Willy und seine schwarzen Damen

Die Eringerkühe von Willy Karlen (51) geniessen eine herrliche Aussicht auf die Walliser Natur. Bild: Beatrix Bächtold

Ein hoher Schritt über den Elektrozaun, und man steht auf der Weide. Ab jetzt heisst es Kriechgang einlegen, das Körpergewicht zur Bergseite verlagern und sich vom atemberaubenden Ausblick auf die Viertausender nicht ablenken lassen. Steil ist der Sonnenhang der Gemeinde Törbel. Willy Karlen schreitet voran. Bald trennen ihn nur noch wenige Schritte von der Eringerkuh. Knapp eine Tonne wiegt die pechschwarze Dame, ihre Beine stehen wie Säulen im Gras. Würde sie jetzt losrennen, so bohrten sich ihre mächtigen Hörner im 90-Grad-Winkel direkt in den Magen des Gegenübers. «Eringer sind friedlich. Völlig harmlos», erklärte Karlen vor einigen Minuten noch bei einer Tasse Kaffee – und an diesen Satz klammert man sich jetzt. Und doch muss in diesen ruhigen Rinderdamen ein gewisses Aggressionspotenzial stecken. Jedenfalls sind deren spektakuläre Kämpfe als Walliser Kulturgut weltbekannt. «Leute, die das nicht kennen, stempeln es als Tierquälerei ab. Doch es liegt in der Natur der Ringkühe, ihre Vormachtstellung gegenüber ihren Artgenossinnen zu markieren», sagt Karlen. Gibt eine der beiden auf und ordnet sich unter, sind sie wieder die besten Kolleginnen. Verletzungen gibt es deshalb kaum. «Das würde mir auch fast mehr weh tun als den Kühen», sagt der 51-jährige Schreiner.

Die Liebe und das Gespür für Tiere wurden ihm in die Wiege gelegt. Im Kindergartenalter startete er mit einem eigenen Geisslein, später kamen Schwarzhalsziegen dazu, und als Teenager fing er an, Eringer zu züchten. «Meinen ersten eigenen Tieren gab ich morgens und abends die Flasche», erzählt er und fügt hinzu: «Eringer sind das Wichtigste. Sie gehören zum Wallis. Das ist einfach so.» Doch zurück zur Weide. Hier krault Karlen jetzt seiner Kuh den Haarschopf. Erst vor drei Tagen bekam sie ein Chälbli, das jetzt mit ihr und zwei Geschwistern im Freien lebt.

Karlen blickt sich um. «Ah, vermutlich hat es sich versteckt. Es tarnt sich, um sich zu schützen. Wölfe reis-sen bis jetzt zwar nur Schafe und Geissen.» Dann läuft er zielsicher auf eine Gebüschgruppe zu und verschwindet darin. Wenige Sekunden später taucht er mit einem Kalb auf den Armen wieder auf. «60 Kilo. Nicht so schwer», sagt er. Jeden Morgen um vier Uhr füttert Karlen seine Kühe. Direkt vom Stall fährt er zur Arbeit in seine Schreinerei Karlen- Kalbermatten, die er 1996 mit seinem Kollegen Damian Kalbermatten gegründet hat.

Der Feierabend gehört dann meist wieder den Kühen. «Die richtige Körperpflege der Damen ist eine Wissenschaft für sich», erklärt er. So stutzt er seinen jungen Kühen die Haare rund ums Horn, denn mit Sonnenlicht wachsen die Hörner besser. Bei zunehmendem Mond raspelt er sachte mit der Holzraspel aus seiner Schreinerwerkstatt die Hörner auf der Rückseite an. «So wachsen sie schöner nach vorne. Wenn das Horn zu hoch wächst, raspelt man dessen Spitze bei abnehmendem Mond», erklärt er. 2000 Ballen Heu vertilgen seine zwölf Eringer jeden Winter. Im Sommer dürfen sie ins Freie, einige verbringen von Juni bis September Sommerferien auf der Moosalp. «Jede Kuh hat dort immer den gleichen Platz im Stall. Sobald sie nach einem Jahr wieder in den Stall kommt, geht sie von selber an den Platz vom vergangenen Jahr. Intelligente Tiere», sagt er.

Und weil Karlen mit seinen Damen züchtet, wird er auch dieses Jahr wieder fünfmal «Vaterglück» erleben. «Die Buben bleiben bis zu vier Monate bei der Mutter, dann verkaufe ich sie. Das Fleisch der Eringer wird schweizweit als Spezialität geschätzt.»

«Es liegt in der Natur der Ringkühe, ihre Vormachtstellung gegenüber ihren Artgenossinnen zu markieren.»

beb

Veröffentlichung: 18. Juni 2020 / Ausgabe 25/2020

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