Die Kugel lässt ihn nicht los

Früher war Simon Ruchti (30) als Kugelstösser im Nationalkader, heute ist er Trainer. Eine zeitintensive Leidenschaft, dennoch hat der Beruf für ihn heute Vorrang. Bild: PD, Isabel Hempen

Simon Ruchti ist nicht zu übersehen: Auf seinem roten Pullover prangt der weisse Schriftzug seiner Arbeitgeberin, der Schreinerei Hehlen AG in Grenchen SO. Die Sonnenbrille hat Ruchti auf seinem Baseballcap parkiert. Es ist halb zehn Uhr morgens in einem Café nahe seines Arbeitsplatzes und der 30-Jährige, der eben noch im Büro tätig war, nutzt die willkommene Pause bei Kaffee und einem Gipfeli. Der ehrgeizige Mann, der im Betrieb auch die Lehrlinge ausbildet, möchte in einigen Jahren das Schreinerunternehmen seines Chefs übernehmen. «Das wäre jedenfalls der Plan», sagt er gut gelaunt. Gerade schliesst er die Weiterbildung zum Projektleiter ab, dann will er noch den Schreinermeister machen. Es hätte aber auch anders kommen können. Seit seinem zehnten Lebensjahr macht Ruchti nämlich Leichtathletik – und das intensiv. Schon sein Vater war Leichtathlet und dann auch die ältere Schwester, so rutschte auch er hinein. «Ich fing damals im Turnverein Bettlach an und merkte schnell, dass mir die Wurfdisziplinen besonders liegen», erzählt er – und meint damit unter anderem Kugelstossen und Diskuswerfen. Sie wurden bald seine Paradedisziplinen. Mit 16 Jahren stieg er als Kugelstösser ins Schweizer Kader auf. Er holt ein Fotoalbum hervor, wo er im Olympiastadion in Stockholm zu sehen ist. Er wurde damals Vierter im Nachwuchswettkampf. «Mein Vater hat immer alle Fotos und Berichte gesammelt», sagt er lachend.

Was ihn an diesem Sport fasziniert? «Der ganze Bewegungsablauf beim Drehstoss», sagt er, und zeigt zur Veranschaulichung ein Youtube-Video auf seinem Handy. Es sieht anspruchsvoll aus. Beim Drehen wird die Metallkugel mit einem Gewicht von bis zu 7,257 Kilogramm durch explosionsartiges Strecken des Arms beschleunigt und möglichst weit hinten in den Rasen gestossen. Ruchti meint, er sei spät dran gewesen: «Wenn ich fünf Jahre früher mit der Technik begonnen hätte, hätte ich wohl mehr rausholen können», bedauert er. Auch die Trainingsbedingungen waren im lokalen Turnverein nicht optimal. Zwar wechselte er nach einigen Jahren in den Stadtturnverein Bern, wo ihn ein Nationaltrainer unter seine Fittiche nahm. Aber irgendwann hatte er sein persönliches Maximum erreicht. Von seinem Chef war er immer unterstützt worden – bis zu sechsmal Training in der Woche, gut zehn Wettkämpfe im Jahr, da musste er häufig früher von der Arbeit weg. Als er sich zum Fertigungsspezialisten wei- terbildete, wurde der Sport aber zeitlich ein Problem – er hätte also ohnehin Prioritäten setzen müssen. «Das hat mir einerseits leidgetan», sagt er heute. «Andererseits merkte ich, dass ich sportlich nicht mehr viel weiterkomme.» Er trat als Kugelstösser zurück. Trotzdem: Mit dem Sport einfach aufzuhören, wäre nie infrage gekommen. Ein zu grosser Teil seines Lebens, zu viele Freundschaften hingen daran. «Wir waren eine coole Trainingsgruppe, alle etwa im gleichen Alter», erzählt er, und nimmt einen Schluck seines Kaffees. Seine Kugelstösser-Kollegen trifft er heute noch regelmässig.

Seit bald fünf Jahren ist er nun Trainer für die Leichtathletik-Wurfdisziplivnen, zurück im Bettlacher Heimverein. Mit fünf Trainings die Woche ist er heute nicht weniger engagiert als in aktiven Zeiten. Glück hat er, dass seine Freundin kein Problem damit hat. «Sie ist selber Kugelstösserin und trainiert bei mir», sagt er. Kennengelernt habe er sie in einem J+S-Leiterkurs, das sei reiner Zufall gewesen. «Zufall oder Schicksal», schiebt er lachend nach.

«Ich fing damals im Turnverein Bettlach an und merkte schnell, dass mir die Wurfdisziplinen liegen.»

Isabel Hempen

Veröffentlichung: 30. Juni 2022 / Ausgabe 26/2022

Artikel zum Thema

20. Mai 2024

Auch für guten Speck brauchts Holz

Leute. Seinen Bastelraum im Keller nutzt Simon Schifferle nicht fürs Schreinern. Er baut darin auch keine Modellflugzeuge und stellt keine Modelleisenbahnanlagen auf.

mehr
13. Mai 2024

Ein Nautiker für alle Fälle

Leute. Eigentlich hat Tom Hofer einen Beruf im Winter und einen im Sommer. Winters arbeitet der gelernte Schreiner als Abteilungsleiter der Schreiner und Zimmerleute in der Werft der BLS Schifffahrt AG in Thun BE.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Leute