Beten unter dem Holzhimmel

Ein riesiges Flechtwerk aus Holz bildet das Dach der neuen Moschee in Cambridge. Bild: Blumer-Lehmann AG

Holzmoschee.  Die neue Moschee in Cambridge ist nicht hoch, und doch blickt man nach oben. Denn was sich da über den Köpfen ausbreitet, ist nicht nur für Gläubige imposant. Das Gewölbe eines Schweizer Holzbauers überspannt die Räume mit kunstvoll verdrehten Verbindern.

Wie Bäume streben die 30 frei geformten Holzsäulen des Tragwerks in die Höhe und verbinden sich in der gitterartigen Deckenstruktur zu einem riesigen Flechtwerk. Die Verwendung des Werkstoffs Holz ist ein wichtiger Faktor für das nachhaltige Baukonzept der Moschee in Cambridge (GB). Sie bezieht Energie durch Photovoltaik und sieht die Gewinnung von Regenwasser vor.

Anderseits gibt das Holz den Räumen Atmo-sphäre und Ausstrahlung. Im Dach eingelassen sind Oblichter, die für natürliches Licht sorgen und dem Raum zusätzliche Behaglichkeit verleihen. Das Projekt ist oberhalb der Tiefgarage vollständig aus vorgefertigten Holzbauteilen errichtet.

Mit Schweizern geformt

Die Dimensionen der islamischen Begegnungsstätte sind eindrücklich: Auf 4000 Quadratmetern breitet sich der Gebetsraum für 1000 Gläubige aus. Zusätzlich gibt es ein Café, zwei Wohnungen und eine Gartenanlage. Die Moschee soll demnächst eröffnet werden und nicht nur ein Begegnungsort für Muslime sein, sondern auch Angehörige anderer Religionen empfangen.

Die Idee und das Konzept entwickelte das Londoner Architekturbüro Marks Barfield Architects. Für die Umsetzung des Gebäudes kontaktierten sie bereits 2012 die Blumer- Lehmann AG aus Gossau SG. Daraufhin unterstützte ein Team des Unternehmens die Planer während der Entwicklungsphase in beratender Funktion. 2016 wurde der Auftrag für Holzbauplanung, Produktion und Montage schliesslich an die Blumer-Lehmann AG vergeben.

Decken, Wände und Treppen aus Holz

Doch nicht nur die frei geformten Säulen, sondern auch die Decken-, Aussen- und Innenwände, die grosse Dachfläche und drei Treppen des gewaltigen Baus bestehen vollständig aus Holz. Den raumseitigen Abschluss bilden jeweils Dreischichtplatten, die einen weissen Brandschutzanstrich erhielten und im Innenraum eine helle und freundliche Atmosphäre erzeugen. Ein Element mit besonderer Bedeutung ist der weithin sichtbare, neun Meter hohe Dom auf der Deckenkonstruktion. Er ist ganz mit Blattgold überzogen.

Reise von Gossau nach Cambridge

Die einzelnen Holzbauelemente seien in der Schweiz auf verschiedenen Produktionsanlagen und in unterschiedlicher Holzbauweise angefertigt worden, erklärt Projektleiter Jephtha Schaffner von Blumer-Lehmann. Das Dach besteht aus einer Rippenkonstruktion, die Innen- und Aussenwände sind im Holzrahmenbau ausgeführt. Für die Aussenwände, das Dach und die Decken kommt Brettsperrholz zum Einsatz. Das eindrückliche Tragwerk besteht aus rund 3000 frei geformten Bauteilen. «Diese Vielfältigkeit an Elementen bedingt eine absolut präzise Koordination von Produktion, Montage und Logistik», erklärt Schaffner. Denn nur wenn die Reihenfolge stimmt und jedes Bauelement zum richtigen Zeitpunkt auf der Baustelle eintrifft, funktioniert die Montage nach Plan. Immerhin legen die Holzelemente auf ihrer siebentägigen Reise von Gossau nach Cambridge mit Lastwagen und auf der Fähre knapp 1500 Kilometer zurück.

Zwei Welten vereint

Die europäisch und modern geprägte Bauweise und Materialität verbindet sich mit der traditionellen, vom Islam inspirierten Formensprache zu einem imposanten Ganzen. Ihren Kulminationspunkt findet das Miteinander beider Welten im frei geformten Dachtragwerk, das den Raumeindruck sowohl im rund 8,50 Meter hohen Gebetssaal als auch im etwas niedrigeren Eingangsbereich prägt. Der Entwurf der Architekten spielt hier mit dem Motiv von Bäumen einer Oase, deren aufgehende und sich mitein-ander verflechtende Äste das tragende Gewölbe bilden und zugleich eine atemberaubende Raumatmosphäre des Beschirmt- und Geborgenseins erzeugen.

Schon im Massivbau wären die vielfachen, zweisinnigen Rundungen und Verschlingungen eines solchen Gewölbes eine grosse Herausforderung. Bei diesem Projekt wurden sie ganz im Sinne des ökologischen Konzepts der Blumer-Lehmann AG komplett aus mehrfach gekrümmten Fichten-Brettschichtholzträgern hergestellt.

Träger und Verbindungen im CAD-Modell

Gerade das Urwüchsige und scheinbar Wilde des Dachtragwerks erforderte ein hohes Mass an Ordnung und Organisation. Blumer- Lehmann beauftragte deshalb die Digitalisierungsexperten von Design-to-Production (D2P) mit der Entwicklung eines detaillierten, parametrischen CAD-Modells der Holzkonstruktion. Ausgehend von den Entwurfszeichnungen der Architekten entstand so in Zusammenarbeit mit Blumer-Lehmann, D2P sowie den Ingenieuren von SJB Kempter-Fitze aus Eschenbach SG das komplett digitalisierte Vorfertigungs- und Montagekonzept der Konstruktion.

«Wir haben die Form so modelliert, dass der Gewölbeschub an jeder Stelle optimal ausgenutzt werden kann, was vergleichsweise kleine und vor allem an jeder Stelle gleiche Trägerquerschnitte von 160 × 250 Millimeter ermöglichte», erläutert Johannes Kuhnen von D2P die Herangehensweise. «Gleichzeitig konnte die Rotationssymmetrie der Trägersegmente rund um die Stützen gewahrt werden, wodurch sich in der Produktion die Zahl der Gleichteile erhöht und trotz der freien Form eine Fertigung mit rationellen Losgrössen möglich wurde.» Auf diese Weise liessen sich die insgesamt 2746 Segmente auf nur 145 unterschiedliche Bauteiltypen reduzieren, die ihrerseits auf nur 23 verschiedene Typen von Brettschichtholz-Rohlingen basieren.

Verdrehte Träger

Diese Rohlinge hatten es allerdings in sich, wie Jephtha Schaffner erklärt: «Wir haben mit geraden, aber auch mit einfach und sogar zweifach gekrümmten Ausgangselementen gearbeitet, die alle fünfachsig gefräst wurden. Das erforderte eine sorgfältige Produktionsstrategie und vor allem eine Weiterentwicklung unserer Software, die wir in Teilen quasi neu geschrieben haben. Doch der Aufwand hat sich gelohnt: Nach dem Überspielen des Codes auf die CNC-Fräsen wurde nur noch ein Mann für die Überwachung der Prozesse benötigt.»

Sorgfältig zu planen, waren ausserdem die Verbindungen der Segmente in der Tragwerkstruktur. Für die Hirnholzanschlüsse in Längsrichtung der Träger kamen Schlitzbleche und Idefix-Verbinder zum Einsatz. Querstösse wurden verblattet und verschraubt, jedoch nicht verleimt. In extrem gekrümmten Bereichen musste das Einfahren der Blattverbindungen sogar vorab digital simuliert werden. Doch jetzt, nach der Fertigstellung, soll die komplexe Technik nicht mehr zu sehen sein und die Gläubigen sich unter gewachsenen Ästen wähnen.

Beteiligte

Neubau Cambridge-Moschee

Bauherr: Muslim Academic Trust, Cambridge (GB)
Architektur: Marks Barfield Architects, London (GB)
Holzbau: Blumer-Lehmann AG, Gossau
Holzbau-Ingenieur: SJB Kempter Fitze, Eschenbach SG
Digitale Planung: Design-to-Production GmbH, Zürich

www.blumer-lehmann.ch
www.marksbarfield.com

SL/SZ

Veröffentlichung: 16. März 2019 / Ausgabe 11/2019

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