Kreativ durch die Krise

Bei der Arthur Girardi AG werden die Schutzmassnahmen ernst genommen. Bild: Philip Schaefer

Pandemie.  Ein Virus hält die Welt in Atem. Die Corona-Pandemie stellt das Schreinergewerbe und die gesamte Wirtschaft auf eine harte Probe. Der Bundesrat hat über 40 Milliarden Franken gesprochen, um Liquiditätsengpässe zu überbrücken. Flexibilität bei der Planung und der Arbeit sind gefragt.

Und jetzt noch die Schliessung der Baustellen und Produktionsunternehmen … Seit am 25. Februar im Tessin der erste Schweizer Covid-19-Fall aufgetreten ist, überschlagen sich die Ereignisse. Die Atemwegserkrankung, die Ende Dezember in der chinesischen Millionenstadt Wuhan erstmals diagnostiziert wurde, hat sich dramatisch verbreitet und zwingt die Welt in die Knie.

Vorläufiger Tiefpunkt aus Sicht des Schreinergewerbes ist die Schliessung der Baustellen und Produktionsunternehmen im Kanton Tessin, die vergangenen Samstag kommuniziert wurde und zunächst einmal bis Ablauf dieser Woche dauern soll. «Wir sind zwei Wochen weiter als der Rest der Schweiz», begründet Regierungsrat Norman Gobbi (Lega) die drastische Massnahme. Ähnlich sieht das auch Renato Scerpella, Präsident der VSSM-Sektion Ticino: «Wir befinden uns in einer ganz besonderen Situation, da die Entwicklung des Virus im Tessin vorwegnimmt, was in der übrigen Schweiz geschehen könnte.» Er selbst habe seinen Betrieb bereits vor einer Woche geschlossen und Kurzarbeit angemeldet. «Mit der Schliessung können wir den Pandemie-Höhepunkt besser bewältigen und unseren Spitälern das Leben ein bisschen erleichtern», sagt der Inhaber der Falegnameria Scerpella SA in Giubiasco. «Wir können nicht riskieren, dass sich das Virus übermässig ausbreitet, weil wir nicht rechtzeitig Massnahmen ergriffen haben.»

An der Medienkonferenz des Bundes vom letzten Montag wurden die Schliessungen durch den Kanton als bundesrechtswidrig erklärt, was bedeutet, dass sich die betroffenen Betriebe zur Wehr setzen können.

Bislang gehen die Meinungen zum sogenannten Shutdown in Wirtschaftskreisen noch weit auseinander. Während für Unia-Präsidentin Vania Alleva dieser Schritt unumgänglich ist, bezeichnet ihn Valentin Vogt, Präsident des Arbeitgeberverbands, als «ein gefährliches Experiment für die Schweiz». Er ist überzeugt, dass der Schaden riesig wäre und der Shutdown die Ansteckungsgefahr kaum weiter reduzieren würde.

Der VSSM spricht sich vorläufig ebenfalls gegen die generelle Schliessung der Baustellen und Produktionsbetriebe aus, auch wenn dies im Kanton Tessin bereits umgesetzt wurde. Fakt ist: Die einzige Chance, den Shutdown zu verhindern, besteht darin, die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) kommunizierten Verhaltensregeln konsequent einzuhalten.

Verhaltensregeln im Betrieb

Personen, die nicht im Homeoffice arbeiten können, müssen bei der Arbeit untereinander einen Abstand von mindestens zwei Metern einhalten. Ein Mittel zur Wahrung dieser Distanz kann die Einführung eines Schichtbetriebs sein, wie dies beispielsweise die Schreinerei Röthlisberger in Gümligen BE macht. Auf jeden Fall sollten die Pausen gestaffelt gemacht werden.

Fahrten mehrerer Monteure zur Baustelle sollten wenn möglich in mehreren Fahrzeugen erfolgen. Zudem gilt es, sämtliche Hygienevorschriften strengstens einzuhalten. Das heisst: regelmässiges Händewaschen, das Verwenden von Einweghandtüchern und häufiges Desinfizieren von Geräten und Arbeitswerkzeugen, die gemeinsam genutzt werden. Gleiches gilt für Türgriffe, Liftknöpfe, Treppengeländer und andere Gegenstände, die von mehreren Personen angefasst werden. Die Arbeitsräume sollten mehrmals täglich gut gelüftet werden.

Bei der Arthur Girardi AG im zürcherischen Hedingen hat man die Verhaltensregeln bereits verinnerlicht, wie Philip Schaefer erklärt, der als Schreiner und Allrounder in der Werkstatt und im Büro tätig ist. «Mit den Vorschriften wird die Planung ein wenig zur Challenge», sagt er. Doch mit Kreativität sei vieles möglich. Der Ausstellungsraum, der aufgrund der Vorschriften im Moment geschlossen ist, wurde kurzerhand zum zusätzlichen Znüniraum umfunktioniert, genauso ein Teil der Garage.

Wichtig sei es, sich in dieser Situation gut mit den Kunden abzusprechen, sodass Montagen vor Ort möglich seien. «Bei den bestehenden Aufträgen haben wir zurzeit kaum Absagen», sagt Philip Schaefer. «Die meisten Kunden verschieben ihre Aufträge aber auf unbestimmte Zeit, und gerade jetzt kommen keine neuen Arbeiten mehr dazu.» Aus diesem Grund komme man wohl kaum darum herum, zu gegebener Zeit Kurzarbeit anzumelden.

Neue Regelungen für die Kurzarbeit

Einige Schreinereien haben ihren Betrieb bereits auf unbestimmte Zeit eingestellt. Um den Beschäftigungseinbruch auszugleichen und Arbeitsplätze zu erhalten, wird die Kurzarbeit für viele Betriebe unumgänglich sein. Dafür braucht der Arbeitgeber das Einverständnis der Mitarbeitenden. Die Voranmeldung von Kurzarbeit muss bei der zuständigen Kantonalen Amtsstelle (Kast) eingereicht werden.

Der generelle Verweis eines Unternehmens auf das Coronavirus reicht nicht aus, um einen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung (KAE) zu begründen. Der Arbeitgeber muss den Kausalzusammenhang des Arbeitsausfalls mit dem Auftreten des Virus aufzeigen. Aufgrund der aussergewöhnlichen Umstände wurde die Karenzfrist aufgehoben, womit die Beteiligung des Arbeitgebers an den Arbeitsausfällen entfällt. Neu wurde der Anspruch auf KAE auf Personen in befristeten und temporären Arbeitsverhältnissen sowie auf Lernende ausgeweitet. Angestellte müssen während des Bezugs der Entschädigung keine Zwischenbeschäftigung mehr suchen.

Hilfspaket für die Wirtschaft

Das Coronavirus richtet einen kaum abschätzbaren, finanziellen Schaden an. Um einen totalen Kollaps der Wirtschaft zu vermeiden, hat der Bundesrat über 40 Milliarden Franken als Soforthilfe gesprochen. Die Unternehmen sollen damit schnell und unbürokratisch unterstützt werden können. Oberstes Ziel ist die Lohnfortzahlung für die Mitarbeitenden.

Die wichtigsten Massnahmen sind schnelle Liquiditätshilfen für die Wirtschaft. Trotz Kurzarbeitsentschädigung geraten insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) wegen des Nachfrageeinbruchs in einen Liquiditätsengpass. 20 Milliarden Franken sollen eingesetzt werden, um Kon- kurse grundsätzlich solventer Betriebe zu verhindern. Die Unterstützung erfolgt mittels unkomplizierter Überbrückungskredite, dank denen die Unternehmer in kürzester Zeit an das benötigte Geld kommen. Betroffene Unternehmen sollen Kredite in einer Maximalhöhe von 10 Prozent ihres Umsatzes oder von höchstens 20 Millionen Franken erhalten.

Zusätzlich soll den Unternehmen bei den Beiträgen für die Sozialversicherungen ein vorübergehender und zinsloser Zahlungsaufschub gewährt werden. Für Steuerzahlungen plant die Regierung einen Liquiditätspuffer und erstreckt Zahlungsfristen ohne Verzugszins. Des Weiteren gilt, dass in der Schweiz bis zum 4. April niemand betrieben werden darf. So sollen Betriebe in finanziellen Nöten weiter entlastet werden.

Suva verzichtet auf Verzugszinsen

Aufgrund der hohen wirtschaftlichen und personellen Belastung der versicherten Betriebe durch die Corona-Epidemie verzichtet die Suva mit sofortiger Wirkung auf das Erheben von Verzugszinsen für verspätete Zahlungen. Zudem werden keine Mahnungen verschickt oder Betreibungen eingeleitet. Diese Massnahmen sind vorerst bis am 30. Juni befristet und werden je nach Entwicklung der derzeitigen Ausnahmesituation verlängert. Nach Ablauf der Sistierung wird die Suva ihren Versicherten im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben angepasste Zahlungsmöglichkeiten anbieten.

Entschädigung bei Erwerbsausfällen

Neben der Unterstützung der Unternehmen hat der Bundesrat auch ein Massnahmenkonzept erarbeitet, um die durch das Coronavirus verursachten Erwerbsausfälle von Arbeitnehmenden zu entschädigen. Die Massnahmen gelten ab sofort und rückwirkend auf den 17. März. Sie sind auf ein halbes Jahr befristet. Anspruchsberechtigte können die Entschädigungen bei der zuständigen AHV-Ausgleichskasse beantragen. Die Antragsformulare sind in Bearbeitung und können in den nächsten Tagen auf den Internetseiten der jeweiligen Ausgleichskassen heruntergeladen werden.

Anrecht auf eine Entschädigung haben folgende Personen:

  • Eltern mit Kindern unter 12 Jahren, die ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen müssen, weil die Fremdbetreuung ihrer Kinder nicht mehr gewährleistet ist. So beispielsweise wegen der Schliessung von Schulen, Kinderhorten oder Kinderkrippen.
  • Personen, die wegen einer Quarantänemassnahme ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen müssen, weil kein Homeoffice möglich ist.
  • Selbstständigerwerbende, die ihre Arbeit wegen der Massnahmen des Bundesrats nicht ausführen können.
  • Freischaffende Künstlerinnen und Künstler, deren Engagements wegen den Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus annulliert wurden oder die einen eigenen Anlass absagen mussten.

Lohnfortzahlungspflicht

Soll die unzureichende Auslastung der Unternehmen durch die Kompensation von Überstunden oder den Bezug von Ferien abgefedert werden, so ist das Einverständnis der Arbeitnehmenden nötig.

Erkrankt ein Mitarbeiter, so ist die Arbeitgeberin zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Dies gilt auch, wenn die Erkrankung in den Ferien geschieht und der Mitarbeiter deshalb nicht reisefähig ist. Krankheitsfälle sind, wie üblich, der Krankentaggeldversicherung (KTG) zu melden. Eine angeordnete Selbstquarantäne kann hingegen nicht über die KTG abgerechnet werden, wenn kein Krankheitsfall vorliegt.

Eine Lohnfortzahlungspflicht besteht für die Arbeitgeberin auch, wenn der Mitarbeiter sein Kind zu Hause betreuen muss, weil dieses am Coronavirus erkrankt ist oder die Schulen, wie dies zurzeit der Fall ist, behördlich geschlossen sind. Will der Mitarbeiter der Arbeit aus eigenem Antrieb fernbleiben, etwa aus Angst vor einer Ansteckung oder weil er aus diesem Grund sein Kind aus der Krippe nimmt, besteht für die fehlende Zeit kein Lohnanspruch.

Einschränkungen des sozialen Lebens

Die Coronavirus-Pandemie erschüttert die Wirtschaft in ihren Grundfesten, und die Auswirkungen auf die Zukunft sind kaum abschätzbar. Daneben ist auch das öffentliche Leben stark eingeschränkt.

Der Begriff «Social Distancing» prägt den Alltag der Menschen, woraus sich ein Gefühl der Einsamkeit entwickeln kann. Auf der anderen Seite führen die fehlenden geschäftlichen und privaten Termine auch zu einer gewissen Entschleunigung, womit Kraft gesammelt werden kann für einen energiegeladenen Neustart.

www.vssm.chwww.bag-coronavirus.chwww.seco.admin.ch

Chronologischer Überblick

25. Februar: Erster bestätigter Krankheitsfall in der Schweiz.

27. Februar: Der Bund setzt die «Task-Force Coronavirus» ein. Diese soll mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) einen Massnahmeplan ausarbeiten.

11. März: Die Regeln der Kurzarbeit werden gelockert. Angestellte müssen während des Bezugs von Kurzarbeitsentschädigung keine Zwischenbeschäftigung suchen. Die Weltgesundheits- organisation (WHO) stuft den neuen Coronavirus als Pandemie ein.

13. März: Der Bund unterstützt die Wirtschaft mit fast 10 Milliarden Franken und reduziert die Karenzfrist für Kurzarbeit auf einen Tag. Per Notrecht wird das öffentliche Leben eingeschränkt. Alle Schweizer Schulen bleiben bis am 4. April geschlossen. Alle Veranstaltungen ab 100 Personen werden verboten. In Restaurants, Bars und Diskotheken dürfen sich maximal 50 Personen gleichzeitig aufhalten.

16. März: Der Bundesrat erklärt den Notstand für die Schweiz. Ausser Lebensmittelgeschäften müssen, bis auf wenige Ausnahmen, alle Geschäfte und Freizeitangebote geschlossen werden. Offen bleiben Apotheken und Gesundheitseinrichtungen.

18. März: Gestützt auf das Notrecht verbietet der Bundesrat bis am 4. April sämtliche Betreibungen.

20. März: Der Bundesrat spricht weitere 32 Milliarden Franken für die Wirtschaft. Mittels schneller Über- brückungskredite sollen Liquiditätsengpässe verhindert werden. Zudem gewährt der Bundesrat einen vorübergehenden und zinslosen Zahlungsaufschub bei Sozialversicherungsbeiträgen sowie verlängerte Zahlungsfristen ohne Verzugszins für Steuerzahlungen. Es gelten verschärfte Kontaktregeln: Gruppen ab fünf Personen werden gebüsst.

21. März: Shutdown im Tessin. Der Kanton Tessin schliesst für mindestens eine Woche alle Baustellen und praktisch sämtliche Produktionsstätten.

23. März: Das Bundesamt für Justiz erachtet den Shutdown im Tessin für bundesrechtswidrig.

mh, SZ

Veröffentlichung: 26. März 2020 / Ausgabe 13/2020

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