Am Bildschirm statt in der Werkstatt

Urs Styger (r.), Geschäftsführer der Koller AG, bespricht mit Sachbearbeiter Gerold Wicki ein Küchenprojekt. Bild: Stefan Hilzinger

Transformation.  Die Arbeit der Schreiner bleibt zwar letztlich analog und damit fassbar. Doch neue Technologien verändern Büro und Werkstatt der Betriebe zusehends. Zwei Schreiner berichten von ihrem Weg in die digitale Zukunft zwischen Euphorie und Skepsis.

Nostalgiker im grafischen Gewerbe reden noch gerne vom Bleisatz-Zeitalter, als jeder Buchstabe als analoges Werk einzeln gegossen und dann zu Papier gebracht wurde. Was der Schreinerbranche bevorsteht, ist in Redaktionen und Druckereien schon längst Alltag: Der Produktionsprozess ist fast vollständig digitalisiert. Einzig das Erzeugnis, bespielsweise diese Ausgabe der Schreinerzeitung, ist weiterhin fassbar auf Papier und damit analog, doch auch das steht bekanntlich zur Diskussion, denn Informationen lassen sich auch auf elektronischem Weg problemlos verbreiten.

An digital führt kein Weg vorbei

Es ist zwar ausgeschlossen, dass sich Produkte aus Schreinereien zu virtuellen Gebilden verflüchtigen. Doch in Büro und Werkstatt bringen neue, digitale Technologien einen Schub an Möglichkeiten mit sich. Möglichkeiten, die auch genutzt werden. Das sagt Rolf Baumann, Leiter des Instituts für digitale Bau- und Holzwirtschaft an der Berner Fachhochschule Biel (BFH) im Interview auf Seite 20. Schreinerunternehmer kommen kaum darum herum, sich mit den neuen Möglichkeiten auseinanderzusetzen.

Urs Styger, Geschäftsführer der Schreinerei Koller AG in Ibach SZ, ist einer von ihnen. Sein Betrieb mit rund 35 Mitarbeitenden ist auf Küchen- und Innenausbau spezialisiert. Gleich mit vier Personen nahm die Koller AG in diesem Frühsommer an der BFH an einer Weiterbildung zum Thema Datendurchgängigkeit und Digitalisierung teil. «Es gibt zum Thema im Betrieb unterschiedliche Ansichten. Ich wollte daher Enthusiasten und Skeptiker dabei haben, damit wir nach dem Kurs alle auf dem gleichen Stand sind und vom Gleichen reden», sagt Styger.

Schon vieles ist digital – eigentlich

Eine Erkenntnis aus dem Kurs sei für ihn, dass im Betrieb schon sehr vieles digitalisiert sei. «Seit zwei Jahren gibt es bei uns keine physische Archivierung von Papier mehr», nennt Styger ein Beispiel. Den Kreditorenprozess vollständig zu digitalisieren, ist einer der nächsten geplanten Schritte. «Der neue Einzahlungsschein mit QR-Code vereinfacht diesen Prozess zusätzlich.» Auch in Planung und Avor geschehen die Arbeitschritte dank ERP und passenden Schnittstellen am Computer, berichtet er weiter. Da er selbst gerne zeichne, greife er in seiner Rolle als Verkäufer noch zu Block und Bleistift. «Die Kunden wollen eine erste Idee von dem bekommen, was sie später erhalten werden.» Seine Skizze, versehen mit den Massen, ist dann der Ausgangspunkt für die Erstellung der 3D-CAD- Unterlagen. Was nun aber noch fehlt, ist die Datenübernahme aus der Avor auf die CNC-Maschinen in der Werkstatt. Die Daten werden hier ab Plan erfasst. «Unsere grosse Frage ist derzeit also, starten wir den CAD/CAM-Prozess oder nicht?», sagt Styger. Sollen die CNC-Daten direkt ab CAD generiert werden, unabhängig davon, welches CNC-Gerät in der Werkstatt steht?

Respekt vor dem letzten Schritt

Im Vorfeld des Kurses in Biel stellte er sich dazu gewisse Fragen. Darauf habe er nur bedingt Antworten erhalten, sagt Styger. Im Gespräch mit Kollegen am Kurs hätten sich widersprüchliche Bilder gezeigt, was den Nutzen einer CAD/CAM-Schnittstelle angeht. «Die einen sprachen von grosser Effizienzsteigerung, die anderen sagten, es sei letztlich ein Nullsummenspiel gewesen.» In seinem Betrieb gebe es kritische Stimmen, die warnen, dass mit CAD/CAM und durchgängigen Daten das schreinerische Know-how von der Werkstatt ins Büro abwandere. «Für Standardprodukte, wie es sie im Küchenbau gibt, sind die Daten ohnehin bereits variabel auf der CNC-Anlage hinterlegt und abrufbar», sagt er.

Wie auch immer die Schreinerei Koller sich nun entscheiden wird, eines ist für den Geschäftsführer klar: «Wir finden unseren Weg in der digitalen Transformation nur, wenn alle im Team mitziehen.» Zum Thema Datendurchgängigkeit meint er ausserdem: «Betrieben, die digital noch nicht so weit sind, fällt der Aufbau einer vollständigen Durchgängigkeit wohl leichter als solchen, die in vielen Teilbereichen schon sehr gut aufgestellt sind wie wir.» Investitionen sollen auf der Kostenseite letztlich einen Nutzen bringen.

Digitalisierung als Chance im Marketing

Die Schreinerei Raumwerke AG verfügt zwar über eine CAD/CAM-Anbindung vom Büro auf die Maschine. Doch Geschäftsführer und Hauptaktionär Patrick Hangartner macht im Gespräch gleich als Erstes klar: «Digitalisierung ja, Automatisierung nein.» Der Betrieb mit gut 20 Mitarbeitenden in Frauenfeld TG stellt eine breite Palette an Schreinerprodukten her, von Schulhauseinrichtungen bis zu Türen. Unter dem Label «Natur im Raum» bietet der Betrieb als Spezialität Innenausbauten aus natürlichen Materialien wie Moos oder Kork an, mit dem Versprechen, das Raumklima zu verbessern. Als Partner des Vereins «Smarter Thurgau» arbeitet Hangartner an der neuen digitalen Welt mit. Da sein Betrieb aber nicht auf den Massenmarkt abzielt, muss die digitale Transformation nicht primär in der Werkstatt stattfinden – dafür verstärkt in Verkauf, Planung, Avor und Marketing.

«Es geht für unseren Betrieb in erster Linie um mehr Sichtbarkeit am Markt», sagt Hangartner. Dazu gehöre ein zeitgemässer und mit eigenen, aktuellen Inhalten gefütterter Auftritt in den Social-Media-Kanälen. Ein Mitarbeiter absolviert derzeit eine Weiterbildung im Social-Media-Bereich. Hangartner pflegt aber auch persönliche und digitale Vernetzungen mit anderen Unternehmen, etwa mit einem Unverpackt-Laden aus der Region. «Auf den ersten Blick haben wir ja nicht viel gemeinsam, aber wir sprechen ähnliche Zielgruppen an und erzielen so mehr Rechweite im Marketing», sagt Hangartner.

www.koller.swisswww.raumwerke.ch

 

Ein Schub neuer Möglichkeiten

Als Leiter des Instituts für digitale Bau- und Holzwirtschaft an der Berner Fachhochschule Biel befasst sich Rolf Baumann (Bild) mit der Werkstatt der Zukunft. Die digitale Transformation werde einen Schub an neuen Möglichkeiten auslösen, sagt er im Gespräch mit der Schreinerzeitung.

Schreinerzeitung: Herr Baumann, wo sehen Sie die Chancen der digitalen Transformation in der Schreinerbranche?

Rolf Baumann: Die Leistungsfähigkeit in der Generierung, Verarbeitung, Speicherung und im Transport von Daten steigt seit Jahrzehnten exponentiell. Die gleichzeitig stattfindende Miniaturisierung und Preiserosion beflügeln digitale Technologien wie beispielsweise Robotik, additive Fertigung, Blockchain, künstliche Intelligenz, selbstfahrende Transportsysteme, Augmented und Virtual Reality. Das gibt einen Schub an Möglichkeiten, die künftig auch genutzt werden.

Schreiner sagen, dass sie schon vieles digital gelöst haben.

Hier muss man unterscheiden zwischen Digitalisierung und digitaler Transformation. Wer eine Rechnung am Computer schreibt und per E-Mail verschickt, ist digitalisiert, aber noch längst nicht digital transformiert. Erst die Anpassung der Prozesse an die neuen Möglichkeiten führen zur digitalen Transformation. Eine Rechnung könnte aufgrund von Daten auch automatisch generiert und direkt an das E-Banking des Kunden übermittelt werden. Das ist nur ein Beispiel, stellvertretend für sämtliche Prozesse in Büro und Werkstatt. Bisher getrennte Arbeitsschritte werden verknüpft und automatisiert.

Manche werfen ein, dass dadurch das Know-how von der Werkstatt ins Büro abwandert.

Was ist daran so schlimm? Mit den neuen Technologien werden sich die Tätigkeiten verschieben. Ich bin überzeugt, dass 80 Prozent der Schreinerprodukte parametrisch konstruiert und in der Folge auch weitgehend automatisiert hergestellt werden können. Ein Korpus bleibt ein Korpus, auch wenn sich Masse und Materialien verändern. Klassische Schreinerarbeit bleibt für die anderen 20 Prozent, für Anpassungen parametrischer Produkte oder für Spezialitäten, weiterhin gefragt. Dabei darf nicht vergessen werden: Auch für Entwurf, Konstruktion, Parametrierung und Programmierung bleibt Schreiner-Know-how nötig, vermutlich sogar noch mehr als bisher.

Wochenplan auf Touchscreen

Keine gedruckten Tabellen mehr

Wo die digitale Transformation bei der Schreinerei Raumwerke ebenfalls Einzug gehalten hat, zeigt Produktionsleiter Dominik Wellauer an einem Touchscreen in der Werkstatt. Bis Anfang Jahr hingen da noch Ausdrucke von Exceltabellen. Nun ist der aktuelle Produktionsplan auf dem Monitor abrufbar. Wellauer erstellt den Plan gegen Ende Woche auf einer Software der Firma Swiss-Soft Solutions. Am Freitag wissen die Mitarbeitenden dann, was sie in der folgenden Woche erwartet. Auf dem Screen sind wei- tere Infos abrufbar, etwa dazu, wann welche Maschine besetzt ist, zur Maschinenwartung, zur Verarbeitung von Produkten, Pläne und ein Kalender, in dem Homeoffice-Tage sowie Abwesenheiten ersichtlich sind.

Stefan Hilzinger

Veröffentlichung: 16. September 2021 / Ausgabe 38/2021

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