Das ERP als Steuerungszentrale

Über den QR-Code werden jeweils die maschinenspezifischen Daten abgerufen. Bild: Borm-Informatik AG

Vernetzte Fertigung.  Das Digitalisierungsprojekt der Technischen Fachschule Bern zeigt auf, wie eine durchgängige Anbindung von der Planung bis hin zur Produktion in einer Schreinerei aussehen kann und wo die Herausforderungen liegen.

Vor drei Jahren begann die Abteilung Innenausbau der Technischen Fachschule Bern (TF Bern) im Zentrum der Bundesstadt mit der Digitalisierung ihrer Arbeitsabläufe. Nebst der Ausbildung von Lernenden ist die Fachschule mit ihrer Schreinerei auch dem freien Markt ausgesetzt. Dieser Mix aus Bildungsbetrieb und wirtschaftlichem Druck sorgt für spannende Voraussetzungen, die das Digitalisierungsprojekt spürbar mitgeprägt haben. Eine ausschlaggebende Rolle spielt der produktionstechnische Vorsprung, der mit den Anforderungen einer fachgerechten Schreinerausbildung harmonieren muss. «Für uns war von Beginn an klar, dass wir neben dem digitalisierten Produktionsweg auch an der konventionellen Fertigung festhalten wollen», sagt Matthias Affolter, Abteilungsleiter Innenausbau an der TF Bern. Durch diese Ausrichtung kommen zum einen die klassischen Lernenden in den Genuss einer umfassenden Ausbildung und zum anderen kann die neue Fertigungsschiene wirtschaftlich produzieren.

Übergeordnete Lösung

Die TF Bern arbeitet im Bereich der Schreinerei mit der CAD-Software Vectorworks, als ERP-Lösung steht «Borm Business» im Einsatz und die betreffenden Maschinen in der Produktion stammen von Homag. «Hier versuchten wir zu Beginn rein mit einzelnen digitalen Apps zu arbeiten, mussten aber relativ schnell feststellen, dass diese nicht spezifisch genug für unsere Ansprüche waren», sagt Marc Kammermann, Berufsbildner und Leiter Technisches Büro an der TF Bern. Aus diesem Grund entschied man sich, das ERP-Programm als Steuerungszentrale einzusetzen. Nun werden über die CAD-Software 3D-Pläne erstellt, die anschliessend ins ERP überspielt werden, von wo aus die Daten an die Maschinen gehen. «Da in einer ERP-Software alle Daten und Bibliotheken nahezu vollständig vorhanden sind, ist es naheliegend, das ERP als zentrale Schnittstelle der Digitalisierung zu definieren», sagt Luca Föhn, Leiter Borm Lab bei der Borm-Informatik AG aus Schwyz.

Vom Zuschnitt bis zur Kante

Bei der TF Bern fungiert die Borm-Connect-Schnittstelle als Bindeglied zwischen der Planung im Vectorworks und den Tapio- Services-Apps in der Produktion. Alle Werkstücke bekommen ihre Zuteilung und Bearbeitungsinformationen mittels QR-Code mit auf den Weg durch die Produktion. Beim Zuschnitt an der Striebig wird die Zuschnittsoptimierung per Tablet abgerufen und die Werkstücke werden auftragsbezogen eingeteilt. «Die Anbindung über Borm an die Zuschnittsoptimierungsapp ‹IntelliDivide› von Homag hat uns spürbar am meisten gebracht», sagt Marc Kammermann. Nach dem Zuschnitt folgt die Bearbeitung an der CNC-Fräse, bei welcher ebenfalls alle Daten per App über das Tablet abrufbar sind. «Wir schiessen den QR-Code ab und haben alle Werkstückdaten im Blick. Das funktioniert in der Praxis sehr gut», sagt Andreas Dürner, Berufsbildner der TF Bern. Bei der Kantenleimmaschine sind über den QR-Code die jeweiligen Kanten und Kantenpositionen hinterlegt. So kann einfach die Kante aus dem richtigen Fach entnommen und in der Maschine eingesetzt werden.

Vorarbeiten werden zentraler

Durch die Digitalisierung erhalten vorgelagerte Arbeiten plötzlich mehr Gewicht. So müssen sich die Zeichner in der Arbeitsvorbereitung bewusst sein, dass ihre Beschläge- und Konstruktionsauswahl einen direkten Einfluss auf die Datenausspielung für die nachfolgende Produktion haben. Falsch hinterlegte Daten im Materialstamm oder den Bibliotheken führen zu Produktionsfehlern. Die funktionierende, auftragsbezogene Zuweisung von Beschlägen, Materialien oder Kanten ist dabei abhängig von der korrekten Einlagerung und Spezifizierung.

Potenzial für weitere Schritte

Beim Übergang vom Maschinenraum in den Bankraum stoppt im Moment die Digitalisierung bei der TF Bern. Nachdem alle Werkstücke kommissionsweise sortiert wurden, geht der Arbeitsfluss herkömmlich wei- ter. Den Zusammenbau will das Team der TF Bern in einer nächsten Phase digitalisieren. «Wir haben das grosse Potenzial entdeckt und gemerkt, dass die Digitalisierung an den richtigen Stellen, mit der spezifischen Tiefe sehr sinnvoll ist», sagt Marc Kammermann. Für die Initialisierung und den laufenden Betrieb sind die richtigen Partner zentral. Nur durch den Support und eine enge, auf den Schreiner abgestimmte Zusammenarbeit sind solche Umsetzungen möglich.

Interessierte Unternehmen erhalten gerne nähere Informationen oder können an einer Betriebsführung teilnehmen. Um dies zu koordinieren, können sie sich direkt bei Matthias Affolter melden.

www.tfbern.chwww.borm.swiss

Noah Gautschi

Veröffentlichung: 12. Mai 2022 / Ausgabe 19/2022

Artikel zum Thema

02. November 2023

Digitalisierung aus neuer Perspektive

Digitale baustellen.  Nicht nur die Schreinerbranche beschäftigt sich mit der Digitalisierung und sucht praxistaugliche Umsetzungsmöglichkeiten. Auch im Hoch- und Tiefbau ist die Entwicklung in vollem Gange und bringt spannende Möglichkeiten hervor.

mehr
17. August 2023

Noch reichlich Platz zum Auftischen

Webshops.  Schreinereien bieten ihre Produkte bislang eher selten zum Online-Einkauf an. Dabei könnte das Schreinerhandwerk digital noch reichlich auftischen, zumal die wichtigste Voraussetzung dafür praktisch in der DNA verankert ist: Einzigartigkeit.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Digitalisierung