Fertig gefaltet

Vier Touchdisplays ersetzen in der Produktion von Obrist Interior das Papier. Bild: Obrist Interior AG

Organisation.  Schränke voller Akten und hunderte Ausdrucke von E-Mails oder Plänen gehören zum Alltag des Handwerkers. Zwei zukunftsorientierte Unternehmen verzichten ganz auf Stift und Papier und zeigen die Vorteile einer digitalsierten Planung und Produktion auf.

Spätestens seit der Lancierung des ersten I-Phones, des Urahnen aller modernen Smartphones und Tablets, ist das papierlose Arbeiten ein Ziel vieler visionärer Unternehmer. Der Verzicht auf Dokumente in Papierform soll die Organisation vereinfachen, Missverständnisse vermeiden, Abläufe optimieren und das Falten von Plänen überflüssig machen. In der Praxis stiessen solche Umsetzungsversuche am Anfang jedoch schnell an ihre Grenzen. Erst mit den neusten Geräten und Entwicklungen ist eine praxistaugliche Umsetzung realistisch. Punkto Hardware hatten die ersten Geräte schlicht zu wenig Rechenleistung, die Mobilnetzabdeckung war unzureichend und auch die Sicherheit der Daten war nicht gewährleistet. Bei den neuen Gerätegenerationen ist die Rechenleistung kein Thema mehr, die Netzabdeckung macht grosse Sprünge und wird mit dem 5G-Netz das Kabelnetz überholen.

Die Sicherheitsstandards sind dermassen hoch, dass sogar der Zahlungsverkehr mobil und kontaktlos ausgeführt werden kann. Auch die Software hat grosse Sprünge nach vorne gemacht. Wo früher einfach Office-Lösungen auf die mobilen Geräte transferiert wurden, fahren die Entwickler heute mit intuitiv bedienbaren Apps auf. Diese ermöglichen Projektplanungen, Datenmanagement und Planbearbeitungen über eine einfache Benutzeroberfläche. Die Obrist Interior AG aus Inwil LU und die Art Best GmbH aus Itingen BL setzen im Alltag auf unterschiedliche papierlose Lösungen.

Papierlose Produktionsplätze

Im gehobenen Innenausbau hat es der Schreiner schnell einmal mit grossen und komplexen Plänen zu tun. «Wir haben eine Alternative zur gängigen Praxis gesucht. Oftmals hatten wir den Fall, dass mehrere Personen gleichzeitig mit dem Planmaterial arbeiten mussten», sagt Dominique Studerus, Chief Operating Officer bei der Obrist Interior AG. Im Rahmen des Firmensitz-Neubaus 2017 entschied sich das Unternehmen, in der Produktion vier papierlose Arbeitseinheiten einzubauen. Diese bestehen aus einem handelsüblichen Touchdisplay, welches in einen eigens entwickelten und angefertigten staub-, stoss- und wasserdichten Rahmen eingelassen wurde.

Die Arbeitsplätze in der Produktion sind sehr flexibel und die Bildschirme können je nach Bedarf über eine spezielle Vorrichtung von der Decke herabgelassen werden. «Hierfür mussten wir ebenfalls eine spezielle Vorrichtung entwickeln und von der Suva betreffend Sicherheit abnehmen lassen», sagt Studerus.

Alles in der Hosentasche

Als Oliver Güntert vor zwei Jahren in die Geschäftsleitung der Art Best GmbH einstieg, entschloss er sich, auf Papier so weit als möglich zu verzichten und alle anfallenden Daten digital zu verwalten: «Ich will absolute Mobilität und Flexibilität, dafür muss ich von überall her auf meine Daten zugreifen und arbeiten können.» Seiner Philosophie folgend arbeiten nun schon drei Personen im Betrieb ortsunabhängig und ohne festen Arbeitsplatz.

Alle Daten werden in einer Cloud gespeichert, Notizen und Dokumente werden digital erfasst und alle Rechnungen eingescannt. So entsteht eine Dateneinheit über alle Geschäftsbereiche. «Uns ist wichtig, dass jeder Schritt nachvollziehbar ist und wir alles rekonstruieren können», sagt Güntert. «Wenn ich beispielsweise ausfalle, müssen meine Kollegen ohne spürbaren Unterbruch weiterarbeiten können.»

Softwares noch nicht durchgängig

Ob in der papierlosen Produktion oder der Datencloud, die eingesetzte Software ist noch nicht durchgängig genug. «In der Praxis sind die Schnittstellen noch nicht fehlerfrei», sagt Dominique Studerus. Es benötigt individuelle Lösungen, um die Daten vom Büro in die Produktion zu bringen. Bei der Obrist Interior AG werden die Pläne im PDF-Format in die Produktion übertragen. «So haben die Mitarbeiter Einblick in alle benötigten Daten und der Transfer unter den Programmen ist gewährleistet», erklärt Studerus. Je mehr Möglichkeiten zur Bearbeitung die Dateiformate bieten, desto aufwendiger werden die Schnittstellen. Die richtige Informationstiefe zu finden und das Vermeiden einer doppelten Datenerfassung sind auch ein zentrales Thema bei der Art Best GmbH. «Zuerst muss die eigene Zelle mit den Schnittstellen funktionieren und sich einspielen», sagt Oliver Güntert. Anschliessend können dann weitere Schritte, wie etwa die Kundenanbindung, stattfinden. «Nur wenn ein System in sich fehlerfrei funktioniert, kann man seine Partner restlos überzeugen.»

Mitarbeiter laufend fördern

Damit alle am gleichen Strick ziehen und ein solches Projekt Anklang findet, bedarf es schon in der Anfangsphase einer Aufklärung der Mitarbeiter. Es ist wichtig, dass die neuen Möglichkeiten aufgezeigt werden und eine Vereinfachung spürbar wird. «Die Einführung verlief reibungslos und die Mitarbeiter nutzen die Möglichkeiten des Internetzuganges und der Zeiterfassung direkt am Bildschirm», sagt Studerus. «Sogar das Radio bedienen die Mitarbeiter nur noch über die vier Bildschirme.» Es benötigt Disziplin, nicht ständig wieder zu Stift und Papier zu greifen. «Es war, als ginge man immer seitwärts und soll jetzt plötzlich nur noch vorwärtsschreiten», sagt Bendicht Strub, Geschäftsleitungsmitglied der Art Best GmbH. Dokumente, Ausdrucke, Telefonzettel und Besprechungsunterlagen werden abfotografiert und entsorgt.

«Als Führungsperson muss man die Eigenverantwortung der Mitarbeiter fördern und ihnen den Raum zur individuellen Entfaltung bieten. Zugleich benötigt es eine straffe Begleitung», sagt Oliver Güntert. Diese Gegensätze kann man nur gewinnbringend verbinden, wenn man es schafft, alle Mitarbeiter individuell abzuholen. Klappt die Abstimmung zwischen Hardware, Software und Führung, und ist das Unternehmen bereit, etwas Neues in Angriff zu nehmen, profitieren alle Beteiligten.

Ein Zeichen für den Fortschritt

Ein solches Projekt zu wagen, bringt einem Unternehmen zusätzliche Vorteile für das Erscheinungsbild gegen aussen. «Für uns ist es ein klares Zeichen an unsere Partner und Mitarbeiter, dass wir in die digitale Zukunft investieren», sagt Dominique Studerus.

Drei Vorteile der Digitalisierung:

  • Das Unternehmen wird attraktiver für junge Fachkräfte, die auf Stellensuche sind. Die papierlose Organisation ist ein Mittel, sich von der Konkurrenz abzuheben und den stetigen Fortschritt zu unterstreichen. Sind alle Prozesse eingespielt, können Zeitverluste mini- miert und Arbeitsabläufe optimiert werden.
  • Für den Mitarbeiter ist die Digitali- sierung ein Zeichen, dass es in der Firma nach vorne geht und in seinen Arbeitsplatz investiert wird. Zusätzlich kann er sich aktiv in diese Entwicklung einbringen und davon profitieren.
  • Der Kunde profitiert von einer durch- gängigen Projektbegleitung und kann alle Schritte nachvollziehen. Dadurch minimiert sich auch sein Verwaltungs- aufwand und er kann bestmöglich bedient werden.

Auf gutem Weg in die Zukunft

Wie erwähnt, benötigt es noch einige Verbesserungen bei der Software, insbesondere bei der Datendurchgängigkeit. Ist ein Unternehmen jedoch überzeugt und erfinderisch, können mit dem aktuellen Stand der Technik schon ganze Teilbereiche erfolgreich papierlos geführt werden. «Mit Disziplin, Konsequenz und den richtigen Mitarbeitern kommt man seinem Zielzustand Stück für Stück näher», sagt Güntert.

Es ist toll zu sehen, wie der Schreiner moderne Techniken einsetzt und sie sich zu eigen macht. So kann man gespannt sein, wie viel Papier in fünf Jahren beim Schreiner noch auf dem Schreibtisch liegt.

www.artbest.chwww.obrist-interior.ch

njg

Veröffentlichung: 14. März 2019 / Ausgabe 11/2019

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