Am Ufer der Stille

Bilder: Mark Röthlisberger Kloster mit Klang: In einem Teilumbau wurden der hier aufgenommene Ost- wie auch Südflügel des Klosters Rheinau zu einem Musikprobenzentrum hin verändert.

Schreinerkunst.  Das Kloster Rheinau wurde zum Musikzentrum umgebaut. Die umfassende Erneuerung stand im Spannungsfeld von Denkmalpflege und Akustik. Für die Weiterentwicklung zum klingenden Kleinod mussten Schreiner, Akustiker und Architekten eng zusammenwirken.

Die Vögel zwitschern vielstimmig an diesem sonnigen Frühlingsmorgen – ansonsten ist kein Laut vernehmbar auf der Klosterinsel Rheinau ZH. Das ehemalige Benediktinerkonvent thront auf einer Insel, majestätisch umflossen vom Rhein. Die Ruhe im Zürcher Weinland ist wie geschaffen für die Musik. Doch bis sie hier einziehen konnte, verging rund ein Jahrzehnt. Endlich öffnete 2014 die so genannte Musikinsel Rheinau ihre Pforten, ein moderner Probe- und Begegnungsort für Laienmusiker.

Zwischen Rück- und Weiterbauen

Solisten, Chöre, und Orchester schätzen die Stille des Ortes, so die Leiterin der Musikinsel, Monika Gasser. Insgesamt gibt es 16 unterschiedliche Proberäume. Für die Gäste stehen 63 Zimmer bereit, vergleichbar einem modernen Hotelbetrieb. Der Umbau orientierte sich am historischen Grundriss des barocken Gebäudeensembles. Geschlafen wird heutzutage in den einstigen Mönchszellen beziehungsweise Krankenzimmern, denn über ein Jahrhundert war die Anlage Sitz der Psychiatrischen Klinik. Der Betrieb war im Jahr 2000 ausgezogen, seither stand das Gebäude leer. Entsprechend bedurfte es einer umfassenden Erneuerung. «Die Instandsetzung von Ost- und Südflügel der ehemaligen Konventgebäude in ein Musikprobenzentrum stand unter der Prämisse ‹design to cost›», erklärt Volker Suschke, verantwortlicher Projektleiter des Kantonalen Hochbauamts Zürich.

So beschränkte sich die Erneuerung auf das Notwendige, nicht das Mögliche. «Wir befanden uns bezüglich der baulichen Massnahmen im ständigen Abgleich mit der Denkmalpflege», meint die Architektin Carolin Mayer vom deutschen Büro Bembé Dellinger, welches den Projektwettbewerb gewann. Teils mussten Decken wieder freigelegt und bauhistorische Elemente gesichert werden. Die Haustechnik bedurfte einer Kompletterneuerung. Brandschutz- und behindertengerecht sollte es auch werden. Und nicht zuletzt: Die Bedingungen für eine passende Akustik, Dreh- und Angelpunkt eines Probenzentrums für die Musik, wollten erarbeitet sein.

Akustik trotz Denkmalpflege

Kein Hall erklingt beim Gang durch die langen Korridore, von denen die Probenräume abzweigen. Teppichläufer dämpfen die Lautstärke. Der beauftragte, renommierte Akustiker Eckhard Kahle spricht von einem «klaren Spannungsfeld zwischen Denkmalschutz und Akustik», denn man durfte Boden, Decke und häufig auch Wände kaum «anfassen». Doch die nebeneinander liegenden Probenräume sollten unabhängig voneinander genutzt werden können. «Die Grösse des Gebäudes und die Wanddicken waren von Vorteil – mit neuen Akustiktüren konnte also der Schallschutz sehr schnell gelöst werden», so der Fachmann.

Schalldämpfung im «Möbel»

«Doch zusätzlich braucht es in allen Probenräumen akustische Absorption, damit der Lautstärkepegel der Instrumente nicht zu hoch wird», weiss der Akustiker. Diese muss variabel sein, je nach Anzahl der Probenden und der unterschiedlichen Raumgeometrien, sprich etwa Gewölbe- und Holzkassettendecken. Nach Berechnungen der Nachhallzeiten in den Musikzimmern entwickelte sich die Idee der Akustikkissen, und zwar in Zusammenarbeit mit dem Akustikbaumeister Roland Weber von BBF Weber in Fehraltorf. Sein Schreinerunternehmen ist spezialisiert auf die Entwicklung, Planung, Herstellung und Montage von Akustikprodukten aller Art.

Spezialisierte Schreinerarbeit

Die Kissenelemente wurden in zwei verschiedenen Versionen ausgeführt, um die Raumakustik flexibel anpassen zu können. «Die absorbierenden Elemente umfassen mehrere Schichten aus Mineralwollplatten, PVC und Schwerdämmfolien sowie Polster und Akustikvlies in einer bestimmten Abfolge», sagt Roland Weber. Gehäuse, Versteifungen sowie die Deckschicht der reflektierenden Elemente sind aus Holz und Holzwerkstoffplatten gefertigt. Mit Teilmontagen erfolgten Testmessungen, um realistische Resultate zu prüfen. Vorhänge und Teppiche lassen den Ton in einigen Probenräumen vollends zum Genuss werden.

Auch Künstler mit im Boot

Insgesamt fertigten Webers Mitarbeiter über 400 Kissen und montierten sie in bis zu 7 m hohen und 88 Elementen grossen Akustikwänden. Wie ein Gemälde wirkt die von Künstler Beat Zoderer mit farbigen Linearbestickungen versehene Akustikwand im Musiksaal. Dieser Raum ist der einzige «Neubau», denn weder Decke noch Boden waren original und boten so mehr Gestaltungsspielraum und -not. Akustiker Kahle brauchte nur 50 % der Wände absorbierend, die Architekten aber favorisierten auf beiden Stirnseiten Akustikkissen. Die Lösung: An dieser Stelle kam zur Hälfte die zweite Version der Kissen zum Einsatz. Sie wurden schallhart, sprich reflektierend hergestellt und fügen sich unauffällig ins Bild ein.

Individuelle Massaufnahmen

Nicht zu vergessen sind auch die Fenstersimse mit Stabverkleidungen der Heizkörper. Ein innenseitiges Vlies dämpft den Lautstärkepegel zusätzlich. «Die Massdifferenzen in den Laibungen verlangte individuelle Massaufnahme und Einpassung in den Bestand», sagt Robert Fehr, Geschäftsinhaber der gleichnamigen Schreinerei AG in Andelfingen. Der Werkstoff ist schwer entflammbar. Welches Material zum Einsatz kam, sei Teil des Fabrikationsgeheimnisses, heisst es aus dem Haus. «Der Entwurf wurde vom Schreiner in der Konstruktion optimiert, ohne jedoch die filigrane Erscheinung der Stäbe aufzugeben», meint Architektin Carolin Mayer.

Türen auf modernstem Stand

Eine besondere Herausforderung für den Schreinerbetrieb war es auch, die Innentüren brandschutz- und akustikgerecht zu fertigen. Doch auch hier will man bezüglich Materialwahl keine Informationen preisgeben. Auf der Korridorseite galt die denkmalpflegerische Auflage, die Kassettentür zu erhalten, auf der Innenseite der Gästezimmer sollten die Türen bündig schliessen. Das war in den ersten Plänen so nicht vorgesehen. «Als Generalplaner wirkt man mit den Fachplanern im Team und in ständiger Kooperation mit Bauherrn, Denkmalpflege, Nutzer, Haustechnik, Feuerpolizei und Gemeinde», sagt die Architektin über die komplexen Arbeitsprozesse und notwendige Planänderungen. Vom Baubeginn im Januar 2013 bis zur Fertigstellung verging rund ein Jahr.

Schreiner im Nassbereich

Der Bauablauf war eng gestrickt, wie sich an den Nasszellen in den Gästezimmern zeigt. Sie wurden aus vorgefertigten Elementen in Holz- und Mineralwerkstoff hergestellt. Bereits während des Rohbaus rückten die Schreiner der deutschen Firma Pfeiffer GmbH an, spezialisiert auf Objekteinrichtungen aus Mineralwerkstoff. Zwischen offenen Balkendecken, freigelegtem Fachwerk und Rohinstallationen galt es, die genaue Lage der vorgefertigten Zellen anzuzeichnen. «65 einzelne Schablonen wurden in jedes Zimmer verschraubt und mussten bis zur Montage der Badelemente den Rohbau überleben», erklärt Mayer. Corian kam zum Einsatz bei Dusche und Podest sowie beim Waschtisch samt Korpus. Die Garderobe, die abgehängte Decke, Schiebetür und Trennwand zum Schlafraum sind aus MDF. Die Module montierte man vor Ort zusammen.

Auch Altholzspezialisten gefragt

Für die Sanierung der historischen Holz- kassettendecken brauchte es Spezialisten anderer Art. «Wir ergänzten Einfass- und Abschlussprofile», sagt Walter Hugener, Geschäftsinhaber der gleichnamigen Schrei-nerei AG aus Winterthur. Reinigen, nachbeizen und retuschieren des Holzwerks zählten zu den Aufgaben. «Sehr anspruchsvoll stellten sich die Restaurationsarbeiten an den stark vom Wurm befallenen Teilen dar», so der Geschäftsinhaber, denn es dürfen keine Leim- und Flickstellen sichtbar sein.

Langer Vorlauf lohnt

Die «Vorarbeiten» für das Mammutprojekt begannen bereits 2001 mit ersten Machbarkeitsstudien. Doch der Planungsbeginn war erst 2011. Dazwischen liegen Testplanung, ein internationaler Architekturwettbewerb und die Kreditbewilligungen. Kein Wunder: Die Investititionssumme beläuft sich auf rund 28,5 Mio Franken. 20 Mio kamen von Christoph Blocher mit der eigens gegründeten Stiftung Musikinsel Rheinau. Den Rest steuerte der Kanton bei. Mitte April gibts die Chance zum Hörerlebnis für Besucher – bei einer CD-Produktion. Ein wiederkehrender Berufsmusiker ist der Aargauer Violinist Sebastian Bohren: «Aus Spass und weil man sich hier so gut konzentrieren kann», sagte er. Die Auslastung sei gut, heisst es von der Gastgeberin Gasser. Doch noch ist Luft nach oben, aber bereits sind weitere Renovierungen des Klostergebäudes geplant.

www.musikinsel.chwww.hochbauamt.zh.chwww.bembe-dellinger.dewww.kahle.bewww.bbf-weber.chwww.r-fehrag.chwww.pfeiffer-germany.dewww.schreinereihugener.ch

mz

Veröffentlichung: 26. März 2015 / Ausgabe 13/2015

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