt sie. So wird es auch in Zukunft sein. Wahrscheinlich werde sie in einem Beruf landen, für den es keine klare Bezeichnung gebe, einem, in dem all ihre Fähigkeiten zusammenkämen, meint sie. Vielleicht im sportlichen Bereich, weil sie ihr Wissen gerne weitergeben möchte. Aber eben: «Sicher ist, dass nichts sicher ist im Leben. Ich lasse mich gerne treiben.» Jetzt zählt für sie erst einmal das Hier und Jetzt. Ferien.

«Sicher ist, dass nichts sicher ist im Leben. Ich lasse mich gerne treiben.»

Isabel Hempen

Veröffentlichung: 02. September 2021 / Ausgabe 36/2021

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