Hobelt der Schreiner in Zukunft digital?

Bildlich dargestellt: die Digitalisierungsstrategie in der Schreinerbranche. Visualisierung: Berner Fachhochschule

Interview.  Die digitale Transformation fordert Unternehmen heraus. Die Experten Dominique Studerus und Bramwell Kaltenrieder erklären, was Digitalisierung für die Schreiner- und Innenausbaubranche bedeutet und wie Unternehmen mit Wandel umgehen können.

Herr Studerus, Sie haben Schreiner gelernt. Würden Sie dies im Hinblick auf die Digitalisierung wieder tun?
Dominique Studerus: Ja, ich würde sofort wieder denselben Weg einschlagen. Nicht wegen der Digitalisierung, sondern weil es für mich das schönste Handwerk überhaupt ist und enorme Möglichkeiten bietet. Dies dank der vielen Facetten des Berufes selbst oder dank der zahlreichen Möglichkeiten der Weiterbildung. Die Digitalisierung macht den Beruf noch vielseitiger, als er es ohnehin schon ist.
Was bedeuten die Schlagworte «Digitalisierung», «Digitale Transformation» und «Industrie 4.0» für Sie?
Studerus: In erster Linie bedeuten sie eine Chance. Die digitale Transformation ist nicht einfach irgendein Trend, dem man folgen kann oder auch nicht. Sie ist bereits Realität und in unserem Alltag längst angekommen. Wir bezahlen und kaufen per App ein, helfen mit, dass Firmen unsere Daten erfassen und auswerten, und nutzen Smartphones ganz selbstverständlich. Entweder ergreifen wir die Chancen, welche die digitale Transformation bietet, oder wir werden es früher oder später bereuen. Dies ist eine enorme und vielschichtige Herausforderung für die Unternehmungen.
Bramwell Kaltenrieder: Den drei Schlagworten gemeinsam ist ihre strategische Bedeutung für Unternehmer: Es gilt, die individuellen Chancen zu erkennen, wirtschaftlich zu priorisieren und konsequent umzusetzen. Und natürlich auch entstehende Risiken abzuwenden.
Was bedeutet diese Entwicklung für Schreinerunternehmen?
Studerus: Sie eröffnet Chancen für neue Produkte und Dienstleistungen. Die Nähe und Bindung zu den Kunden kann verstärkt, das Marketing gezielter eingesetzt werden. Die Produktion kann effizienter und kontrollierter gestaltet werden. Es gibt aber nicht die einzige richtige Massnahme. Jedes Unternehmen muss für sich den richtigen Weg definieren und diesen Schritt für Schritt begehen, um sich nicht zu verlieren. Und man darf dabei nicht vergessen, dass auch die digitale Transformation von Menschen getragen und gestaltet wird.
Wie schaffe ich es als Unternehmen, den digitalen Wandel nicht zu verpassen?
Kaltenrieder: Der digitale Wandel ist kein Projekt mit klarem Start und Ende. Eine zentrale Voraussetzung für den erfolgreichen Umgang mit dem Wandel ist es, ihn als kontinuierliche, langfristige Entwicklung zu verstehen und entsprechend auf verschiedenen Ebenen zu handeln. Unternehmer sollten wach bleiben, neue Trends verstehen lernen, diese systematisch diskutieren und spannende Dinge rasch ausprobieren. «Digital Natives», also Personen, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind, können wichtige Impulse und neue Sichtweisen einbringen.
Wie kann der Schreiner die Mitarbeitenden zu diesem Wandel motivieren?
Studerus: Indem er sie transparent informiert, sie mitgestalten und am Wandel teilhaben lässt. Sie müssen den Fahrplan kennen, und die Erfolge sollten genauso ersichtlich sein wie die Veränderungen.
Warum ist die digitale Transformation Chefsache?
Kaltenrieder: Wenn wir sehen, wie tiefgreifend und bereichsübergreifend die digitale Transformation sein kann, wird sofort klar: Sie kann nur gelingen, wenn der Chef, die Chefin oder jemand aus der Geschäftsleitung hier Verantwortung übernimmt. Auch verschiedene Studien bestätigen diese wichtige Grundhaltung.
Im Januar 2019 bieten Sie einen neuen Weiterbildungskurs für die Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie an. Warum sollte man diesen besuchen?
Studerus: Das Gebiet der digitalen Transformation ist riesig. Es besteht die Gefahr, dass man sich darin verliert, die falschen Hebel in Bewegung setzt oder gar nicht weiss, wo man beginnen soll. Das Seminar hilft dabei, den richtigen Weg einzuschlagen. Es bietet die Möglichkeit, von ausgewiesenen Fachleuten zu profitieren und sich auszutauschen. Wir gehen dabei spezifisch auf das Schreiner- und Innenausbaugewerbe ein.
Wie schaffen Sie es, den Teilnehmenden in vier Tagen zu einer Digitalisierungsstrategie zu verhelfen?
Studerus: In dem wir auf die wirklich wichtigen Themen fokussieren. In Workshops erarbeiten wir die Digitalisierungsstrategie zu den vier Pfeilern «Kunde», «Geschäftsmodell», «Interne Effizienzsteigerung» und «Führung und Organisation». Immer begleitet von den jeweiligen Technologien und Trends. Die Ausarbeitung im Detail erfolgt dann im Betrieb. Nach dem Seminar profitieren die Teilnehmer während eines halben Tages von der Unterstützung einer Fachperson, um die Theorie in die Praxis umzusetzen. Wenn dieser letzte Schritt nach den vier intensiven Kurstagen erfolgt, ist der Weg in die digitale Zukunft für das Unternehmen geebnet.

www.ahb.bfh.ch

Zu den personen

Dominique Studerus ist gelernter Schreiner (Fachrichtung Bau) und arbeitete in verschiedenen Unternehmen in leitenden Funktionen. Heute ist er bei der Obrist Interior AG als operativer Leiter und Mitglied der Geschäftsleitung tätig. In dieser Funktion hat er die digitale Transformation im Unternehmen eingeleitet. Studerus hat sich zum Betriebs- techniker TS weitergebildet und einen Executive Master Business Administration FH im Bereich Strategisches Management erworben. Er leitet das Seminar Digitalisierungsstrategie der Berner Fachhochschule.

Bramwell Kaltenrieder ist Professor für Digital Business, Entrepreneurship und Innovation und arbeitet an der Berner Fachhochschule. Daneben berät er als Gründer der Exploit Management Advisory GmbH Unternehmen im Bereich der digitalen Transformation. Kaltenrieder studierte an der BFH Informatik und bildete sich in Betriebswirtschaftslehre, Unternehmensführung, Kommunikation und Innovations-Management weiter. Er ist einer der Dozenten im Seminar Digitalisierungsstrategie.

Begriffe kurz erklärt

Digitalisierung steht im engeren Sinn für die Erstellung einer digitalen Repräsentation physischer Objekte, wie wir sie zum Beispiel aus der Musikindustrie kennen: Aus der Schallplatte wird eine CD. Im weiteren Sinn steht der Begriff auch für die IT-Unterstützung von Prozessen. Beispiel: das Ab- lösen papierbasierter Formulare und Abläufe.

Die digitale Transformation umfasst die Kombination von Veränderungen in Strategie, Geschäftsmodell, Organisation, Prozessen und Kultur in Unternehmen durch Einsatz digitaler Technologien mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Industrie 4.0 kann man als Teilbereich der digitalen Transformation verstehen, sie umfasst die spezifischen digitalen Potenziale in der industriellen Fertigung. Mit der vollständigen Vernetzung moderner Technologien können Fertigungssysteme zu sogenannten cyberphysischen Systemen zusammengefasst und optimiert werden. Eines der Ziele, die man mit Industrie 4.0 verfolgt, ist höchste Effizienz auch bei kleinen Stückzahlen. Oft wandeln sich Unternehmen in diesem Zusammenhang von Produktions- zu Dienstleistungsbetrieben.

sz

Veröffentlichung: 08. November 2018 / Ausgabe 45/2018

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