Auf schnellen Kufen

In diesem Winter ist alles anders. Pascal Meuri reiste in den Weihnachtsferien nicht wie bisher ins Südtirol zum Training, und die Wochenenden im Januar und Februar sind ungewohnt terminfrei. «Das ist auch mal schön», sagt der Schreiner mit Blick auf Söhnchen Leandro. Der Dreieinhalbjährige sitzt auf dem Schoss seines Vaters und verfolgt das Gespräch mit grossen Augen. Wäre nicht alles anders, würde jetzt die Hornschlitten-Rennsaison wieder beginnen. «Beim Wort Hornschlittenrennen denken die meisten Leute an Gaudifahrten mit viel Alkohol und dekorierten Schlitten, die ständig in den Schnee kippen», sagt Meuri. «Dabei ist es, seriös betrieben, eine anspruchsvolle Sportart.» Der Ostschweizer muss es wissen: Als Profifahrer wurde er mit seinem Team zweimal Vize-Europameister, einmal holten sie gar die Silbermedaille im Europacup mit seinen sechs Rennen. Das ist insofern bemerkenswert, weil es in der Schweiz keine einzige professionelle Trainingsstrecke für diese Sportart gibt. Deshalb blieb dem Team des Hornschlittenclubs Henau nur eines: In den Weihnachtsferien ins Südtirol fahren und trainieren, trainieren, trainieren. «Das Südtirol ist eine echte Hornschlittenhochburg mit langer Tradition», weiss Meuri. Wer dort Hornschlitten als Sport betreibt, findet beste Bedingungen vor. «Wir Schweizer mussten in den Weihnachtsferien das ganze Saisontraining nachholen.» Doch das Gesellige schätzte Meuri in seinem Sport mindestens genauso wie den Adrenalinkick, wenn er als Anschieber den Schlitten aus dem Toggenburg inklusive Besatzung – rund 350 Kilogramm Gewicht – auf Hochtouren brachte und dann mit bis zu 70 Kilometern die eisige Rodelbahn hinunterdonnerte. «Das ist schon cool», schwärmt er. Zu seinem Team gehörten sein Bruder und ein Kollege – eine eingeschworene Mannschaft seien sie gewesen. «Anschieber, Steuermann und Bremser müssen sich zu 100 Prozent aufeinander verlassen können. Nur wenn das Zusammenspiel funktioniert – gerade in scharfen Kurven –, fährt man gut.» Die erfolgreiche Mannschaft aus dem kleinen Henau im Fürstenland, wo Meuri auch aufgewachsen ist, verbindet weit mehr als der Sport. Schon mehrmals hätten sie sich gefragt: «Wollen wir wirklich aufhören?» Der Abschied fällt allen schwer, zu viel hat das Trio miteinander erlebt – auch Verrücktes. Denn: «Wer fährt schon 16 Stunden nach Slowenien und zurück für drei Minuten Rennen?», fragt der begeisterte Wintersportler. Doch nun haben sich die Prioritäten verschoben. Bei Meuri ist es Leandro, der jetzt von den Knien steigt und nach draussen will, wo die Wintersonne lockt. Meuris Bruder wird Vater, der Kollege ist beruflich gefordert. Das Ende der Hornschlittenkarriere ist der Anfang für Neues. Begonnen hatte sie übrigens vor vielen Jahren an einem Alpencup in Malbun, einem der erwähnten Plauschrennen: Ein Kollege suchte noch einen Schlittenfahrer, und Meuri sagte spontan zu. «Es hat mir von Anfang an gefallen», erinnert er sich, «ich geriet sofort ins Fieber.»

Nun wird der Fieberschub abklingen, und der Sachbearbeiter Planung VSSM freut sich auf den gewonnenen Freiraum. Ein erstes Ziel hat er schon vor Augen: seinem Sohn das Skifahren beizubringen – und auch selber die Kufen mit den Latten zu tauschen. Und vielleicht mal wieder ins Südtirol fahren, einfach so.

«Beim Wort Hornschlittenrennen denken die meisten Leute an Gaudifahrten mit viel Alkohol und dekorierten Schlitten, die ständig in den Schnee kippen.»

hid

Veröffentlichung: 12. Januar 2017 / Ausgabe 1-2/2017

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