Abgewrackt und aufgemöbelt

Zwei Schubladen aus einem ausrangierten Sekretärmöbel fanden ein neues Zuhause. Bild: A. & S. Weiss Schreinerei AG

Wiederverwertung.  Die grüne Welle hat uns spätestens mit den freitäglichen Schülerstreiks erreicht. Wörter wie Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung und Upcycling sind in aller Munde. Doch wie gehen Schreiner mit dem Thema Wiederverwertung um? Ein paar kreative Beispiele.

Immer mehr Menschen machen sich Gedanken zu den Materialkreisläufen. Welche Ressourcen sind nach dem Gebrauch wirklich nur Abfall und welche Werkstoffe eignen sich zur Wiederaufbereitung? Der Schreiner gilt in solchen Themen per se als achtsam. Schon immer wurden Holzresten nicht einfach weggeworfen, sondern auf die Seite gelegt. Irgendeine kleine Sache lässt sich noch immer aus einem schönen Anschnitt machen. Und sind die Resten dann wirklich zu klein, werden sie schlussendlich in der Holzheizung verbrannt und in Wärme umgewandelt.

Mit diesem neuen Kreislaufdenken etablierte sich auch der Begriff Upcycling. Die Idee dahinter ist einfach: Abfallprodukte oder scheinbar nutzlose Stoffe werden in neuwertige Produkte umgewandelt. Dabei lassen sich vorhandene Stoffe wiederverwerten, und weniger neue Rohstoffe werden verbraucht.

Schaut man sich bei den jungen Kreativen um, findet man unzählige Beispiele für dieses neue Umweltbewusstsein. Da entstehen Sonnenbrillen aus alten Jeans, Flip-Flops aus Autoreifen, und aus dem Plastikmüll, den man aus den Weltmeeren fischt, werden T-Shirts gemacht.

Verspielte Unikate

Auch in der Schreinerbranche ist diese neue Strömung angekommen. Das Paar der L’unico Design GmbH aus Zug zeigt, wie aus einem Fischerboot oder aus einer alten Schranktür neue Möbel entstehen. Die beiden Firmeninhaber Katiuscia Azzaro und Pascal Mosimann kreieren mit viel Leidenschaft Einrichtungsgegenstände, die auffallen. Da thront ein alter Schiffsscheinwerfer auf einem eigens dafür designten Eichenfuss, ein uraltes Grammophon erleuchtet als Tischlampe den Raum und aus einem alten Holzbalken und einer Grappa-Kiste wird kurzerhand eine Garderobe.

Jede Einzelanfertigung hat seine eigene Geschichte. Das Fischerboot lag im Kanton Obwalden auf dem Sarnersee vor Anker, bevor es den beiden in die Fänge ging. «Wir wollten an unserem Stand an der Designmesse Blickfang in Zürich einige Objekte haben, die ins Auge stechen», erzählt der gelernte Möbelschreiner Pascal Mosimann. Da sei ihm die Idee mit dem Boot gekommen. Kurzerhand zersägte er den alten, über vier Meter langen Kahn in zwei Teile. Aus dem Schiffsbug entstand mit einfachen Eingriffen ein Regal mit zwei Glastablaren. Aus dem Heck schuf er eine gemütliche Lounge mit Lampe. «Lässt man die Lampe weg, eignet sich die Lounge auch wunderbar für den Garten. Einem Boot machen schliesslich Wind und Wetter nichts aus», sagt Mosimann.

Aufgemotzter Schrott

«Wir kreieren gerne verspielte Lampen-Objekte», beschreibt Katiuscia Azzaro ihre Kollektion. «Als wir uns vor sechs Jahren selbstständig machten, war es noch einfacher und vor allem günstiger, an Schiffslaternen aus Wracks zu kommen», erzählt die gelernte Dekorationsgestalterin weiter. Sie ersteigerten sich die Teile bei Online- Auktionshäusern, die dann den weiten Weg von Indien oder den USA in die Schweiz nahmen. Dabei hätten sie lernen müssen, echte Antiquitäten von Repliken zu unterscheiden, was aus der Ferne nicht immer einfach sei. Mosimann ergänzt: «Auch in puncto Niederspannungsrichtlinien mussten wir viel dazulernen. Denn elektrische Geräte, welche verkauft werden, müssen den EU-Normen entsprechen.» So brauche es für jedes zugekaufte Teil, welches in eine Lampe verbaut werde, eine Konformitätserklärung des Lieferanten. Auch müsse für jede Lampe eine Risikoanalyse gemacht werden. Das sei zwar viel administrativer Aufwand, aber so seien sie als Designer und Verkäufer im Schadensfall auch abgesichert, erklärt Mosimann weiter.

Unter den Händen des Duos entstehen auch bestechend einfache Objekte. Azzaro war es, die einer alten Schranktür aus Sins AG neues Leben einhauchte. Sie bürstete die Tür so lange, bis deren Haptik seidenweich war. Auf die Schranktür montierte sie eine ehemalige Wiener Tortenschachtel aus Holz, die nun als Schlüsselkasten dient. Einige zusätzliche Haken für Jacken und fertig ist die Garderobe.

Mittlerweile haben auch die Freunde von Azzaro und Mosimann den Wert von vermeintlichem Schrott entdeckt: «Sie bringen uns ab und zu Trouvaillen vorbei, die zu schade für den Recyclinghof sind. Wir horten diese Dinge wie kleine Schätze, bis wir für sie einen neuen Verwendungszweck finden», sagt Azzaro. «Das Schöne ist, dass unsere Objekte den Kunden in Erinnerung bleiben, da sie ihren ganz eigenen Charakter haben.» So werden sie zu einzigartigen Liebhaberobjekten.

In der A. & S. Weiss Schreinerei AG von Erich Weiss entstehen ebenfalls Möbel, die teilweise aus gebrauchten oder alten Elementen bestehen. Der Schreinerbetrieb aus Zug hat sich nicht nur in der Renovation und Restauration von Altbauten sowie im Ladenbau einen Namen gemacht, er ist auch eine Möbelmanufaktur. Weiss entwirft und produziert in seinem Kleinbetrieb nachhaltige Designmöbel für Privatkunden.

Für Weinkenner und Antiquitätenjäger

Unter anderem entwarf Erich Weiss zwei Möbelkollektionen, die mit dem Upcyling-Thema spielen. Die Idee für seine Weinbox-Serie entstand, als er den Laden eines grossen Schweizer Weinhändlers umbaute. Weiss sah die vielen leeren Weinkisten mit den eingebrannten Winzerlogos und fragte, ob er diese haben könne. Sie seien viel zu schade für den Abfall. Weiss funktioniert die Weinboxen zusammen mit seinen fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu Schubladen um, die dann ihren Platz in einem Sofatisch oder einem Sideboard finden. Da alle Kisten die gleiche Grösse haben, können sie frei im Regal positioniert werden. «Meine Kunden sehen die Möbel auf meiner Webseite oder an einer Messe und bestellen dann ein eigenes, welches in der Grösse und Farbe auf sie zugeschnitten ist», erzählt Weiss. Der Preis spiele eine untergeordnete Rolle. «Gerade die Weinliebhaber freuen sich natürlich, wenn dann eine Kiste ihres Lieblingstropfens ihr Wohnzimmer verschönert.»

Auch bei den Retro-Kommoden kombiniert Weiss gebrauchte Schubladen mit neuen Möbeln. Er sucht in Brockenstuben nach alten Kommoden und Sekretären. Ihnen entnimmt er die Schubladen und frischt diese auf. Wobei er die originalen Beschläge neu verchromt oder beschichtet. Sozusagen um diese fast hundertjährigen Schubkästen herum kreiert er dann das neue Möbel. So entstehen langbeinige Aufbewahrungsmöbel oder breitbeinige Sideboards. «Es kam schon vor, dass mir Kunden ihre alten Schubladen brachten, um diesen neues Leben einzuhauchen», erzählt Weiss. Solche Aufträge nehme er speziell gerne an und erledige sie mit viel Herzblut.

Restbestände aus der Industrie

Manchmal kann auch ein latentes Unbehagen zu Neuem führen. Margaux Renvoisé und Clara Peyrot sind zwei Designerinnen aus Lausanne VD, die beide ihre Laufbahn in der Industrie begannen. Doch ganz wohl fühlten sie sich dort nie. «Uns war bald klar, dass wir viel lieber Dinge schaffen wollten, die nachhaltig sind und mit dem lokalen Handwerk im Einklang stehen», sagt Margaux Renvoisé. So führte eins zum anderen und sie gründeten das Label Nunc. Unter dieser Marke schaffen sie Haushaltsgegenstände, die zum Teil aus industriellen Restbeständen bestehen. Ihr Credo dabei ist: Lieber einem Objekt eine neue Funktion einhauchen, als es einfach wegzuwerfen.

So entstehen aus Keramikfliesen, die nach der Fertigstellung einer Überbauung ungenutzt liegen blieben, Aperitif-Platten. Ein Schreiner aus Villeneuve VD fertigt dafür formschöne Schneidbretter an, in welche die Küchen- und Badezimmerplättli bündig eingelassen werden. Die heissen oder fettigen Häppchen finden auf dem Keramikplättchen Platz, ohne dass das Holz darunter leidet. «Die Apéroplatten sind in verschiedenen Modellen und Grössen erhältlich. Diese richten sich ganz nach den ungenutzten Chargen, die am Ende des Tages für uns übrigblieben», erklärt Renvoisé ihr Geschäftsmodell.

Dass die Designerinnen vom Wegwerfen wenig halten, zeigt sich auch in ihren Fotohaltern. Diese machen sie aus alten Bilderrahmen, die zu beschädigt sind, um repariert zu werden. Mit einer Buchenlamelle versehen, bleibt der alte Rahmen als Clip für Fotos oder Postkarten erhalten. So erzählen nicht nur die eingesteckten Zettel und Fotos ihre Geschichten, sondern auch die von der Zeit gezeichneten Rahmen.

www.lunicodesign.chwww.weiss-design.chwww.bynunc.com

IDS

Veröffentlichung: 24. Januar 2020 / Ausgabe 3/2020

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