Holz macht noch immer das Rennen

Biegetechnik nach alter Handwerkskunst: Ein Schlittenlauf aus Eschenholz wird – fest eingespannt – in Form gebracht.

Schlitten.  Die traditionellen und im Volksmund Davoser oder Grindelwaldner Schlitten genannten Geräte aus Holz trotzen noch heute den Hightech-Flitzern. Die SchreinerZeitung wagt ein Blick in eine Schlittenproduktion und geht dabei wahrer Handwerkskunst auf den Grund.

«Im Winter baute unser Vater immer einige Davoser Schlitten und wir durften in den Dreissigerjahren damit neben der Werkstatt auf der Kirchstrasse Probe fahren», erzählt der 85-jährige Ernst Graf vor seiner grossen Wagnerei und Biegerei im thurgauischen Sulgen. Auch heute noch baut die Thurgauer Wagnerei und Biegerei Graf Holzwaren AG hier Holzschlitten. Die Firma hat Ernst Graf 2002 an Erwin Dreier verkauft.

Im überdachten offenen Schopf lagern rund 150 m3 Eschenholz. «Das deckt unseren Jahresbedarf», sagt Eigentümer Erwin Dreier während der Besichtigung. Zum Dampfbiegen und Verformen verwendet Graf Qualitätsholz einheimischer Laubbäume. Dreier: «Zu 95% werden bei uns Hölzer aus FSC-zertifizierten Wäldern verwendet. Damit können wir von der Waldstrasse bis zum fertigen Produkt, das unseren Betrieb verlässt, für Qualität garantieren.» Das Holz kauft Dreier direkt bei Forstkorporationen, auf der Gant oder auch von Sägereien im Thurgau.

Die Firma Graf lässt aus den Baumstämmen 30 bis 62 mm dicke Bretter sägen. Eschenholz sei für den Schlittenbau ideal, weil es zäh, langlebig sei und maschinell gut verarbeitet werden könne und auch nur unwesentlich teurer als Buche sei, erklärt Dreier. Es wird das ganze Eschenholz, also Kern- wie Splintholz, verarbeitet, da dies auf die Qualität keinen Einfluss hat. «Wir lagern es nur ein Jahr. Dann hat das Holz noch genau die richtige Feuchtigkeit von etwa 25%, die es beim Dampfbiegen haben muss.»

Das Holz in Form bringen

Das Dampfbiegen ist eine traditionelle Technik, welche schon die alten Griechen kannten, aber noch heute eine wahre Kunst ist. Die Pièce de Résistance bei Graf sind neben einem holzgefeuerten Dampferzeuger mit vier Rohren die verschiedenen Biegemaschinen. Die Dampferzeugung wie auch das Heizen der gesamten Wagnerei und eines Nachbarhauses wird durch eine Schnitzelheizung mit eigenem Restholz gewährleistet.

Viel Wasserdampf und sorgfältige Handwerkskunst sind für die Biegetätigkeit wichtig. Das Kufenholz aus massivem Eschenkantholz wird im Dampfbiegeverfahren gebogen. Die auf die exakte Länge von 1500 × 75 × 62 mm zugeschnittenen Holzblöcke für die Läufe verbringen eine Stunde bei über 100 Grad Celsius in einem der Rohre zur Dämpfung. Anschliessend werden die heissen Hölzer mit massgefertigten Formen (Spannblechen) von Wagnerlehrling Gerard Foullon möglichst rasch gebogen und in die gewünschte Form gebracht. Die Holzteile sind dabei gut verankert, damit sie sich nicht wieder strecken können. Erwin Dreier: «Der kleinste mögliche Innenradius beträgt in etwa viermal die Dicke des Materials. Der Davoser Schlitten hat einen Biegeradius von zirka 20 cm.»

Trocknen, bohren, aufschneiden …

Anschliessend beginnt der langsame und schonende Trocknungsprozess. In zwei vollautomatischen Trocknungsanlagen, die an der Schnitzelheizung angeschlossen sind, erfolgt die Trocknung sämtlicher Holzteile. Immer wieder werden die Stücke leicht eingesprüht. «Der Prozess darf nicht zu schnell gehen. So können sie langsam von innen nach aussen trocknen und erreichen am Ende eine Holzfeuchtigkeit von unter 12%, was für ein Sportgerät gut ist», bestätigt Erwin Dreier.

Erst am Schluss werden die Holzläufe, die ein Paar bilden, mit einer CNC-gesteuerten Schwingmeisselmaschine, die gleichzeitig zwei Zapfenlöcher in einen Lauf bohren kann, aufgeschnitten. Nach dem Längshalbieren der Blöcke ist das Holz bereit für die Weiterverarbeitung. Danach werden die Flächen gehobelt und die Kanten gefräst.

Im Montageraum liegen sie bereit, die etwa 20 Einzelteile: Beine, Holzläufe, Tragjoche, Sitzleisten, Stahlkufen, Streben und Bügel. Hier fügen flinke Hände die einzelnen Komponenten des Davoser Schlittens zusammen, gefolgt von der Verleimung – befestigt mit verzinkten Schrauben. Das Logo wird mittels Brennstempel aufgebracht. Zudem haben die Graf-Schlitten neben dem Namen noch die Armbrust mit dem «Swiss made»-Label eingebrannt.

Finish in zehn Montageminuten

Die Eisenkufen liefert die Schlosserei und Wagnerei Schneggenburger GmbH in Sommeri. Die Eisen für die klassischen Schlitten sind drei Millimeter dick und 20 Millimeter breit. Die Sitzfläche (Bespannung) für die Swiss Racer, Flizzer und Sportrodel ist aus feuchtigkeitsunempfindlichem Nylon aufgeflochten. Dieses Material stellt ein Unternehmen in Tschechien her. Für die Endmontage benötigt man letztlich noch etwa zehn Minuten.

Die Graf Holzwaren AG hat sechs verschiedene Schlitten und Sportrodel im Sortiment. Die Preise variieren von 189 Franken für einen Kinderrodel, 234 Franken für einen Davoser Schlitten (100 cm) bis 579 Franken für den schnellen Sport-Doppelrodel der Z-series. Zudem bietet die Wagnerei auch Qualitätszubehör an. Vom Schlittensitz für Kinder bis Rodelsohlen und Schlitten nach Mass – mit persönlicher Widmung, als Werbeträger mit Siebdruck oder Brennstem- pel – reicht das Angebot.

Der schützende Lack

Am Ende der Fertigung wird jedes Teil nochmals auf Fehler kontrolliert. Die fertig montierten Davoser und Grindelwaldner Schlitten werden in der Lackiererei vollständig in zwei grosse Badewannen mit einem lösungsmittelhaltigen Lack getaucht und anschliessend unter der Decke zum Trocknen aufgehängt. Bis zu 100 Schlitten hängen während 12 Stunden im Raum. Der Lack schützt das Holz vor äusseren Einflüssen wie Schnee und Feuchtigkeit. Vor vier Jahren stellte Erwin Dreier auf Wasserlacke um. Aufgrund mangelnder Dauerhaftigkeit von wasserlackierten Oberflächen musste er aber wieder auf lösungsmittelhaltige Ölsiegel mit Leinölanteil zurückgreifen – vorläufig zumindest.

Die Produktgarantie beträgt in der Schweiz ein Jahr, im Ausland zwei. «Eigentlich bieten wir eine lebenslange Garantie an. Die klassischen und unverwüstlichen Schlitten halten wohl zu lange. Bei den modernen Sportrodel gibt es auch mal Reparaturen», weiss Dreier. Verdrängen die bunten und billigen Kunststoff-Bobs für Kinder in Zukunft die Holzschlitten? «Nein, der Holzschlitten ist nicht in Gefahr. Wenn man auf gut präparierten Schlittelbahnen fährt, eignet sich nur ein richtiger Holzschlitten», meint Erwin Dreier.

Früher belieferte Graf auch Coop Bau und Hobby mit einer eigenen Marke. Doch das Thurgauer Unternehmen wurde von der Einzelhandelsgruppe wieder hinausgeworfen, als ein billigerer Anbieter aus Österreich gefunden wurde, berichtet Dreier. Konkurrenz gibt es auch durch die Firma Marquart Innenausbau AG aus Romanshorn am Bodensee, die exklusiv Holzschlitten für die Migros produziert. Rund 6000 Stück pro Jahr.

Keine geschützte Marke

«Davoser» oder «Grindelwaldner» sind im letzten Jahrhundert aus leichten norwegischen Schlitten entstanden, die damals in der Schweiz auftauchten und dann von hiesigen Wagnern und Schreinern weiterentwickelt wurden. Die Bezeichnung «Davoser Schlitten» bezieht sich auf die Bauart. Dies ist keine geschützte Marke und solche Schlitten werden in vielen Ländern produziert. «Leider oft in sehr unterschiedlicher Qualität», kritisiert Erwin Dreier. «Unsere Davoser Schlitten sind ohne Kompromisse in der traditionellen und überlieferten Weise aus Schweizer Esche hergestellt – wir sind stolz darauf.»

Hochbetrieb bis zu den Sommerferien

Die Hauptproduktionszeit der Schlitten ist von Februar bis zu den Sommerferien. Ab August wird lackiert. Im Herbst erfolgt die Auslieferung der Gefährte via Logistik-Unternehmen an die Wiederverkäufer.

Erwin Dreier selbst packt meistens einen beweglichen Rennrodel der Z-series mit 20-Grad-Kufenneigung ins Auto, wenn er Kunden in Davos oder auf der Lenzerheide besucht. «Ich bin kein vergifteter Schlittenfahrer, aber sportlich muss es sein, sei es auf dem Rinerhorn oder am Rothorn», sagt er und lächelt verschmitzt. Bereits 600 Kilometer Schlittenwege gibt es in der Schweiz! Aber wie lange wohl noch? Der Klimawandel lässt auch Erwin Dreier mit seinem schneeabhängigen Unternehmen nicht kalt. «Unser Ziel ist es, auch in Zukunft für unsere Kunden das Holz in die richtige Form zu bringen. Wir haben aber auch einen Plan B, wenn es zu warm werden sollte und massiv weniger Schlitten bräuchte. Zum Beispiel durch unsere Fähigkeit, die Produktionsstruktur innerhalb eines Jahres den Umsatzschwankungen anzupassen. Bis dahin bleiben wir einer der traditionsreichsten Schlittenhersteller der Schweiz.» Die Hoffnung auf kalte und schneereiche Winter bleibt.

www.graf-schlitten.chwww.wagner-holzgeraete.ch

Im Jahr 1933 erwarb Sepp Meiers Grossvater, Josef Rempfer, die Wagnerei Fässler in Appenzell. Sepp Meier-Fässler konnte die Wagnerei 1992 übernehmen. Er stellt noch immer traditionelle, bis 2,1 m lange Eschenholz-Hornschlitten mit Zapfenlöchern her. Für die Herstellung benötigt Sepp Meier mindestens einen Tag. Die Läufe macht der Appenzeller Wagner aus Ahorn, das Horn ist aus Esche. «Dafür kaufe ich krummes Holz», sagt Meier. Der Schlittenlauf und das Horn werden überplattet und so zusammengefügt. Seine Schlitten kosten je nach Grösse und Ausführung zwischen 680 und 1000 Franken. Hornschlitten waren ursprünglich ein Arbeitsgerät von Bergbauern zum Transportieren von Heu und Holz und werden fast nur noch für Rennen verwendet.

www.meier-wagnerei.ch

UOK, uok

Veröffentlichung: 23. Februar 2012 / Ausgabe 8/2012

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