Hoch die Platten

25 Kilo: Dieses Hebe-gewicht erachtet die Suva für Männer als zumutbar. Bei Frauen sind es 15 Kilo. Bild: Suva

Materialhandling.  Plattenmaterialien sind Grundbestandteile für die Arbeit jeder Schreinerei. Doch beim Umgang mit dem grossen und schweren Werkstoff geschehen immer wieder Unfälle. Wer sich bei Transport und Lagerung an Grundregeln hält, vermeidet viel Schmerz und Ärger.

Der Notruf ging um 7.30 Uhr beim Rettungsdienst ein. In einer Schreinerei ist ein Lernender schwer verletzt worden, nachdem an eine Wand gelehnte Holzplatten auf den 19-jährigen Mann gefallen sind. Als die Sanitäter am Unfallort eintreffen, können sie nur noch den Tod des Lehrlings feststellen. Diese Schreckensmeldung ist leider keine Fiktion, sondern geschah so vor zwei Jahren in Grancy im Kanton Waadt.

Geeignete Arbeits- und Lagerplätze

«Bei der Plattenlagerung sowie beim Plattentransport kommt es in Holz verarbeitenden Betrieben leider immer wieder zu schweren oder sogar tödlichen Unfällen», sagt Martin Bossart, Spezialist Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt Suva. Es sei deshalb essenziell, dass die Betriebe die lebenswichtigen Regeln der Suva konsequent einhalten. Bei einem Verstoss gegen diese Vorschriften ist die Arbeit zu stoppen, die Gefahr zu beheben, und erst dann darf weitergearbeitet werden. Unter der Regel Nummer 3 der «Lebenswichtigen Regeln für Gewerbe und Industrie» wird festgehalten, wie Gegenstände gegen Herunterfallen, Umfallen und Verrutschen am besten gesichert werden. Gerade bei sperrigen Materialien wie Werkstoffplatten oder Massivholz braucht es für eine sichere Lagerung geeignete Arbeits- und Lagerplätze sowie das notwendige Sicherungsmaterial. Sowohl bei der Lagerung und beim Transport als auch bei der Bearbeitung und Montage.

Ohne Sicherung keine Bewegung

Dabei spielt der Faktor Platz eine entscheidende Rolle. Nicht in jeder Schreinerei können die Platten bodeneben angeliefert und über kurze Wege sicher verstaut werden. Gerade in kleineren und älteren Gebäuden gilt es, mit dem schweren Material verschiedene Hürden zu überwinden. Da ist die Verlockung im hektischen Alltag gross, die Platten «nur schnell» irgendwo hinzustellen. «Und genau solches Verhalten muss man tunlichst vermeiden», sagt Bossart. Viele Unfälle passieren, wenn Platten an einem Ort gelagert werden, der nicht dafür vorgesehen ist. Es braucht nicht viel, und die Ware kommt ins Rutschen oder kippt um. Dabei kann Sachschaden entstehen, doch weit gravierender ist es, wenn Menschen eingeklemmt oder erdrückt werden.

Um die Transportwege kurz zu halten, sollten die Platten nach Möglichkeit dort gelagert werden, wo sie später weiterverarbeitet werden. Es macht zudem Sinn, die Platten in derselben Position zu lagen, wie sie dann zugeschnitten werden. Am besten schon so ausgerichtet, dass sie möglichst einfach auf die Maschine befördert werden können. Müssen sie erst gewendet werden, braucht das kostbaren Platz und Zeit.

Gewichtige Argumente für die Rolle

Ob die Platten nun horizontal oder vertikal gelagert werden, ist für Sicherheitsfragen nicht zentral. Es stellt sich viel mehr die Frage nach den geeigneten Lagerregalen, Gestellen und Transporthilfsmitteln.

Bei Regalsystemen, in denen die Platten stehend hineingeschoben werden, dürfen die einzelnen Fächer nicht breiter als 800 Millimeter sein, damit die verschiedenen Platten noch durchgeblättert werden können. Regale mit verstell- und steckbaren Kippsicherungen empfindet der Spezialist für Sicherheit als problematisch: «Das Umstecken bei grossen Freiräumen ist eine organisatorische Massnahme, welche zu Fehlanwendungen führen kann. Sinnvoller ist es, wenn die Platten auf zwei Regalfächer aufgeteilt werden.»

Platten von gleicher Art und Abmessung können auch in einem seitlich offenen Gestell, mit einem vorgegebenen Anstellwinkel von acht Grad, eingestellt werden. Dies, weil man in diesem Fall immer die vorderste Platte wegnimmt und die Platten nicht geblättert werden müssen. Will man Platten unterschiedlicher Art und Abmessungen in einem solchen, seitlich offenen Gestell verstauen, muss dies ebenfalls im Anstellwinkel von acht Grad geschehen. Damit man die Platten gefahrlos blättern kann, braucht es zwingend eine stabile Kippsicherung. Dies können zum Beispiel steckbare Stützen oder Klappanker sein.

Gewichtiges Argument für die Rolle

Um das Herausziehen der Platten zu erleichtern, ist es sinnvoll, den Lagerboden mit einem gleitfähigen Belag zu versehen und vor dem Lager eine Rolle anzubringen, die ungefähr fünf Millimeter über die Oberkante des Lagerbodens hinausragt. Die Näf Service und Maschinen AG in Herisau AR bietet zum Beispiel unter dem Label Plattenregal.ch ein einfach konfigurierbares Lagersystem an, bei dem die Platten je nach Länge unten auf drei oder vier Rollen aufliegen. So können sie problemlos mit einer Hand herausgezogen werden. In der Fachbreite sind die Rollen in Segmente unterteilt, die unabhängig voneinander drehen.

Es darf ein bisschen weniger sein

Damit das Umladen aus dem Regal auf den Transportwagen gelingt, sollte der Lagerboden zirka zehn Millimeter über dem Niveau der Plattform des Wagens liegen.

Womit schon die nächste Gefahr angesprochen wäre: der Plattentransportwagen. «Unsere Sicherheitsspezialisten sehen häufig Plattentransportwagen, die nicht den sicherheitskonformen Anforderungen entsprechen», sagt Bossart weiter. Zweirädrige Plattenwagen müssen so gebaut sein, dass der Schwerpunkt der Platten möglichst in der Mitte zwischen den beiden Rädern liegt. Zudem darf die Ladefläche des Transportwagens höchstens 90 Millimeter breit sein. Dies hat den einfachen Grund, dass so zwangsläufig nur wenige Platten geladen werden können und damit das Gewicht der Ladung sowie die Gefahr durch umkippende Platten reduziert werden.

Die richtigen Hilfsmittel

Um die Schreinerinnen und Schreiner vor körperlichen Schäden und Erkrankungen zu schützen, sind beim Transport und der Lagerung geeignete Hilfsmittel für das Heben und Tragen von Lasten zu verwenden. Klug eingesetzte Hilfsmittel wie Vakuumsauggeräte, Plattengreifer oder Flurförderzeuge erhöhen erwiesenermassen nicht nur die Effizienz im Betrieb, sie schützen auch vor kostspieligen Ausfällen der Mitarbeitenden. Leider komme es dennoch immer wieder durch herabfallende Platten und Massivholzbretter zu Fussverletzungen, weiss Bossart (vergleiche Beitrag ab Seite 12). «Darum ist das Tragen von Sicherheitsschuhen von grosser Bedeutung und muss klar geregelt werden.»

Anschnallen bitte!

Die grossen Materialien lagern aber nicht nur fein säuberlich verstaut im Regal der Schreinerei, sie müssen auch von A nach B transportiert werden. Wie man einen Firmenbus korrekt belädt, weiss man an der Höheren Fachschule Bürgenstock (HFB). Das Bildungszentrum des Verbands Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (VSSM) bietet schon seit Längerem entsprechende Seminare an. «Einen Standardausbau für Firmenfahrzeuge gibt es nicht, denn jede Berufsgruppe, jeder Schreinerbetrieb transportiert andere Gegenstände», sagt Hans Kaiser, der jeweils die Tagesseminare «Firmenbus korrekt beladen und steuern» leitet. Am besten kläre man seine Bedürfnisse direkt mit einem Ausrüstungsspezialisten ab, der für Firmenfahrzeuge eine grosse Palette an Befestigungshilfsmitteln und Einbauten für das Versorgen von Materialien anbietet. «Grundsätzlich müssen grosse Platten, Fenster oder Türen beispielsweise an ein Wandregal festgezurrt und oder mit Spannstangen fixiert werden», sagt Kaiser. Grosses Gefahrenpotenzial berge die freie Ladung im Nutzfahrzeug. Nur die sichere Befestigung, sei es durch Festbinden, das formschlüssige Beladen, die Sicherung direkt an der Fahrerkabinen-Rückwand oder mit festen Trennelementen, könne das Verrutschen, Kippen oder Umfallen des Ladeguts verhindern. «Kann die Ladung nicht direkt an die Rückwand geladen werden, müssen durch Hilfsmittel wie zum Beispiel horizontal und vertikal eingesetzte Spannstangen variable Formschlüsse hergestellt werden.» Dabei können einzelne Ladungsteile auch mit Spannstangen getrennt werden, um mehr Aufnahmepunkte für die auftretenden Kräfte zu generieren.

Wenn elementarste Dinge fehlen

«Leider machen sich Mitarbeitende häufig keine Gedanken darüber, was bei einem starken Bremsmanöver, Auffahrunfall oder bei einer Rutschpartie auf Glatteis mit den ungesicherten Gegenständen alles passieren kann», erklärt der Kursleiter weiter. Man denke sich, dass es unnötig sei, für die paar Kilometer auf der Überlandstrasse einen so grossen Sicherungsaufwand zu treiben. Dazu komme, dass Firmenfahrzeuge nicht immer adäquat ausgerüstet seien. «Manchmal fehlen die elementarsten Dinge wie Zurrgurte, oder das Fahrzeug besitzt keine Befestigungsmöglichkeit, wo diese durchgeschlauft werden können.» Die Mitarbeitenden würden diese Situation als gegeben hinnehmen und behelfen sich notdürftig auf andere, oft ungenügende Weise, was zu gefährlichen Situationen führen kann. Gerade wenn schwere Materialien im Wageninnern umkippen, hat das eine Gewichtsverschiebung zur Folge, was sich wiederum auf das Fahrverhalten des Chauffeurs auswirkt. Bei einem Auffahrunfall werden das Fahrzeug und alle sich darin befindenden Gegenstände abrupt gestoppt. Ungenügend gesicherte oder lose Gegenstände im und besonders auch auf dem Fahrzeugdach werden so zum Geschoss. «Bei der ganzen Thematik gilt es nicht nur, die Unfälle zu eliminieren, sondern auch darum, dass die fertigen Schreinerarbeiten während des Transports nicht beschädigt werden», sagt Kaiser. Denn dies ziehe wiederum Ärger und Kosten nach sich.

Wie auch immer man die schweren Materialien schliesslich bewegt, die Sicherheit muss immer im Vordergrund stehen. Und sollte man dennoch in eine brenzlige Situation geraten, darf man sich selbst nie zu schade sein, um «Stopp!» zu sagen. Denn wirklich niemand will sich später Vorwürfe machen müssen, weil ein Mensch wegen einer Lappalie oder aus falschem Zeitdruck sich ernsthaft verletzt oder gar sein Leben verliert.

Isabelle Spengler

www.suva.ch
www.hfb.ch
www.naef-ag.ch
www.plattenregal.ch
www.eigenmannag.ch

Weiterbildung

Schleudern für mehr Sicherheit

Die Höhere Fachschule Bürgenstock (HFB) bietet eintägige Seminare zum Thema «Firmenbus korrekt beladen und steuern» an. Die Teilnehmenden lernen, den firmeneigenen Lieferwagen unter normalen und erschwerten Strassenverhältnissen sicher zu beherrschen. Im 1:1-Fahrtraining wird aufgezeigt, welchen Einfluss die Ladung auf das Fahrverhalten hat. Zusätzlich zeigen Profis, wie sich Material fachgerecht laden und transportieren lässt und welche Ausbaumöglichkeiten bei den Fahrzeugen bestehen. Der nächste Kurs findet am 4. Februar 2022 auf der TCS-Fahr- trainingspiste in Hinwil ZH statt.

Isabelle Spengler

www.hfb.ch

 

Veröffentlichung: 28. Oktober 2021 / Ausgabe 44/2021

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