Möbel in Scheiben geschnitten


Geschwungene Formen verleihen dem hellen Raum eine angenehme Atmosphäre. Bis auf den Balken erinnert nichts mehr an den alten Raum. Bild: Till Forrer
Geschwungene Formen verleihen dem hellen Raum eine angenehme Atmosphäre. Bis auf den Balken erinnert nichts mehr an den alten Raum. Bild: Till Forrer
Innenausbau. Mit geringem Aufwand sollte ein spezielles Besucherzentrum für ein besonderes Jubiläum realisiert werden. Um die Vorgaben des Architekten zu erfüllen, musste die ausführende Schreinerei viel planerisches Geschick und Flexibilität an den Tag legen.
Wahrscheinlich im Jahr 612 legte der Mönch Gallus den Grundstein für die heutige Stadt St. Gallen. Gemäss Untersuchungen könnte Gallus aus dem 1500 km entfernten irischen Kloster Bangor stammen. 1400 Jahre später feierte die Stadt ihr Bestehen mit einem Jubiläumshalbjahr von April bis Oktober. Die eigens dafür gegründete Arge beschloss, ein Besucherzentrum zu errichten, das auch nach dem Jubiläum weiter durch St. Gallen-Bodensee Tourismus genutzt wird. Als Stand- ort wählte man eine denkmalgeschützte Liegenschaft an der Gallusstrasse 11 in unmittelbarer Nähe des Stiftsbezirkes. Damals rechnete man laut Medienmitteilung mit «baulichen Massnahmen in bescheidenem Umfang».
Nur rund 10 km entfernt, in Waldkirch, befindet sich die für den Innenausbau verantwortliche Schreinerei. «Für uns entwickelte sich der Umbau zu einer tollen Herausforderung», erzählt Andreas Meier, Innenarchitekt und Teilhaber der Agosti Holz-Ideen AG. Denn das Architekturbüro Daniel Cavelti AG plante keineswegs ein simples Besucherzentrum. Weil dieses auch für repräsentative Zwecke gebraucht wird, war der Anspruch an Design und Qualität sehr hoch. Der Raum wurde vorher als Schulzimmer genutzt und erforderte deshalb einen umfassenden Umbau, inklusive eines neuen grösseren Eingangs.
Im Zentrum steht ein geschwungener, rund 4 × 3 m grosser Empfangskorpus mit Sitzgelegenheit. Ein geschwungenes Regal, eine Vitrine und ein geschwungener Fenstersims komplettieren den Innenausbau. «Für die Planung, Produktion und Montage hatten wir insgesamt sechs Wochen Zeit», erzählt Andreas Meier.
Vom Architekten vorgegeben waren primär Form, Farbe und Oberfläche des Innenausbaus, die Konstruktion überliess er den Schreinern. Dabei stellte sich schnell der grosse Korpus als eigentliche Knacknuss heraus: Aufgrund seiner Dimensionen war es beinahe unmöglich, diesen in einem Stück herzustellen und zu montieren. Zudem mussten auch noch Schubladen und Schränke für Büromaterial sowie EDV integriert werden. Also entschloss man sich, den Korpus in mehreren Einzelteilen zu fertigen. Aufgrund der vom Architekten vorgegebenen Hochglanzlackierung in Weiss war es jedoch nicht möglich, diesen in fertig montiertem Zustand zu streichen. Sichtbare Fugen waren also unvermeidbar. «Statt einer vertikalen Aufteilung beschlossen wir horizontale Elemente zu fertigen und auf den Sockel zu stellen. Dadurch wird die geschwungene Kontur nicht unterbrochen, sondern auch durch die Fugen weitergeführt», erklärt Andreas Meier. Jedes Element stellt dabei eine eigene Ebene mit eigener Form dar.
Den fertig lackierten Sockel hat die Schreinerei schon sehr früh auf dem Estrich montiert und sorgfältig abgedeckt. Anschliessend wurde der weisse Bodenbelag fugenlos bis an alle Wände und Bauteile gegossen. In der Zwischenzeit kümmerten sich die Schreiner um die Produktion der restlichen Bauteile: Deckel und Boden der verschiedenen Ebenen wurden auf dem zehnjährigen Bearbeitungszentrum aus mehreren MDF-Platten gefräst und anschliessend verleimt. Als Distanzhalter zwischen Deckel und Boden kamen einfache Spanplatten zum Einsatz. Nun ging es darum, die einzelnen Module mit geschlitztem MDF zu beplanken. Dabei zeigte sich ein weiterer Vorteil der horizontalen Aufteilung: Die biegsame MDF gibt es nur in einer Breite von 1030 mm, der Korpus misst aber in der Höhe ohne Sockel 1100 mm.
Allerdings stellte sich die Frage, wie die MDF-Platten auf dem Gerippe befestigt werden sollen. Schrauben oder Nageln kam nicht infrage, der Aufwand zum Spachteln wäre viel zu gross gewesen. Zudem zeichnen sich solche Stellen mit der Zeit immer ab. Also blieb noch das Kleben – aber wie? Aufgrund der Form wäre es ohne aufwendige Pressformen kaum möglich gewesen, die Teile mit Zwingen oder Spannsets auf das Gerippe zu spannen. Das Fixieren mittels Schrauben und Winkeln oder Vierkantklötzen von innen funktionierte auch nicht, weil die Ausschnitte in Deckeln und Böden aus Stabilitätsgründen erst nach dem Verleimen vorgenommen wurden. Die Lösung war einfach, aber effizient: «Wir verwendeten ‹Fermacell›-Fugenkleber, dieser hält auch ohne Pressdruck bombenfest und quillt nur ganz wenig auf. Für das Fixieren haben wir gewöhnlichen Heissleim verwendet», erklärt Andreas Meier.
So konnten die Schreiner die MDF sukzessive ohne Zeitdruck aufkleben, beinahe wie früher, als man noch heissen Knochen- oder Hautleim zum Furnieren geschwungener Teile verwendete. Weil dieses Vorgehen so gut funktionierte, wendete es die Agosti Schreinerei auch gleich bei den geschwungenen Sims- und Regalteilen an. Deren vertikale Flächen wurden aber nicht wie beim Korpus hochglänzend lackiert, sondern bauseits vom Maler mit einer weissen, strukturierten Tapete beklebt. Damit sich diese beim Gebrauch der Abstellflächen an der Oberkante nicht löst, ist die zu tapezierende Fläche leicht zurückversetzt. Für eine problemlose Installation der Beleuchtung durch den Elektriker sahen die Planer entsprechende Serviceöffnungen vor.
Die Herstellung der ebenfalls teils hochglänzend lackierten und tapezierten Vitrine gestaltete sich einfach, da sich ober- und unterhalb der Glasfläche ganz gewöhnliche Schränke befinden. «Einzig die Lieferfrist des um 90° gebogenen Glases war sehr knapp. Aber es traf zwei Tage vor dem Fertigungstermin ein und passte perfekt», erzählt Andreas Meier.
Ganz ohne Stösse auf dem Deckblatt und auf den vertikalen Flächen des Korpus ging es naturgemäss nicht. «Wenn die Lichtverhältnisse stimmen und man weiss, wo sich die Stösse befinden, kann man sie ganz schwach erkennen», sagt Andreas Meier. Die Oberflächenbehandlung aller Teile nahm insgesamt rund zwei Wochen in Anspruch. Die Hälfte davon verbrachten die Schreiner mit Spachteln, Füllern und Lackieren. Um passgenaue Übergänge zu gewährleisten, wurden zum Schleifen alle Teile zusammengefügt. Die restliche Zeit wurde für das Polieren der Hochglanzoberfläche benötigt. Auf die Frage, ob denn für eine kleine Schreinerei das Lackieren von solchen Oberflächen gut zu bewerkstelligen sei, antwortet Meier: «Klar lässt sich unsere Einrichtung nicht mit jenen von grösseren Betrieben vergleichen. Aber wir wollen möglichst viel Wertschöpfung in unserer Werkstatt und in der Region behalten.» Handelt es sich um schwierige Oberflächen, arbeitet der Oberflächenspezialist auch mal an einem Samstag. «Wenn sonst niemand in der Werkstatt arbeitet, ist er ungestört und vor allem befindet sich weniger Staub in der Luft», erzählt Andreas Meier.
Für den Transport arbeitete die Schreinerei oft mit einem lokalen Transportunternehmen zusammen – so auch bei diesem Auftrag. «Ein Kleinlastwagen macht für unsere Betriebsgrösse einfach keinen Sinn. Ausserdem verfügen die Transportspezialisten über das nötige Equipment und das entsprechende Know-how», begründet Meier. Dennoch investierte man rund einen Tag in das Verpacken der Bauteile, damit diese problemlos auf dem Fahrzeug festgezurrt werden konnten.
Obwohl der Zeitdruck gross war, gestaltete sich die Montage relativ unproblematisch. Die Korpusteile passten ganz knapp durch den Eingang. An dieser Stelle gesteht Meier, dass sie leicht von den Vorgaben des Architekten abgewichen sind: «Zu beginn war der Korpus noch grösser geplant. In dieser Form hätten wir die Teile aber nicht an einem Stück in das Gebäude gebracht.»
Schreiner, Maler, Gipser, Elektroinstallateure, Gärtner: Alle Handwerker waren gleichzeitig auf der Baustelle, damit der Eröffnungstermin im April gehalten werden konnte. «Es war schon ziemlich eng. Dafür konnte man die Details gleich vor Ort mit dem jeweiligen Handwerker lösen», sagt Meier. So zum Beispiel die Übergänge von den Wänden hin zu den Möbelteilen.
Ein halbes Jahr nach der Eröffnung zeigt sich das Besucherzentrum immer noch in einwandfreiem Zustand. «Der weisse Boden hat durch die intensive Nutzung etwas gelitten», berichtet Karin Etterlin vom Betreiber St. Gallen-Bodensee Tourismus. Bis auf eine Anpassung im Empfangskorpus für einen zweiten Computer und die etwas knapp bemessene Arbeitsfläche habe sie ansonsten nichts Negatives zu berichten – im Gegenteil: «Trotz den hellen Farben vermitteln die runden Formen ein angenehmes Raumgefühl. Dies bestätigen auch immer wieder die Besucher, die jeweils positiv vom Besucherzentrum überrascht sind.» Für die Schreinerei Agosti war der Auftrag trotz des Termindrucks ein Erfolg: Wie Andreas Meier erzählt, kalkulieren sie immer etwas grosszügiger: «Dafür haben wir später bei der Ausführung mehr Spielraum und das hat sich bewährt.»
Aus dem 1500 km entfernten Bangor wur- de dann übrigens noch Erde für den kleinen Garten des Besucherzentrums eingeflogen.
www.cavelti-arch.chwww.gallusjubilaeum.chVeröffentlichung: 29. November 2012 / Ausgabe 48/2012
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