Auf den Spuren des Loipenmachers

Von wegen Ruhestand: Der pensionierte Schreinermeister Niklaus Glatz (72) ist im Winter als Loipenchef gefordert – den Bully beherrscht er perfekt. Bild: Franziska Hidber

Unten im Tal hat der Wind die Schneeresten weggefegt und die Sonne die ersten Frühlingsboten wachgeküsst, aber auf dem Berg, hoch über Wattwil im Toggenburg, gedenkt Herr Winter noch zu bleiben. An jenem Märzmorgen sind die ersten Langläufer auf der Panoramaloipe Hemberg-Bächli-Scherb unterwegs, gegenüber grüssen Säntis, Speer und Churfirsten. «So gute Bedingungen gibt es sonst nirgends mehr», schwärmt einer, der gerade für den Engadiner Skimarathon trainiert. Eine Aussage, die Niklaus Glatz öfter zu hören bekommt. «Hier oben auf 1100 Metern über Meer bleibt der Schnee länger», sagt der 72-Jährige sichtlich zufrieden. Noch mehr freut er sich über die Komplimente für die Loipe. Denn der pensionierte Schreinermeister ist seit vier Jahren Chef der Panoramaloipe, welche drei Rundstrecken zwischen vier und zehn Kilometern umfasst. Als leidenschaftlicher Langläufer – sowohl Skating als auch klassisch – weiss er genau, worauf es ankommt. Und weil er oft als Erster über seine präparierte Loipe gleitet, bemerkt er Mängel sofort. «Zum Beispiel, wenn an einer Stelle zu wenig Schnee liegt», erklärt er und blinzelt gegen die Sonne an. Dann gehe er hin und bessere aus, möglichst bevor die Langläufer um 8 Uhr eintreffen. Um diese Zeit hat Glatz selber schon einige Arbeitsstunden hinter sich. Sein Job fängt bereits am Vorabend an: Während andere ihr Feierabendbier aus dem Kühlschrank holen und sich auf dem Sofa ausstrecken, konsultiert er den Wetterbericht.

Ist starker Schneefall während der Nacht angesagt, sogar bis in den Morgen hinein, kann er die Frühschicht streichen. Falls nicht, klingelt sein Wecker zu nachtschlafener Zeit. Und während andere durchs Traumland schlummern, zieht er mit seinem Pistenbully mit 200 PS frische Spuren durch die tief verschneite Landschaft. Manchmal beobachtet ihn ein Reh, manchmal der Mond, manchmal funkeln Sterne. «Müüslistill» sei es in diesen Nächten, erzählt er und schwärmt vom Gefühl, in den Sonnenaufgang hinein zu fahren. Inzwischen beherrscht er den Bully perfekt: «Nach vier Jahren fühle ich mich recht routiniert», sagt der Ostschweizer. Anspruchsvoller als das Fahren sei ohnehin die Wahl des Zeitpunkts für die Präparation. Zu beachten gibt es so einiges: Schnee- und Lufttemperatur, die Beschaffenheit des Schnees, die Wetterentwicklung – und die zwei Stunden, die es braucht, bis die Unterlage gut gefestigt ist. Zeigt sich der Schnee von seiner besten Seite, spurt Glatz die 17 Kilometer klassische Loipe nach Hemberg, sie beginnt praktisch bei seiner Haustür – die Skater kommen auf der Rundloipe ab der Scherbhütte auf ihre Kosten. Läutet die Kirchenuhr um sechs den Tag ein, verlässt der Loipenchef seinen Bully. Damit ist das Tageswerk aber noch nicht erledigt: Schweiz Tourismus und Bergfex warten schon auf den täglichen Loipenbericht. Manchmal gibt es etwas am Bully zu warten, oder ein abgebrochener Ast hängt ungünstig in die Spur – die Motorsäge hat Glatz deshalb immer dabei. Als Hölziger weiss er damit umzugehen. Insgesamt umfasst das Loipenteam gleich drei Hölzige.

Bereut hat Glatz sein Engagement keine Minute: «Für die toll präparierten Loipen bedanken sich viele Leute. Allein für ihre Begeisterung lohnt sich das frühe Aufstehen.» Schafft es die Frühlingssonne, auch die letzten Schneeresten zu tilgen, schickt Glatz seinen Pistenbully in den Sommerschlaf, sammelt mit Helferinnen und Helfern der «Langlauffamilie» des SC Speers die Markierungspfähle ein, versorgt die Langlaufskier und holt sein geliebtes Bike hervor.

«Für die toll präparierten Loipen bedanken sich viele Leute. Allein für ihre Begeisterung lohnt sich das frühe Aufstehen.»

Franziska Hidber

Veröffentlichung: 17. März 2022 / Ausgabe 11/2022

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